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Durchführung der Geste des guten Willens der DDR

29. Mai 1972
Information Nr. 520/72 über die Durchführung der Geste des guten Willens der DDR

1. Politische Wirkung und Wertung der Maßnahmen

Die nach der ersten Etappe der Geste des guten Willens1 getroffene Einschätzung der positiven Wirkung und Wertung der Haltung der DDR und der von den beteiligten Organen dazu getroffenen Maßnahmen fand auch während und nach der zweiten Etappe volle Bestätigung.

Die Richtigkeit und Wirksamkeit unserer Politik trat nach erfolgreichem Abschluss der Geste des guten Willens noch deutlicher sichtbar hervor.

Das findet seinen Ausdruck besonders in folgenden Fakten:

  • Große Teile der internationalen Öffentlichkeit, der Bevölkerung der DDR sowie der BRD und Westberlins verstanden und würdigten unsere Maßnahmen als konkreten Beitrag zur Entspannung und Festigung der Sicherheit in Europa.

  • Unsere Maßnahmen als Bestandteil der großen Offensive der sozialistischen Gemeinschaft mit der Sowjetunion an der Spitze für Frieden und Entspannung machten deutlich und förderten die Überzeugung, dass es den sozialistischen Staaten mit der noch wirksameren Durchsetzung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz ernst ist. Das erhöhte das Ansehen der sozialistischen Staaten und ihrer konstruktiven Friedenspolitik.

  • Ganz konkret wurde vor allem dazu beigetragen, die Ratifizierung der Verträge UdSSR – BRD2 und VR Polen – BRD3 in Bonn zu sichern und weitere Voraussetzungen für die Vorbereitung einer europäischen Sicherheitskonferenz4 zu schaffen.

  • In diesem Zusammenhang übte die DDR einen wesentlichen Einfluss auf die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der BRD aus und hatte damit Anteil an der Zurückdrängung der Gegner der Verträge und der Entspannung in Bonn.5

  • Dabei gelang es auch, die aggressiven, offen revanchistischen Kräfte in der BRD vor der Bevölkerung der BRD und Westberlins zu entlarven und sichtbar zu machen, dass von ihnen keine Schritte in Richtung Frieden und Entspannung, die den Menschen nutzt, zu erwarten sind.

Es ist eindeutig erwiesen, dass die Geste des guten Willens der DDR einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Differenzierungsprozess und die Meinungsbildung auch in führenden politischen Kreisen der BRD ausübte.

Die Regierung Brandt6 musste anerkennen, dass es die DDR mit Geist und Buchstaben der abgeschlossenen Verträge, Abkommen und Vereinbarungen ernst nimmt.

Die CDU/CSU musste in ihrem Kampf gegen die Verträge der Tatsache Rechnung tragen, dass große Teile der Bevölkerung der BRD und Westberlins unsere Maßnahmen und die sich aus der Ratifizierung der Verträge ergebenden weiteren positiven Aussichten begrüßten.

Die Führer der CDU haben sich im Ergebnis dieser Entwicklung gescheut, die Verantwortung für ein Scheitern der Verträge zu übernehmen.7

Was die Reaktion der Bevölkerung der DDR und vieler westdeutscher und Westberliner Bürger auf die Geste der DDR betrifft, so ist einzuschätzen, dass im Vordergrund der Stellungnahmen und Meinungsäußerungen die große politische Bedeutung unserer Maßnahmen stand.

Es wurde weitgehend anerkannt und gewürdigt, dass es sich dabei um eine wichtige Entspannungsinitiative der DDR handelte, die in das umfassende europäische Friedensprogramm der sozialistischen Staaten eingeordnet war und Ausdruck der Realisierung des Friedenskonzepts des VIII. Parteitages der SED8 ist.

Es wurde insbesondere verstanden, dass unsere Maßnahmen darauf gerichtet waren, allen Kräften in der BRD zu helfen, die für die Ratifizierung der Verträge eintraten.

Von vielen Bürgern der BRD und Westberlins wurde die entspannungsfeindliche Linie der aggressiven imperialistischen Kreise der BRD besser erkannt als vorher. Die destruktive Haltung dieser Kreise wurde mit Empörung aufgenommen und auch von solchen Bürgern verurteilt, die generell nur geringes Interesse an politischen Fragen zeigen.

