Entwendung eines Maschinengewehres aus NVA-Panzerregiment
20. März 1972
Information Nr. 244/72 über die Entwendung eines Maschinengewehres und dazugehöriger Munition aus dem Panzerregiment der NVA »Friedrich Wolf« in Burg, Bezirk Magdeburg, am 9. März 1972
Am 9.3.1972, gegen 18.00 Uhr, hörte der freiwillige Helfer der Deutschen Volkspolizei, [Name 1, Vorname], wohnhaft Grabow, [Straße, Nr.], der sich in der Feldmark zwischen der Ortschaft Gütter, Kreis Burg, und dem NVA-Objekt Waldfrieden1 des Panzerregiments »Friedrich Wolf« auf Raubwildjagd befand, aus einer Handfeuerwaffe abgegebene Schüsse und stellte gleichzeitig in seiner unmittelbaren Nähe Geschoßeinschläge fest.
Beim anschließenden Absuchen des Ereignisortes wurde durch den VP-Helfer [Name 1] und den von ihm benachrichtigten Abschnittsbevollmächtigten der Deutschen Volkspolizei der Ortschaft Gütter, Kreis Burg, unter einem Steinhaufen versteckt ein Maschinengewehr vom Typ PA 0276 sichergestellt.
Die im Ergebnis der sofortigen Meldung des Waffenfundes an das VPKA Burg durch die VP und das MfS eingeleiteten Maßnahmen ergaben, dass dieses Maschinengewehr aus einem auf dem Konservierungsplatz der Zentralen Reserve des Militärbezirkes V im NVA-Panzerregiment Waldfrieden abgestellten Panzer gestohlen worden war.
Die Überprüfungen durch die NVA ergaben ferner, dass aus dem Munitionslager des Panzerregimentes »Friedrich Wolf« insgesamt 179 Patronen vom Kaliber 7,62 mm entwendet worden waren.
In den vom MfS im Zusammenwirken mit anderen bewaffneten Organen bisher geführten Untersuchungen wurden als Täter des Waffen- und Munitionsdiebstahles und der Schusswaffenanwendung die Schüler der fünften Klasse der Hilfsschule Burg, [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1959 in Burg, wohnhaft: Burg, [Straße, Nr.] und [Name 3, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1956 in Burg wohnhaft: Gütter, Kreis Burg, [Nr.], ermittelt.
Beide Schüler hatten am 9.3.1972 während einer Unterrichtspause vereinbart, sich am Nachmittag des gleichen Tages zum NVA-Objekt Waldfrieden des Panzerregiments »Friedrich Wolf« zu begeben mit dem Ziel, in diesem Objekt nach einem Motorrad zu suchen und dieses zu entwenden.
Nachdem sie gegen 12.30 Uhr an diesem Objekt angelangt waren und eine größere Anzahl von Lastkraftwagen (mit Munition beladene Einsatzfahrzeuge) bemerkten, die innerhalb des mit Maschendraht dreifach umzäunten Objektes abgestellt waren; entschlossen sie sich, die Fahrerkabinen dieser Lastkraftwagen nach Zigaretten zu durchsuchen.
Da sie feststellten, dass weder ein Posten der NVA vorhanden noch der in der Nähe befindliche Postenturm besetzt war, drangen sie nach Überwindung der drei vorhandenen Maschendrahtzäune in dieses Objekt ein und begaben sich unbemerkt zu den abgestellten Lastkraftwagen, deren Fahrerkabinen sie ergebnislos nach Zigaretten durchsuchten.
Anschließend begaben sie sich zu einem in der Nähe befindlichen offenstehenden Schuppen, in dem Maschinengewehr- und Panzermunition gelagert wird. Hier entnahmen sie aus einer verplombten Munitionskiste ca. 10–12 Schachteln mit je zehn Schuss Maschinengewehrmunition, Kaliber 7,62 mm, die sie ihren Angaben zufolge auf dem Heimweg durch Hineinwerfen in ein Feuer zur Explosion bringen wollten.
Da sich beide Schüler ihren Angaben zufolge innerhalb des Objektes völlig sicher fühlten und sich deshalb noch weiter umsehen wollten, versteckten sie die Munition innerhalb dieses Objekts und entfernten sich durch Unterkriechen eines im Zaun befindlichen Tores sowie Durchschreiten eines weiteren Tores aus diesem Objekt.
Nachdem sie ca. drei km durch ein Waldgelände gelaufen waren, gelangten sie erneut an eine Maschendrahtumzäunung dieses NVA-Objektes, hinter welcher sich der Konservierungsplatz der Zentralen Reserve des Panzerregimentes »Friedrich Wolf« mit etwa 100 mit Planen abgedeckten Panzern vom Typ T34/85 befindet.
Da die Täter auch hier keine NVA-Posten sahen, entschlossen sie sich, die Panzer nach Nahrungsmitteln und Zigaretten zu durchsuchen.
Sie unterkrochen den Maschendrahtzaun und begaben sich unbemerkt an den ersten Panzer, hoben die Abdeckungsplane an, krochen durch die wegen der notwendigen Entlüftung geöffneten, jedoch mittels Schnur kreuzweise verplombte Fahrereinstiegsluke in den Panzer und beschlossen, eines der zwei im Panzer festgestellten Maschinengewehre zu entwenden, um damit in der Feldmark zu schießen.
