Auffassungen von DBD-Funktionären zur Bündnispolitik der SED
20. März 1972
Information Nr. 243/72 über einige Auffassungen unter Funktionären der DBD zur Bündnispolitik der SED, insbesondere mit der DBD
Dem MfS wurde intern bekannt, dass es gegenwärtig unter Funktionären der DBD einige unterschiedliche Auffassungen zur Bündnispolitik der SED mit der DBD gibt, wobei u. a. solche Meinungen vertreten werden, dass die auf dem VIII. Parteitag der SED1 und den nachfolgenden Tagungen des Politbüros verstärkt betonte führende Rolle der SED besonders auf mittlerer und unterer Ebene so ausgelegt werde, dass Mitglieder der Blockparteien – und besonders der DBD – aus ihren Funktionen »verdrängt« würden. Auf diesen Ebenen würden in stärkerem Maße Mitglieder der SED diese Funktionen übernehmen.
Intern wurde dem MfS in diesem Zusammenhang auch eine Diskussion bekannt, zu der es auf der Sitzung des Präsidiums des Parteivorstandes der DBD am 29.2.19722 kam. (An dieser Sitzung nahmen u. a. Ernst Goldenbaum,3 Paul Scholz,4 Hans Rietz,5 Zagrodnik,6 Mecklenburg,7 Grandetzka,8 Steiner,9 Krause,10 Häber11 und Helmschrott12 teil.)
Die Diskussion wurde durch das DBD-Mitglied Steiner von der Kooperation Orlatal, [Bezirk] Gera ausgelöst, indem er den Delegiertenschlüssel zu den Kreisbauernkonferenzen und zum XI. Bauernkongress13 bemängelte.
Danach sei der Anteil von Mitgliedern der DBD von 20 % auf 10 % herabgesetzt und der Prozentsatz der SED-Mitglieder auf 80 % angehoben worden. Eine Auswirkung dieser »Festlegungen« sei, dass viele fähige DBD-Mitglieder nicht an den Konferenzen teilnehmen könnten, dafür aber SED-Mitglieder, die bisher keine aktive Rolle spielten, delegiert würden. Steiner erklärte, es sei falsch, eine solche Änderung als »Hauruckaktion« durchzusetzen; das müsse man schrittweise machen, um zu sichern, dass die fähigsten Leitungskader delegiert werden. Den DBD-Mitgliedern sei unerklärlich, wenn nur ein »Parteiprozentsatz« erfüllt werde. Er – Steiner – und andere DBD-Funktionäre hätten nach dem VIII. Parteitag den Eindruck, dass sie »nur noch in der Luft hängen«, und es wäre wohl angebracht, wenn sie sich bereits jetzt andere Stellungen, die unabhängig von einer Parteizugehörigkeit seien, suchen würden.
Das DBD-Mitglied Helmschrott/Magdeburg griff diese Diskussion auf und erklärte, der stellvertretende Bezirksvorsitzende der DBD in Magdeburg, Erich Hollmann,14 habe ihn darüber informiert, dass gemäß einer »neuen Orientierung« alle Mitglieder der DBD, die als Leiter der Abteilungen kooperative Pflanzenproduktion15 tätig sind, abzulösen seien, da Mitglieder der SED diese Funktionen übernehmen würden. Hollmann habe die Auffassung vertreten, diese Entwicklung könne in nächster Zeit, u. a. auf dem Bezirksparteitag im April, Diskussionen auslösen, zumal die DBD-Mitglieder in der kooperativen Pflanzenproduktion Vertrauen besäßen und die Kollektive von Anfang an aufgebaut hätten.
Der Bezirksvorsitzende der DBD in Erfurt, Mitglied des Staatsrates, Grandetzka, erklärte, in Erfurt sei bereits mit den Ablösungen begonnen worden, wobei er Namen und Orte nannte. In der DBD gebe es 500 Diplom-Landwirte, die jetzt die Frage um ihre Existenz stellen würden. Die DBD-Mitglieder würden resignieren, es entwickele sich eine Opposition gegen die BPO der SED und die Frage, ob es nur mit dem Mitgliedsbuch der SED eine Perspektive geben würde.
