Aktivitäten gegen die DDR bei Olympia (2)
10. August 1972
Information Nr. 744b/72 über Pläne, Absichten, Maßnahmen und andere gegnerische Aktivitäten gegen die DDR und andere sozialistische Staaten unter Missbrauch der Olympischen Sommerspiele 1972 in München
Im Verlaufe der Vorbereitungsperiode auf die Olympischen Sommerspiele 19721 wurde eine Anzahl feindlicher Pläne, Absichten, Maßnahmen und gegnerischer Aktivitäten insbesondere von Geheimdiensten und anderen volksfeindlichen Organisationen, Parteien, Gesellschaften u. a. bekannt, die darauf hindeuten, dass der Gegner versuchen wird, die Olympischen Sommerspiele 1972 in München gegen die DDR sowie andere sozialistische Staaten zu missbrauchen.
1. Bisherige Erkenntnisse zu Aktivitäten imperialistischer Geheimdienste
Die bisherigen Hinweise zu Aktivitäten imperialistischer Geheimdienste lassen erkennen, dass ihre Tätigkeit sowohl auf die Durchsetzung unmittelbar damit verbundener politischer Ziele Bonner Regierungsstellen als auch auf die Nutzung dieser internationalen Großveranstaltung für eigene subversive Zwecke und Ziele ausgerichtet ist.
So ist vor allem der Bundesnachrichtendienst (BND) an der Aufklärung der Personen interessiert, die als Zuschauer, Betreuer und Kulturschaffende an den Olympischen Spielen teilnehmen, um sich frühzeitig einen Überblick zu den anreisenden Personen zu verschaffen.
Es gibt Anzeichen dafür, dass der BND zu den Olympischen Spielen in München einen Sonderstab bildet, der Maßnahmen koordiniert, erforderliche Lageeinschätzungen vornimmt und von dem aus erforderliche Operationen gegen Teilnehmer bzw. Zuschauer der Olympischen Spiele aus sozialistischen Staaten geleitet werden.
Vorliegenden Hinweisen zufolge verspricht sich der BND viel von Gesprächen mit diesen Personen. Zwar wird betont, dass dieser Personenkreis sicher besonders geschult und überprüft sei, aber man werde sich entsprechend auf diese Tatsache einstellen.
Es besteht weiter die Möglichkeit, dass der BND die Olympischen Spiele in München dazu nutzt, persönliche Zusammenkünfte mit Spionen durchzuführen.
Gleichermaßen treffen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Militärische Abschirmdienst (MAD) und die Politische Polizei ebenfalls umfangreiche Vorbereitungen, die die »innere Sicherheit« während der Olympischen Spiele gewährleisten sollen. Die genannten Organe konzentrieren sich in erster Linie darauf, Aktionen anarchistischer in- und ausländischer Gruppen, das Auftreten fortschrittlicher Kräfte sowie die Tätigkeit sozialistischer Sicherheitsorgane zu unterbinden.
In diesem Zusammenhang sind folgende bekannt gewordene Aktivitäten der Politischen Polizei politisch-operativ beachtenswert:
Die Politische Polizei des Landes Hessen stellt voraussichtlich während der Olympischen Spiele keine Beamten nach München ab, da diese hauptsächlich zur Absicherung des Flughafens Frankfurt/Main eingesetzt würden.
Neben Aktionen von Rechtsterroristen und Emigrantengruppen (insbesondere Jugoslawen) rechne man damit, dass die einreisenden Besucher aus den osteuropäischen Ländern und aus der DDR ihre offizielle Anwesenheit nutzen würden, um nachrichtendienstliche und politische Kontakte aufzunehmen bzw. aufzubauen. Da die Zahl der erwarteten Besucher aus diesen Ländern die Möglichkeiten einer abwehrmäßigen Kontrolle überschreiten werde, soll bereits auf den Flughäfen der BRD eine lückenlose Erfassung beginnen.
In diesem Zusammenhang wurde darauf orientiert, keine spektakulären Maßnahmen gegen Personen aus den genannten Ländern durchzuführen, auch dann nicht, wenn ein gewisser Verdacht bestehe. In solchen Fällen sollen vor allem die Verbindungen in der BRD aufgeklärt werden.
