Abschöpfen von Klartextfunksprüchen durch den Gegner
11. Dezember 1972
Information Nr. 1099/72 über das Abschöpfen von Klartextfunksprüchen durch den Gegner aus dem drahtlosen Sprechfunknetz des ZK der SED
Dem MfS wurde zuverlässig bekannt, dass der Gegner in den Besitz von Materialien gelangt ist, das den Zuständigkeitsbereich des Zentralkomitees bzw. der Bezirks- und Kreisleitungen der SED betrifft. Diesbezügliche Überprüfungen ergaben, dass es sich bei diesem Material ausschließlich um Informationen (Klartextfunksprüche) handelt, die durch funkelektronische Aufklärung des Gegners aus dem drahtlosen Sprechfunknetz des ZK der SED gewonnen wurden.1
Vom Gegner wurden 1972 alle erforderlichen technischen Voraussetzungen geschaffen und ein dementsprechendes Schwerpunktprogramm vorrangig verwirklicht, um die Überwachung und Erfassung des Richtfunknetzes der SED vollständig zu gewährleisten.
Das bezieht sich sowohl auf den drahtlosen Sprechfunkverkehr als auch auf den drahtlosen Fernschreibverkehr.
Gegenwärtig werden vom Bundesnachrichtendienst weitere Anstrengungen unternommen, das Personal auf diesem Gebiet zu verstärken, um eine umfassende Erfassung und Auswertung der dabei gewonnenen Informationen zu sichern, wobei Informationen von besonderer Bedeutung sofort dem Bundeskanzleramt zugeleitet werden.2
In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die gegnerischen Kräfte auf dem Territorium der BRD und in Westberlin über eine modern ausgerüstete Basis der funktechnischen und funkelektronischen Aufklärung verfügen. Funkverkehr innerhalb der Hauptstadt der DDR und der an die Hauptstadt angrenzenden Bezirke Potsdam und Frankfurt/Oder (teilweise auch Bezirk Cottbus) wird aufgrund der Sendeleistungen und günstigen Empfangsbedingungen von Westberlin aus unter Kontrolle gehalten.
Der im Bereich der Staatsgrenze der DDR zur BRD bzw. der in Richtung Grenzbezirke betriebene Funkverkehr wird im unmittelbaren Grenzgebiet der BRD aufgenommen.
Bei den Informationen, die dem Gegner in den letzten Wochen aus dem drahtlosen Nachrichten- und Informationsnetz des ZK bekannt wurden – und die vom Gegner besonders kontinuierlich ausgewertet wurden – handelt es sich um solche inhaltlichen Probleme, wie
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Preisgabe von Terminen und Tagesordnungen von Besprechungen und Arbeitssitzungen auf Bezirks- und Kreisebene;
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Angaben über Urlaubstermine leitender Funktionäre;
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Angaben über den Inhalt von Festlegungen und Beschlüssen von Parteigremien auf Bezirks- und Kreisebene (u. a. von Sekretariatssitzungen);
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Absprachen und Unterweisungen zur Erledigung innerparteilicher Aufgaben (Anfertigung von Berichten, Beschaffung bestimmter Unterlagen);
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Abstimmung über geforderte Berichterstattung an übergeordnete Parteiorgane (über Einhaltung von Terminen, Umfang der Berichte und inhaltliche Ausgestaltung);
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Austausch von Verfahrensweisen bei der Bearbeitung von GVS- und VVS-Unterlagen;
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Absprachen über Gründe der Ablehnung bestimmter publizistischer Beiträge;
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detaillierte Angaben über Vergütungsstufen für Mitarbeiter der Kreis- und Bezirksleitungen;
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Anwendungsprinzipien bei der Berechnung von Sondergehältern und Leitervergütungsstellen im Parteiapparat;
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Angaben über Versetzungsgründe hauptamtlicher Parteifunktionäre und Angaben über Verstöße gegen die Parteidisziplin (z. B. Einzelheiten über das Verhalten eines Mitarbeiters des ZK unter Einfluss von Alkohol);
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Einzelheiten über an Parteiorgane gerichtete Eingaben aus den verschiedensten Bevölkerungsschichten und über den Stand ihrer Bearbeitung;
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Absprachen über zu erfolgende Aufgabenstellung für die Parteiarbeit in der BRD; (über Themen der Versammlungstätigkeit der DKP in Niedersachsen; über notwendige Argumentationen in Vorbereitung der Bundestagswahl);3
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Informationen über den Stand der Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes in Industrie und Landwirtschaft, über Schwerpunktobjekte, Ursachen der Nichterfüllung und konkrete Zahlenwerte;
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detaillierte Angaben zur Anwendung neuer Technologien in den Bereichen der Landwirtschaft und der Industrie;
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Berichterstattung über das Stimmungsbild in landwirtschaftlichen Bereichen zur Einführung bestimmter neuer sowjetischer Agrotechniken bei gleichzeitiger Schilderung landwirtschaftlich-wissenschaftlicher Ergebnisse der Sowjetunion;
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Absprachen über die Instruierung von Reiseleitern bzw. -betreuern für Reisen in die BRD;
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Informationen über Aufenthalte und Fahrtstrecken führender Partei- und Staatsfunktionäre in Grenzbezirken der DDR;
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Einzelheiten über Vorbereitungen von Kreis- und Objektbegehungen leitender Funktionäre in Grenzbezirken;
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praktisches Vorgehen beim Einrichten von Ausweichführungsstellen der NVA im Verteidigungsfalle (Maßnahmen zur Abstimmung mit anderen Organen wie Wehrbezirkskommando und MfS; Maßnahmen zur Installierung von Nachrichtenmitteln in die vereinbarten Objekte);
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Angaben über militärische Objekte, z. B. über einen Feldflugplatz der GSSD (Anlage und Auslastung während stattfindender Manöver) und Festlegungen zur zeitweiligen Einbeziehung militärischer Objekte bei der Zwischenlagerung landwirtschaftlicher Erzeugnisse;
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Angaben zu inhaltlichen Problemen eines Beschlusses des Nationalen Verteidigungsrates (Beschluss über den Einsatz von Einheiten der NVA bei der Ernteeinbringung);
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detaillierte Angaben über den Einsatz von Truppenteilen der NVA und der Freunde4 in landwirtschaftlichen Schwerpunktobjekten und in Katastrophensituationen.
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(Angaben über Truppenteile, Standort, Einsatzstärke, Einsatzort und -zeit, Anfahrtswege u. a.).
Aufgrund der in der Information geschilderten Situation wird vorgeschlagen, entsprechende Ordnungen für den Funkbetriebsdienst zu schaffen, um das Abfließen von Staats- und Dienstgeheimnissen über das Richtfunknetz des ZK an den Gegner zu verhindern.
Zur unmittelbaren praktischen Durchführung der notwendigen Maßnahmen könnte eine gemeinsame Beratung unter Hinzuziehung der Verantwortlichen und Spezialisten der Abteilungen Nachrichten des ZK und des MfS durchgeführt und die erforderliche fachliche Unterstützung bei der Erarbeitung einer Ordnung gewährt werden.