Als Ausdruck der Anerkennung des Strebens der DDR, der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten nach Frieden und Entspannung wuchs in der Bevölkerung der BRD und Westberlins das Vertrauen in die Politik der sozialistischen Staaten.

Es nahm die Erwartung zu, dass sich die Entspannungstendenzen weiter durchsetzen werden, verbunden mit Optimismus hinsichtlich weiterer Maßnahmen in Richtung Normalisierung und gutnachbarlicher Beziehungen im Interesse des Friedens und der Menschen.

2. Nutzung der Möglichkeiten im Reise- und Besucherverkehr und im wechselseitigen Transitverkehr

Die breite Zustimmung zu unseren Maßnahmen fand ihren sichtbarsten Ausdruck in der umfangreichen Nutzung der mit der Geste des guten Willens eingeräumten Möglichkeiten des Reise- und Besucherverkehrs Westberliner Bürger in die DDR und des wechselseitigen Transitverkehrs zwischen der BRD und Westberlin.

Im Zeitraum vom 29.3. bis 5.4.1972 und vom 17.5. bis 24.5.1972 erfolgten insgesamt 1 043 473 Einreisen Westberliner Bürger, einschließlich Kinder bis zu 16 Jahren, davon während des Osterzeitraumes 431 400 Einreisen und während des Pfingstzeitraumes 612 073 Einreisen.

Im zweiten Besuchszeitraum reisten 180 673 mehr Westberliner Bürger in die DDR ein als im ersten Besuchszeitraum (Steigerung um 42 %).

In diesem Zusammenhang konnte festgestellt werden,

  • dass viele Westberliner Bürger in beiden Zeiträumen von den Reise- und Besuchsmöglichkeiten in der DDR Gebrauch gemacht haben;

  • dass wesentlich mehr Westberliner Bürger von den Möglichkeiten eines zwei- bzw. dreitägigen Aufenthaltes in der DDR Gebrauch gemacht haben (54 % aller eingereisten Westberliner Bürger);

  • dass fast doppelt so viel Westberliner Bürger in die Bezirke der DDR eingereist sind als im Osterzeitraum, wobei die Konzentration der Einreisen auf die Hauptstadt Berlin und den Bezirk Potsdam (75 % aller Einreisen) jedoch bestehen blieb;

  • dass im zweiten Besuchszeitraum eine große Anzahl Westberliner Bürger einreiste, die trotz Antragstellung im Osterzeitraum nicht eingereist war, sondern zunächst eine abwartende Haltung eingenommen hatte.

Verbreitete Zustimmung, besonders in der Bevölkerung der BRD und Westberlins, fanden auch die Regelungen des Abkommens über den Transit von zivilen Personen und Gütern zwischen der BRD und Westberlin.9

Im Zeitraum der zeitweiligen Inkraftsetzung wurden im wechselseitigen Transitverkehr zwischen der BRD und Westberlin insgesamt 761 901 Transitreisende (und 274 292 Transitfahrzeuge) über die Grenzübergangsstellen der DDR abgefertigt. Das ist eine Steigerung bei den im Transit abgefertigten Personen um 10 % gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres, wobei besonders hervorzuheben ist, dass die Steigerung bei Bürgern der BRD 25 % betrug.

Besonders beachtenswert ist, dass führende Vertreter des politischen bzw. gesellschaftlichen Lebens Westberlins die Einreisemöglichkeiten in die DDR in der zweiten Besuchsperiode in wesentlich größerem Umfang nutzten als im Osterzeitraum.

Während in der Osterperiode von 67 beantragten und genehmigten Einreisen 23 genutzt wurden, erhöhte sich die Zahl der in der Pfingstperiode beantragten und genehmigten Einreisen auf 98.

Von der Einreise machten 62 führende Vertreter des politischen bzw. gesellschaftlichen Lebens Gebrauch, darunter

  • sechs Westberliner Mitglieder des Bundestages,

  • 35 Mitglieder des Westberliner Abgeordnetenhauses,

  • acht Senatoren,

  • vier Bezirksbürgermeister,

  • vier vorsitzende Westberliner Gewerkschaftsverbände

  • sowie einige Mitglieder der Landesvorstände der SPD, FDP und CDU.

