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Bischofserklärung zur Schwangerschaftsunterbrechung

7. Januar 1972
Information Nr. 27/72 über eine geplante Erklärung der katholischen Bischöfe der DDR zum vorgesehenen Gesetz über die Regelung der Schwangerschaftsunterbrechung

[Faksimile von Blatt 1]

Wie vom MfS festgestellt wurde, ist auf der am Montag, dem 3. Januar 1972, in Berlin tagenden Bischofskonferenz der katholischen Kirche der DDR beschlossen worden, eine Erklärung der Bischofskonferenz zur künftigen gesetzlichen Regelung über die Schwangerschaftsunterbrechung1 zu verfassen. Diese Erklärung, deren Wortlaut aus der Anlage hervorgeht, soll am 9.1.1972 von allen katholischen Kanzeln der DDR verlesen werden.2

In dieser Erklärung sprechen sich die katholischen Bischöfe der DDR gegen eine Schwangerschaftsunterbrechung aus. Sie fordern ihre Gläubigen auf, das Gebot »Du sollst nicht töten« zu achten.

In der Erklärung wird außerdem zum Ausdruck gebracht, dass die katholischen Bischöfe voll hinter den Ärzten und Schwestern stehen, die entsprechend ihrem christlichen Gewissen handeln und an Abtreibungen nicht mitwirken.

Von der evangelischen Kirche wurde bekannt, dass sie sich mit diesen Problemen erst noch näher in einer Beratung befassen werde und vorläufig keine Aktivitäten unternehme.

Anlage zur Information Nr. 27/72

Erklärung der katholischen Bischöfe und Bischöflichen Kommissare in der Deutschen Demokratischen Republik

Mit Bedauern und großer Sorge haben wir am 23. Dezember 1971 durch die Presse den Beschluss des Ministerrates der DDR zur Kenntnis nehmen müssen, dass in einer künftigen gesetzlichen Regelung jede Frau selbst entscheiden kann, ob sie bis zum Ablauf von drei Monaten ihre Schwangerschaft unterbrechen möchte.3

Als vor über sechs Jahren die Unterbrechung der Schwangerschaft auf Antrag bei der zuständigen Kommission des Gesundheitswesens gesetzlich erlaubt wurde,4 haben wir in unserer Erklärung vom 1. November 19655 darauf hingewiesen, dass damit eine unheilvolle Entwicklung für das ganze Volk beginnen würde.

Dies wird durch die geplante neue Regelung bestätigt, die nach diesen sechs Jahren wiederum der illegalen Abtreibung steuern soll. Sie wird aber selbst wiederum Anfang eines größeren Schadens sein.

Wir müssen heute wie damals an die unaufgebbare christliche Überzeugung erinnern, dass jegliches menschliche Leben seine eigene Würde hat und daher dem Schutz des Einzelnen und der Gesellschaft anvertraut ist.

Das Zweite Vatikanische Konzil6 sagt dazu: »Gott der Herr des Lebens hat den Menschen die hohe Aufgabe der Erhaltung des Lebens übertragen, die auf eine menschenwürdige Weise erfüllt werden muss. Das Leben ist daher von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen.« (Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, Nr. 51)

Die Kirche sieht durchaus die möglichen Schwierigkeiten und weiß um persönliche Notlagen, die entstehen können. Dennoch muss sie unsittliche Lösungen ablehnen. Ebenso wie die katholischen Bischöfe der Länder, in denen Schwangerschaftsunterbrechungen bereits gesetzlich erlaubt wurden, erklären wir in Übereinstimmung mit dem Konzil: »Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen«. (ebd.)

Für den Christen ist das werdende Leben nicht der Verfügung und den Interessen des Einzelnen oder der Gesellschaft ausgeliefert. Wir bitten und ermahnen daher alle Gläubigen, ihr Gewissen am Gebot Gottes auszurichten, auch wenn in der Öffentlichkeit mit scheinbar guten Gründen andere Meinungen vertreten werden. Jedes menschliche Leben steht unter dem Schutz des Gebotes Gottes: Du sollst nicht töten.

Es ist die Aufgabe eines jeden Staates, das menschliche Leben zu schützen, zumal das wehrlose Leben, das des besonderen Schutzes bedarf.

Für die werdende Mutter und für das Kind ist in der sonstigen Gesetzgebung der DDR in besonderer Weise gesorgt, in medizinischer, sozialer, arbeitsrechtlicher und finanzieller Hinsicht.

Gerade deshalb ist eine Notlage, die eine Abtreibung rechtfertigen könnte, schwerlich gegeben.

Wenn eine Gesellschaft auf den gesetzlichen Schutz des werdenden Lebens verzichtet, wird sie mit ihrem Bemühen um wahren Humanismus unglaubwürdig.

Eine Praxis der Abtreibung werdenden Lebens bis zum dritten Monat, die allein in die freie Entscheidung der einzelnen Frau gestellt wäre, müsste das Empfinden für den Wert des Menschenlebens überhaupt schwer schädigen.

Für das Lebensrecht des Menschen kann es keine zeitlichen Schranken geben. Ebenso wenig wie der Greis darf das Kind im Mutterleib seines Lebens beraubt werden.

Der so zu befürchtende Schaden wäre verhängnisvoller als das ebenfalls zu erwartende Sinken der Geburtenziffer.

Wir Bischöfe treten mit dieser Erklärung auch für die Ärzte und Schwestern ein, die nach ihrem christlichen Gewissen und nach ihrem ärztlichen Ethos bei einer Abtreibung nicht mitwirken können.

Wir erwarten, dass ihnen kein persönlicher und beruflicher Nachteil erwächst, wenn sie entsprechend der durch die Verfassung der DDR garantierten Gewissensfreiheit handeln.

Wir Christen sind der Überzeugung, dass unser Festhalten an der Unantastbarkeit und unser Eintreten für den Schutz menschlichen Lebens dem Wohle des einzelnen und der ganzen Gesellschaft dient.

Für uns gilt das Gebot Gottes, des Schöpfers: »Du sollst nicht töten.«

Berlin den 3. Januar 1972

  • Alfred Cardinal Bengsch Erzbischof Bischof von Berlin

  • Gerhard Schaffran Bischof von Meißen

  • Hugo Aufderbeck Bischof und Commissarius in Erfurt

  • Heinrich Theissing Bischof und Commissarius in Schwerin

  • Johannes Braun Bischof und Commissarius in Magdeburg

  • Bernhard Huhn Weihbischof und Generalvikar in Görlitz

  • Prälat Karl Ebert Bischöflicher Commissarius in Meiningen

  • Johannes Kleineidam Weihbischof in Berlin

– Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch bestimmt –

  1. Zum nächsten Dokument Kriminelle Handlungen im VEB Magdeburger Armaturenwerke

    10. Januar 1972
    Information Nr. 23/72 über kriminelle Handlungen von Mitarbeitern der Außenstelle Berlin des VEB Magdeburger Armaturenwerke (MAW)

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    6. Januar 1972
    Information Nr. 11/72 über einen Hirtenbrief der evangelischen Bischöfe der DDR, Probleme der Volksbildung betreffend