Grandetzka erklärte, er halte »diese Linie« für falsch; so könne man keine Bündnispolitik machen. Im Sozialismus gehe es doch nach wie vor nach Leistung. Es sei richtig, dass sich Mitglieder der SED zu den Fähigsten entwickeln sollen, aber das sei nicht immer und nicht überall der Fall und deshalb könne man ein »fähiges DBD-Mitglied« nicht durch ein »unfähiges SED-Mitglied« ersetzen.
Das DBD-Mitglied Zagrodik erklärte im Verlaufe der Diskussion, er habe sich beim Sekretär des Genossen Ewald,16 Hoffmeister,17 erkundigt, ob es tatsächlich einen zentralen Schlüssel für die Delegierten zu den Kreisbauernkonferenzen und zum XI. Bauernkongress geben würde. Von ihm habe er die Bestätigung erhalten, dass es keine zentrale Orientierung auf nur 10 % DBD geben würde.
Grandetzka steigerte sich daraufhin zu der Bemerkung: »Die belügen uns!« Er habe beim Landwirtschaftssekretär der SED in Erfurt selbst ein Schreiben gesehen, das eine solche »Linie« festlegen würde.
Die anwesenden Ernst Goldenbaum und Ernst Mecklenburg griffen mehrfach in die Diskussion ein und erklärten, dass sich die führende Rolle der SED weiter durchsetzen werde, jedoch auf der Grundlage des Lenin’schen Genossenschaftsplanes18 und nach der Losung »Alles mit den Bauern«.19 Ernst Goldenbaum erklärte die Prinzipien der Bündnispolitik und führte Beispiele an, wie sie gegenwartsnah angewandt wird.
Er wurde zum Teil auch von Hans Rietz unterstützt, wobei ihnen mehrfach in der Diskussion widersprochen wurde. Trotzdem konnte in der weiteren Diskussion keine Klarheit erreicht werden, sodass Ernst Goldenbaum abschließend erklärte, er wolle sich nach den »Auslegungen« nochmals erkundigen und noch vor den Bezirksparteitagen der DBD eine entsprechende Argumentation an die Bezirksvorsitzenden geben.
Diskussionen im Zusammenhang mit der Bündnispolitik werden gegenwärtig auch in anderen Kreisen von DBD-Mitgliedern geführt. Im Folgenden werden einige typische Äußerungen sinngemäß wiedergegeben:
Dr. Cersovsky,20 Abteilungsleiter und stellvertretender Bereichsleiter im Institut für Milchforschung Oranienburg, erklärte z. B. während einer Beratung im »Bauernecho«:21 Unter Wissenschaftlern, die Mitglieder der DBD sind, würden heftige Diskussionen über ihre Perspektive geführt. Die »neue Linie« ließe nicht zu, dass DBD-Mitglieder, auch wenn sie äußerst fähig wären, leitende Funktionen ausüben. Jeder frage sich, wann er auf der »Abschussliste« stehe und wie die führenden Funktionäre der SED dies begründen würden.
Dr. Lange,22 Komplexinstitut für Bodenfruchtbarkeit Müncheberg, Mitglied des Bezirksvorstades der DBD, Frankfurt/Oder, äußerte, die Akademie befinde sich in einer gewissen Umstrukturierung, da Funktionen immer mehr mit Genossen besetzt werden, obwohl ein Teil von Ihnen nicht die fachlichen Leistungen bringen würde.
Außerdem werde in der Akademie das starke Anwachsen der Verwaltungsarbeit kritisiert. Ältere Wissenschaftler hätten früher unter effektiveren Bedingungen gearbeitet.
Prof. Göring23 von der Humboldt-Universität Berlin vertrat offen die Meinung, Mitglieder der DBD hätten keine Perspektive und kämen schwerer zu akademischen Graden und zur Professur als SED-Mitglieder.
Dr. Linek,24 Direktor für Ausbildung an der Sektion Pflanzenproduktion der Humboldt-Universität, kritisierte das Verhalten von Prof. Göring als »unqualifizierte Verhaltensweise« und erklärte, solche »Diskussionen« hätten Auswirkungen auf andere DBD-Mitglieder.
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