  • Darunter befanden sich u. a.

  • der Regierende Bürgermeister Schütz,10

  • der Bürgermeister Neubauer,11

  • der Vorsitzende der CDU-Fraktion Heinrich Lummer,12

  • die Mitglieder des Bundestages Mattick13 (SPD), Löffler14 (SPD, Borm15 (FDP),

  • die Senatoren Ilse Reichel,16 Prof. Dr. Wolters,17 Horst Korber,18 Prof. Dr. Stein,19 Heinz Striek,20 Werner Müller,21

  • der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Klaus Riebschläger22 (SPD).

Nach bisher vorliegenden Erkenntnissen entwickelten sie während ihres Aufenthaltes in der DDR keine offenen politischen Aktivitäten, wobei jedoch ihre Präsenz selbst in den unmittelbaren Umgangskreisen eine bestimmte politische Wirkung hinterließ.

Die Mehrzahl der Westberliner und westdeutschen Bürger hat sich während des Aufenthaltes in der DDR bzw. während des Transitverkehrs durch die DDR diszipliniert verhalten und die öffentliche Ordnung der DDR eingehalten.

Bei den in einer Reihe von Fällen festgestellten Verstößen und Verletzungen der Abkommen und Vereinbarungen sowie der gesetzlichen Bestimmungen der DDR wurden die – der festgelegten Linie entsprechenden – erforderlichen Maßnahmen eingeleitet.

3. Missbrauchshandlungen und andere Verstöße besonders gegen die Bestimmungen des Transitabkommensy23

Bei den während der zeitweiligen Inkraftsetzung des Transitabkommens und der Reise- und Besuchervereinbarung festgestellten Missbrauchshandlungen und anderen Verstößen traten als wesentliche Ursachen und begünstigende Bedingungen hervor:

  • die bewusste Störung bzw. Missachtung der öffentlichen Ordnung der DDR,

  • die Unkenntnis über Bestimmungen des Transitabkommens sowie

  • irreführende und desorientierende Auskünfte durch staatliche und andere Organe der BRD an Transitreisende.

Die festgestellten Missbrauchshandlungen (Artikel 1624 des Transitabkommens) umfassen vor allem

  • die Auf- bzw. Mitnahme von DDR-Bürgern in Kfz der Transitreisenden bzw. in Transitschiffen,

  • das Verlassen der vorgesehenen Transitwege und

  • die Begehung von Ordnungswidrigkeiten, indem Transitreisende die Straßenverkehrsvorschriften der DDR verletzten und eine Reihe folgenschwerer Unfälle verursachten sowie die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer gefährdeten.

Bei weiteren festgestellten Verstößen gegen das Transitabkommen und anderen zu beachtenden negativen Erscheinungen im Transitverkehr handelt es sich

  • um das unberechtigte Halten und Parken durchgehender Autobusse auf Parkplätzen, die nicht dafür vorgesehen sind,

  • um organisierte und gezielte Kontaktaufnahmen bzw. Zusammenkünfte auf Transitstrecken und

  • um die verspätete Übergabe von Transitreisezügen durch die Bundesbahn an die Deutsche Reichsbahn.

Vor allem im Pfingstzeitraum wurde der größte Teil der Transitreisezüge von der Bundesbahn mit teilweise erheblichen Verspätungen übergeben (53 Fälle, davon zwei Züge mit 106 bzw. 95 Minuten Verspätung).

Die Folge davon waren außerplanmäßige Halte und Zugverspätungen auf dem Gebiet der DDR. (Außerplanmäßige Halte begünstigen Zu- und Absteigen von Personen sowie Übergabe und Übernahme von Sachen und Gegenständen und andere negative Erscheinungen.)

