Auftreten eines Bischofs vor Predigerseminar Naumburg
18. Februar 1972
Information Nr. 151/72 über das Auftreten von Bischof Fränkel, Görlitz, vor Studenten des Predigerseminars Naumburg Anfang Januar 1972
Dem MfS wurde intern bekannt, dass Bischof Fränkel,1 Görlitz, Anfang Januar 1972 vor Studenten des Predigerseminars Naumburg sprach. In diesem Seminar, das außerhalb der staatlichen Kontrolle existiert, studieren Studenten, die entweder zum Theologiestudium an staatlichen Universitäten nicht zugelassen wurden bzw. ein Studium an einer Universität aufgrund der damit verbundenen gesellschaftlichen Verpflichtungen ablehnen.
Vor diesem Kreis polemisierte Fränkel heftig gegen die Bildungspolitik des Staates und gegen das Gesetz über die Anmeldepflicht von Veranstaltungen.2
Er sagte, dieses Gesetz (Anmeldeverordnung) sei das gefährlichste, das nach dem Zweiten Weltkrieg erlassen wurde. In dieser Einschätzung stimme er auch mit Bischof Schönherr,3 Berlin, überein.
Der Staat habe kein Recht, sich ein Urteil darüber anzumaßen, welche religiösen und kultischen Handlungen die Kirche durchführen kann.
Mit dieser Maßnahme versuche der Staat die Kirche hinter die Kirchenmauern zurückzudrängen und einzusperren.
Der Druck auf die Kirche und die christliche Bevölkerung werde gerade zu einer Zeit verstärkt, da sich Bundeskanzler Brandt4 um eine Auflockerung der politischen Situation bemühe.
Die Kirche müsse mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, auch ökonomischen, und notfalls unter Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit ihre Rechte wahren. Er hoffe sehr, dass die Kirche hierzu in aller Schärfe ein offenes Wort wage.
Europäische Sicherheit ohne Entspannung im Innern der DDR sei nicht möglich. Mit ihrer berechtigten Forderung nach »kontrollierter Loyalität« für das Gebiet der DDR und der »Ostblockstaaten« müssten sich Kirche und Ökumene an die beabsichtigte europäische Sicherheitskonferenz wenden.5 Werde diese Loyalität nicht garantiert, müsse die Kirche gegen die Unterdrückung im Innern mit allen Mitteln so lange kämpfen, bis es zum Skandal käme.
Er persönlich sei dafür, folgenden Weg einzuschlagen:
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Vertreter des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR6 werden bei Staatssekretär Seigewasser7 vorstellig, um Aufklärung über die Haltung des Staates zur Anmeldeverordnung und deren Auslegung zu verlangen.
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Der Konvent der Bischöfe erarbeitet einen Plan, der alle Weiterungen in dieser Angelegenheit, bis hin zu außenpolitischen Aspekten, enthalten muss.
Notfalls wäre Fränkel bereit, allein Konsequenzen zu ziehen, als deren wichtigste er den Schritt an die Öffentlichkeit innen und außen ansehe. Dabei habe er für den Extremfall folgende Vorstellung:
20 ausgezeichnete Redner arbeiten »Vorträge« aus, die sich mit »Maßnahmen gegen die Kirche seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Brandt« beschäftigen. Diese Vorträge werden in öffentlich ausgerufenen Veranstaltungen gehalten.
Dabei wäre es nur günstig, wenn eine polizeiliche Auflösung solcher Veranstaltungen erfolge, damit allen Bürgern klar werde, dass sich die Kirche als Machtfaktor gegenüber dem Staat behaupten muss.
Eine andere Möglichkeit wäre, diese Vorträge über den Westrundfunk zu senden und den Gemeinden die Sendezeiten bekanntzugeben.
Es gehe nicht länger an, ständig die »Lüge von einer angeblichen Entspannung« anzuhören, während der »Druck im Innern« immer stärker werde.
Man müsse eben daran glauben, »notfalls mit Gott über die Mauer springen« zu können.
Fränkel äußerte, von dem Zuhörerkreis »keine Indiskretion« zu erwarten.
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