Zuverlässig wurde weiter bekannt, dass die westdeutschen Ausländerbehörden vor der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Personenabgaben aller in die BRD einreisenden Bürger aus sozialistischen Staaten einschließlich Jugoslawien – mit Ausnahme der DDR – bei der Politischen Polizei überprüfen lassen. Dort erfolge eine Überprüfung in den Karteien und eine sofortige Mitteilung über Fernschreiber an die Sicherheitsgruppe Bad Godesberg sowie das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz. Den Ausländerbehörden werde durch die Politische Polizei mitgeteilt, ob Anhaltspunkte gegen die geplante Einreise vorlägen. Danach stelle die Ausländerbehörde die »ausländerbehördliche Bescheinigung« zur Erlangung des Visums aus. Jede Einreise werde von der Sicherheitsgruppe Bad Godesberg zentral registriert.
Bis Mai 1972 habe die Politische Polizei alle diese Einreiseanträge an die zuständige CIA-Dienststelle geben müssen.
Ab Juni 1972 gingen alle diese Einreiseanträge ohne Ausnahme an die zuständige Verbindungsstelle des BND und darüber hinaus die Anträge polnischer und tschechoslowakischer Staatsbürger weiter an die CIA.
2. Zur Rolle der in München stationierten Hetzsender, verschiedener Emigrantenorganisationen und Landsmannschaftsverbände
Mitte Oktober 1971 äußerte sich Daume2 zur Tätigkeit der Sender »Radio Freies Europa«3 und »Radio Liberty«,4 dass den beiden Sendern empfohlen worden sei, Konflikte zu vermeiden, die »zu unerfreulichen Diskussionen während der Olympischen Spiele beitragen könnten«.
Beide Sender hätten sich schriftlich gegenüber dem IOC verpflichtet, in ihrer Darstellung auch die Regeln des IOC zu respektieren.
Auch das Organisationskomitee der Olympischen Spiele glaube, dass durch die Akkreditierung dieser Sender zu den Olympischen Spielen die Einhaltung der olympischen Regeln durch diese sichergestellt sei.
Vorliegende Hinweise zu tatsächlich geplanten Aktivitäten der Hetzsender während der Olympischen Spiele lassen jedoch darauf schließen, dass die abgegebene offizielle Erklärung der Vertreter beider Sender, einen sogenannten olympischen Waffenstillstand einzuhalten, lediglich ein taktisches Manöver ist.
Beide Sender bereiten unter Anwendung konspirativer Methoden feindliche Aktionen gegen die Olympia-Delegationen und Touristen aus sozialistischen Ländern vor.
So sollen geeignete Mitarbeiter beider Sender und auch von Emigrantenorganisationen mit entsprechenden Sprachkenntnissen als Betreuer der Sportler und Touristen eingeschleust werden. Zu diesem Zweck wurden in einer Reihe von Fällen – konkret bei »Radio Liberty« bekannt geworden – spezielle Lehrgänge organisiert, in deren Verlauf den Teilnehmern neben Sprachunterricht auch Grundkenntnisse über den Marxismus-Leninismus und taktische Verhaltensregeln zur Herstellung von Kontakten mit Bürgern aus sozialistischen Ländern vermittelt wurden.
Die Teilnehmer solcher Lehrgänge wurden weiter instruiert, auf keinen Fall ihre Zugehörigkeit zum Personal der Sender zu offenbaren, sondern sich als Vertreter von Jugend- und Studentenorganisationen auszugeben, die mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Ländern »sympathisieren«.
Bei Gesprächen zu politischen Themen sollen sich diese Personen zunächst zurückhaltend und neutral verhalten.
Zur besseren Geheimhaltung ihrer tatsächlichen Tätigkeit wurden verschiedene Mitarbeiter der genannten Sender z. B. bei der Firma Siemens untergebracht.
Andere sind als Journalisten der Münchener Lokalpresse abgedeckt und mit entsprechenden Presseausweisen versehen.