(Es handelt sich dabei um die zwei Maschinengewehre, die zur strukturmäßigen Bewaffnung dieser Panzer gehören. Die Maschinengewehre befanden sich im konservierten Zustand (Plastebeutel), waren aber nicht befestigt oder anderweitig gesichert.)
Entsprechend dieser Abmachung verließen sie unter Mitnahme eines Maschinengewehres unverzüglich das Objekt, versteckten das Maschinengewehr im Wald und drangen auf dem ihnen bereits bekannten Weg erneut in das Objekt des Munitionslagers ein, um sich die von ihnen im Erdreich versteckte Munition zu holen.
Anschließend begaben sie sich mit der Waffe und der Munition in Richtung der Ortschaft Obergütter. Unterwegs bestiegen sie einen in der Feldmark stehenden Strohdiemen2 und schossen von diesem Standort aus in der Zeit von 17.00 bis 18.00 Uhr mit dem Maschinengewehr in verschiedene Richtungen, unter anderem in Richtung der ca. 2 000 m entfernten Straße Burg, Kreis Grabow und des bereits genannten NVA-Objektes.
Die Täter gaben insgesamt ca. 30 Schuss ab. Aufgrund einer Ladehemmung stellten sie schließlich das Schießen ein und versteckten die Waffe in der Nähe des Strohdiemens, wo sie – wie bereits angeführt – sichergestellt werden konnte.
Den Rest der Munition verpackte [Name 2] in einem Plastebeutel und versteckte diese im Erdreich eines Ackers in der Nähe des Pionierhauses Burg.
Die Waffe und die restliche Munition wollten die Täter nach eigenen Angaben am 10.3.1972 abholen, um erneut von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.
Der Plastebeutel mit insgesamt 74 Patronen wurde sichergestellt. Außerdem wurden unterhalb des erwähnten Strohdiemens 26 leere Patronenhülsen gefunden.
Der Verbleib der restlichen 79 Patronen von den insgesamt 179 aus dem NVA-Objekt entwendeten Patronen konnte bisher noch nicht geklärt werden.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben, dass das Vorkommnis durch wesentliche Mängel in der Absicherung des NVA-Objektes Waldfrieden begünstigt wurde:
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Die kräftemäßige Absicherung des Objektes wird durch die Größe und Unübersichtlichkeit der Postenbereiche wesentlich erschwert. So wird beispielsweise das Munitionslager (ca. 500 × 200 m) nur durch einen Einzelposten gesichert, der aufgrund der geografischen Beschaffenheit und Bodenbewachsung nicht in der Lage ist, dieses Gelände zu übersehen. Die Objektumzäunung ist schadhaft und bietet Möglichkeiten des ungehinderten Eindringens. Eine pioniertechnische Sicherung durch Signalmittel ist nicht vorhanden. Vom Postenstandort zur Hauptwache besteht keine Telefonverbindung.
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Es existiert keine exakte Festlegung des Leiters der Zentralen Reserve des Militärbezirkes V (Neubrandenburg) für die allseitige Sicherung der aufmunitioniert und konserviert abgestellte Panzertechnik.
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Die während der Tatzeit am Munitionslager und am Konservierungsplatz eingesetzten Posten wurden nur ungenügend in ihre Aufgaben eingewiesen. Entgegen der bestehenden Wachdienstvorschrift wurde den Posten durch den Kompanieführer, Oberleutnant Mistereck,3 befohlen, sich während ihres Postendienstes ständig in der Nähe der Einfahrtstore aufzuhalten, da sich eine Kommission der übergeordneten Dienststelle angesagt hatte, die eventuell auch das Munitionslager besichtigen wolle.
Bisherigen Untersuchungen zufolge sind diese Mängel in der Wachsamkeit auf wesentliche Schwächen in der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit zurückzuführen. Das sorglose und leichtfertige Verhalten der Sicherungsposten wird durch die Feststellung der Untersuchungskommission unterstrichen, dass einige Stunden, nachdem das Panzerregiment I infolge einer am 9.3.1972 um 22.00 Uhr erfolgten Alarmauslösung das Objekt verlassen hatte; die Ausfahrtstore der Abstellplätze noch offenstanden.
Zur Beseitigung der bisher festgestellten Mängel und Missstände bezüglich der Absicherung des NVA-Objektes Waldfrieden wurden durch das MfS in Zusammenarbeit mit dem Militärbezirk V die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet.
Die weiteren Untersuchungen zur Täterpersönlichkeit ergaben:
Beide Schüler sind in asozialen Familienverhältnissen aufgewachsen. [Name 2] war seit 1967 durch insgesamt 17 und [Name 3] durch insgesamt fünf kriminelle Handlungen, insbesondere Diebstahl und unbefugtes Benutzen von Kleinkrafträdern, angefallen.
Durch das VPKA Burg war bereits am 2.2.1972 gegen [Name 2] Antrag auf Heimeinweisung gestellt worden. Im Ergebnis der durchgeführten Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Vorkommnis am 9.3.1972 wurde dieser Antrag am 9.3.1972 realisiert.
Bei [Name 3], der geistig völlig unterentwickelt ist, wurde die Einleitung einer psychiatrischen Untersuchung festgelegt.
Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung der Ursachen für die erkannten Mängel und Unzulänglichkeiten in der Absicherung des NVA-Objektes Waldfrieden werden im Zusammenwirken mit der Untersuchungskommission des Militärbezirkes V fortgeführt.