4. Feindliche Pläne, Absichten und Maßnahmen

Aufgrund der bisher bekannt gewordenen feindlichen Pläne und Absichten sowie der bereits festgestellten Aktivitäten ist einzuschätzen:

Die im Wesentlichen reibungslose Durchführung der Maßnahmen der Geste des guten Willens darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass von gegnerischen Kräften, insbesondere von den Feindzentralen,25 zur Durchsetzung der feindlichen Zielstellung

  • vielfältige Pläne, Maßnahmen und Methoden zur Ausnutzung der neuen Bedingungen vorbereitet und im Hinblick auf die Dauerregelung weitere Überlegungen dazu angestellt werden,

  • bereits vielfältige Aktivitäten zur Schaffung der entsprechenden Voraussetzungen (Tests, Kontaktanbahnungen, »Studien« usw.) erfolgten.

Es wurde zwar festgestellt, das feindliche Kräfte während der Geste eine gewisse Zurückhaltung übten, um die auch von ihnen mit dem Transit- und Besucherverkehr verfolgte Zielsetzung nicht unmittelbar zu gefährden. Dabei zeigte sich aber auch, dass die wichtigsten Feindzentralen während der gesamten Periode ihre Feindtätigkeit fortsetzten.

Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet nach wie vor die politisch-ideologische Diversion.26

Die Orientierung der Feindzentralen ist weiterhin auf die allseitige und intensive Ausnutzung der neuen Bedingungen und Möglichkeiten für eine Verstärkung der politisch-ideologischen Diversion gegen die DDR gerichtet. Es zeigt sich, dass es ihnen vor allem darum geht, eine größere Basis für die politisch-ideologische Diversion zu schaffen und eine größere Wirksamkeit zu erzielen. Dabei spielen Kontakte, Begegnungen, Treffen usw. in der DDR eine wesentliche und zunehmende Rolle.

Die Zentren der politisch-ideologischen Diversion haben – wie intern bekannt wurde – unter Leitung des Bundesministeriums für »innerdeutsche Beziehungen« in »Auswertung« der Besuchsregelung zu Ostern u. a. festgelegt:

  • Verstärkung und Verbesserung der »Schulung« besonders der Bevölkerungskreise, die durch Besuche usw. mit der DDR-Bevölkerung in Kontakt kommen.

  • Stärkere Koordinierung der entsprechenden Maßnahmen zwischen den Zentren der politisch-ideologischen Diversion.

  • Bereitstellung von zusätzlichen finanziellen Mitteln für die »innerdeutsche Tätigkeit«.

Mithilfe einer verstärkten Kontakttätigkeit sollen vor allem sozialdemokratische Vorstellungen in der DDR verbreitet werden (wurde von Brandt27 auf der letzten Tagung28 der sozialistischen Internationale29 erneut gefordert).

Im Einzelnen befassen sich die Zentren der politisch-ideologischen Diversion besonders mit folgenden inhaltlichen Problemen, die bei der weiteren Forcierung der politisch-ideologischen Diversion gegen die DDR zur Grundlage genommen werden sollen:

  • Hervorhebung der Rolle der SPD und besonders Brandts (Verbreitung von Illusionen darüber);

  • Unterlaufen des Abgrenzungsprozesses (Darstellung der Normalisierung der Beziehungen zur DDR als »Eingeständnis des Bestehens besonderer, innerdeutscher Beziehungen« – Festhalten an der »einheitlichen deutschen Nation«);

  • Verstärkung der Forderungen nach »Freizügigkeit für Menschen, Meinungen und Informationen«;

  • Stärkere Manipulierung mithilfe von »System-Vergleichen« (Ausarbeitung und Verbreitung entsprechender Materialien).

Die Geheimdienste haben in Fortsetzung ihrer feindlichen Tätigkeit während der Geste des guten Willens in der zweiten Besuchsperiode gezielter vorzugehen versucht.

Die Schwerpunkte der Auftragserteilung an die Spione bildeten folgende Fragenkomplexe:

  • politische Haltung und Meinung der DDR-Bevölkerung,

  • konkrete Maßnahmen zur Abwicklung des Transit- und Besuchsverkehrs (auch unter dem Gesichtspunkt einer Dauerregelung).