Im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele in München wurden folgende Pläne und Absichten von Emigrantenorganisationen bzw. Landsmannschaftsverbänden in Westdeutschland bekannt:
Insgesamt sind bei der Mehrzahl der Emigrantenorganisationen Bestrebungen erkennbar, während der Olympischen Spiele möglichst viele Emigranten aus den sozialistischen Ländern, die sich im westlichen Ausland aufhalten, in München zu konzentrieren und Massenaktionen und Demonstrationen zu organisieren. Das politische Hauptziel bestehe vor allem darin, die UdSSR als »Aggressor und Okkupant« zu verleumden.
Vom »Verband der freien Presse«, der die Emigrantenpresse in der BRD vereinigt, ist die Einrichtung einer »Informationszentrale« geplant. Diese »Informationszentrale« hat die Aufgabe, eine breite Propagandakampagne unter den Sportlern und Touristen aus sozialistischen Ländern durchzuführen.
Allen Mitgliedern und nationalen Gruppen dieses Dachverbandes der Emigrantenpresse in der BRD wurde es zur Pflicht gemacht, die »Informationszentrale« mit der entsprechenden Literatur, Flugblättern, Plakaten, Broschüren usw. in den verschiedenen Sprachen der sozialistischen Länder ausreichend zu versorgen. Für die Unterbringung der »Informationszentrale« sollen entsprechende Räumlichkeiten in München beschafft werden. (Der vorgesehene Sitz ist zurzeit noch nicht bekannt.)
Zuverlässig wurde dem MfS ferner bekannt, dass Vertreter der sudetendeutschen Landsmannschaft an den CSU-Landesvorstand herangetreten seien, um ihre Dienste für die Olympischen Spiele anzubieten. So bestünde die Absicht, ČSSR-Spitzensportler zum Überlaufen nach Westdeutschland zu bewegen. Der CSU-Vorstand habe das mit der Begründung abgelehnt, dass hier nicht unmittelbare »nationale« Probleme im Vordergrund stehen würden.
Gegen polnische Sportler sollen nach bisher vorliegenden ersten Hinweisen ehemalige polnische Sportfunktionäre ausgenutzt werden, die nach 1968 aus der VR Polen emigriert seien und sich gegenwärtig in der BRD aufhalten.
3. Zu bisher bekannt gewordenen Maßnahmen der ideologischen Beeinflussung, der Kontaktierung und eventuellen Abwerbung von Bürgern sozialistischer Staaten:
Aus vorliegenden internen Angaben, teilweise noch sehr allgemein gehaltenen Informationen und bisher nicht bestätigten Einzelhinweisen geht hervor, dass Organe der Bundesregierung, der Bonner Parteien, der westdeutschen Staatsführung sowie die verschiedensten Organisationen und Gesellschaften in der BRD in Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele Aktivitäten entwickeln, die – teilweise in raffiniert getarnter Form – darauf gerichtet sind, unter Ausnutzung vorhandener verwandtschaftlicher Beziehungen gezielte Kontakte zu Bürgern sozialistischer Staaten aufzunehmen und sie mithilfe lukrativer Angebote zum eventuellen Verbleib in der BRD zu bewegen.
In Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele hat die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutze der Sportler und Besucher getroffen.
Das bezieht sich sowohl auf gesetzliche Maßnahmen, wie das »Gesetz zum Schutz des Olympischen Friedens«,5 als auch auf den verstärkten Einsatz von Kräften der Politischen Polizei, Kriminalpolizei, Schutz- und Bereitschaftspolizei sowie des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr.
Der Einsatz der Polizei, des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung sowie die Gewährleistung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Olympischen Spiele, sondern schließt auch die abwehrmäßige Kontrolle und Überwachung von Sportlern und Besuchern, besonders aus den sozialistischen Ländern, ein, um
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Ansatzpunkte zur politisch-ideologischen Einflussnahme auf diese Personen zu finden und Voraussetzungen für eine eventuelle spätere Abwerbung zu schaffen sowie
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mögliche nachrichtendienstliche und politische Kontakte von Personen aus den sozialistischen Ländern, die entweder bestehen oder neu aufgenommen werden sollen, unter Kontrolle zu bekommen.
Im Zusammenhang mit der Frage sogenannter Asylsuchender hat es längere Zeit Differenzen zwischen dem Bonner Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium über die künftige Behandlung solcher Personen gegeben.
Inzwischen sei entschieden worden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz federführend die Aufnahme, das Personenfeststellungsverfahren und die Weiterleitung außerhalb Bayerns durchführen werde.
Anträge sogenannter Asylsuchender werden ab Juni 1972 auch der zuständigen Verbindungsstelle des BND übergeben. (Bei Asylanträgen von polnischen und tschechischen Bürgern sollen die CIA-Dienststellen in der BRD unverzüglich Mitteilung erhalten.)
(Das Aufnahmelager Zirndorf/Fürth,6 das dem Bundesinnenministerium untersteht, soll während der Olympischen Spiele sogenannte Asylsuchende aus Drittländern aufnehmen.)
4. Zu möglichen Störaktionen rechtsradikaler Kräfte während der Olympischen Spiele:
Dem MfS liegen zahlreiche, meist unbestätigte Hinweise vor, wonach rechtsradikale Kräfte in der BRD – vor allem die »Aktion Neue Rechte« (ANR)7 – Störaktionen gegen Teilnehmer und Besucher aus den sozialistischen Staaten während der Olympischen Spiele vorbereiten.
Es sei insbesondere geplant, eine »breite Skala von Methoden des psychologischen und physischen Drucks« anzuwenden. Außerdem ist für die Zeit der Olympischen Spiele in München die Durchführung eines Jugendlagers rechtsradikaler Jugendorganisationen im Raum München geplant.
Die ANR, unter Führung des ehemaligen bayrischen NPD-Landesvorsitzenden Pöhlmann,8 plant nach bisher vorliegenden Informationen während der Olympischen Spiele
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einen Marsch zum Olympischen Dorf,
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eine sogenannte Freiheitskundgebung und
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Flugblattaktionen.
Eine nicht geringe Wirkung verspreche sich Pöhlmann auch von »Terroraktionen«, wobei in die Vorbereitung dieser Aktionen nur wenige Personen einbezogen seien.
Die Beteiligten seien verpflichtet worden, »alles auf die eigene Kappe zu nehmen«.
Auch solche rechtsradikalen Jugendorganisationen wie der »Bund Heimattreuer Jugend«9 (BHJ), die »Wiking-Jugend«10 und die »Blaue Adler-Jugend«11 (BAJ) haben angekündigt, die Olympischen Spiele in München stören zu wollen.
In allen vorgenannten Kreisen sei man sich jedoch klar darüber, dass nicht alle Vorhaben realisiert werden können. Den Rädelsführern gehe es offensichtlich vor allem um die Stimmungsmache und die psychologische Vorbereitung ihrer Parteigänger. Sie sollen so »präpariert werden, dass ihnen im geeigneten Moment etwas einfalle und sie selbstständig handeln würden«.
Politisch-operativ beachtenswert sind die im Rahmen der Untersuchungsarbeit des MfS erarbeiteten Hinweise, wonach ehemalige Strafgefangene, die wegen Staatsverbrechen bzw. Straftaten gegen die staatliche Ordnung der DDR zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt waren und in der Zwischenzeit nach Westdeutschland bzw. Westberlin entlassen wurden, Provokationen gegen Mitglieder der DDR-Olympiamannschaft planen.
Die Durchführung dieser Provokationen, wie z. B.
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Überfälle und körperliche Misshandlungen von Funktionären der DDR-Olympiamannschaft;
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Schändung der Staatsflagge der DDR und
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Zusammenrottungen in Wettkampfstätten und Auslösung von Krawallen beim Abspielen der Nationalhymne der DDR,
verfolge das Ziel, sich für die Strafverbüßung in der DDR zu rächen.
Weiter sei vorgesehen, am Vorabend des Beginns der Olympischen Spiele einen Sowjetbürger zu entführen, der sich in einem kapitalistischen Land aufhält, um damit für noch einsitzende Strafgefangene in der DDR eine vorzeitige Haftentlassung nach der BRD zu erzwingen.