Die Geheimdienste verlangten z. B. Informationen über die Einschätzung der SPD-Politik durch die DDR-Bevölkerung, über die Meinung der DDR-Bevölkerung zu den Forderungen nach »größerer Freizügigkeit«, insbesondere auf dem Gebiet der Westreisen sowie über die Haltung der DDR-Bevölkerung zu den Verträgen von Moskau und Warschau.

Darüber hinaus konnten Bestrebungen und Tendenzen erkannt und festgestellt werden, die darauf hinzielen, die vereinfachten Verfahren im Transit- und im Reise- und Touristenverkehr vor allem unter den Bedingungen der Dauerregelung für die Geheimdiensttätigkeit auszunutzen.

Ähnliche Feststellungen treffen auf Bestrebungen der Menschenhändlerorganisationen30 zu, die sich vor allem auf Aktivitäten »nach dem Einspielen der Dauerregelung« vorbereiten (z. B. Suche nach neuen Schleusungsmöglichkeiten, Testmaßnahmen, »Studium« der Maßnahmen der DDR-Organe usw.).

5. Probleme der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in der DDR

In den beiden Zeiträumen der zeitweiligen Inkraftsetzung des Transitabkommens und der Reise- und Besuchervereinbarung zeigten sich eine Reihe in der weiteren Entwicklung beachtenswerter Probleme, die für die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung von Bedeutung sind.

In beiden Zeiträumen kam es zu einer umfangreichen politisch-ideologischen Konfrontation zwischen Bürgern der DDR, Westberlins und der BRD.

Die Mehrheit der besuchten Bürger der DDR hat – soweit bisher einzuschätzen ist – bei den Zusammenkünften eine progressive, die Politik der DDR unterstützende Haltung eingenommen.

Diese klare Haltung der DDR-Bürger hat bei vielen Besuchern aus Westberlin und der BRD einen großen Eindruck hinterlassen.

Die DDR-Bürger stützten sich in ihren Gesprächen besonders auf solche Fakten wie

  • die beweiskräftige Politik der Partei- und Staatsführung der BRD zur Erhaltung des Friedens und zur Entspannung;

  • die sozialpolitischen Maßnahmen der DDR-Regierung, die u. a. einen ständig steigenden Lebensstandard der Bevölkerung der DDR gewährleisten;

  • die in der DDR vorhandene Sicherheit und Geborgenheit (Arbeitsplätze, kein Ansteigen der Kriminalität, Sorge um Mutter und Kind und dergleichen);

  • das entwickelte Leistungsbewusstsein der DDR-Bürger und ihr Stolz auf die politische und ökonomische Entwicklung der DDR.

Trotz des progressiven Einflusses, den die DDR-Bürger auf ihre Besucher ausübten, wurden aber auch besonders bei den Teilen der Bevölkerung der DDR, die ein ungefestigtes politisches Bewusstsein haben, durch diese Kontakte bestimmte negative politisch-ideologische Auffassungen hervorgerufen bzw. verstärkt.

Dafür waren vor allem charakteristisch

  • die Überbewertung der Rolle der rechten SPD-Führung und insbesondere der Person Brandts, der als »eigentlicher Initiator« und Verfechter der Entspannungspolitik dargestellt wird;

  • die Zunahme bestimmter ökonomischer Vergleiche, in deren Ergebnis die angebliche Überlegenheit des imperialistischen Systems nachzuweisen versucht wird;

  • Zustimmungserklärungen zur sogenannten Freizügigkeit, durch die das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen gestärkt werde;

  • spekulative Erwägungen hinsichtlich uneingeschränkter Reisen der Bürger der DDR in die BRD und nach Westberlin.

Die in Durchführung der Geste des guten Willens der DDR gewonnenen Erfahrungen verdeutlichen die Notwendigkeit, besondere Aufmerksamkeit den Personen zu schenken, deren feindlich-negative Einstellung und Haltung bekannt ist und bei denen durch Herstellung und Realisierung von Kontakten und Verbindungen eine Aktivierung für feindlich-negative Aktivitäten möglich ist.

Während des zweiten Besuchszeitraumes wurden zunehmend Bestrebungen Westberliner Institutionen, politischer Organisationen und Einzelpersonen bekannt, Kontakte und Verbindungen zu solchen Bürgern der DDR herzustellen bzw. zu reaktivieren, an denen der Gegner aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit oder gesellschaftlichen Stellung besonderes Interesse hat (leitende Kader und Mitarbeiter aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens).

Es hat sich gezeigt, dass ein nicht geringer Teil verantwortlicher Kader und Mitarbeiter direkt oder über dritte Personen Westbesuche empfangen hat. Ein bestimmter Teil davon verhielt sich richtig und nahm einen klassenmäßigen Standpunkt ein.

Es gibt teilweise aber auch noch Unklarheiten hinsichtlich des Verhaltens gegenüber derartigen Kontaktbestrebungen und zur Aufrechterhaltung von Westkontakten insgesamt.

Weiter war in der zweiten Besuchsperiode auch eine Zunahme der Kontaktbestrebungen zu einer Reihe von staatlichen Organen und Institutionen sowie gesellschaftlichen Organisationen der DDR festzustellen.

Solche Aktivitäten zielten z. B.

  • auf Universitäten und Hochschulen (z. B. sprachen allein am 18.5.1972 bei der Humboldt–Universität Berlin 96 Personen, darunter auch ehemalige Studenten dieser Universität, mit der Absicht vor, Kontakte herzustellen, Gespräche zu führen, Besichtigungen durchzuführen usw.);

  • auf wichtige Einrichtungen der Volkswirtschaft (auch Wissenschaft und Forschung, EDV);

  • auf kulturelle Einrichtungen und Sportgemeinschaften.

Diese Bestrebungen unterstreichen die schon wiederholt getroffenen Feststellungen über die gegnerische Orientierung, Kontakte auf unterer Ebene herzustellen, das »Zusammengehörigkeitsgefühl und die Zusammenarbeit der Deutschen« zu entwickeln sowie alle Möglichkeiten zur Abschöpfung auszunutzen.

In den meisten Fällen haben die DDR-Organe und -institutionen auf solche Bestrebungen richtig reagiert. Es erscheint jedoch notwendig, die bestehenden Regelungen und Ordnungen zum Verhalten gegenüber solchen Kontaktversuchen in allen Bereichen politisch richtig und konsequent durchzusetzen.

Wesentlich verstärkt traten in der zweiten Besuchsperiode Bestrebungen auf, Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeiten über Westgrundstücke und Sperrkonten in der DDR zu testen und zu erlangen. Entsprechende Forderungen wurden an örtliche Staatsorgane (Bürgermeister), Pächter und Nutzer herangetragen (besonders Berlin, Bezirke Potsdam und Frankfurt/Oder).

Es kam zu einer Zunahme von Diskussionen unter Westberliner Personenkreisen, die offensichtlich teilweise gesteuert waren und mit denen ein gewisser öffentlicher Druck erzeugt werden sollte. Sie hatten vor allem zum Inhalt,

  • dass sie künftig ihre Grundstücke in der DDR zurückerhalten,

  • dass sie für ihre Grundstücke und Konten in der DDR entschädigt werden.

Interne Informationen aus Senatskreisen, in Verhandlungen zwischen der Regierung der DDR und dem Senat, diese Fragen aufzugreifen, unterstreichen die Notwendigkeit, klare Regelungen zu treffen, die derartige Bestrebungen konsequent unterbinden und mit denen keine politischen und ökonomischen Nachteile für die DDR zugelassen werden.

  1. Zum nächsten Dokument Ungesetzliches Verlassen der DDR bei Gastspielreise

    2. Juni 1972
    Information Nr. 530/72 über das ungesetzliche Verlassen der DDR durch Angehörige des Landestheaters Halle anlässlich einer Gastspielreise nach Wiesbaden

  2. Zum vorherigen Dokument Entwicklung des Reise- und Transitverkehrs (17.5.–24.5.) (3)

    25. Mai 1972
    Information Nr. 512/72 über den Abschluss der Abfertigung und Abwicklung des Reise- und Besucherverkehrs Westberliner Bürger in die DDR und des wechselseitigen Transitverkehrs von zivilen Personen und Gütern zwischen der BRD und Westberlin in der Zeit vom 17. bis 24. Mai 1972