Entwicklung des Reiseverkehrs DDR– Polen (1)
23. November 1972
Information Nr. 1075/72 über die Entwicklung des pass- und visafreien Reiseverkehrs zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen
1. Entwicklung des pass- und visafreien Reiseverkehrs zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen
Seit dem Inkrafttreten des pass- und visafreien Reiseverkehrs zwischen der DDR und der VR Polen am 1.1.19721 haben bis einschließlich 22.11.1972 15 670 160 Bürger der VR Polen und der DDR von den neuen Möglichkeiten des Reiseverkehrs zwischen unseren sozialistischen Bruderländern Gebrauch gemacht.
Davon reisten
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6 473 565 Bürger der DDR (977 457 Kfz) in die VR Polen (das entspricht 41,4 % des Gesamtreisestromes) und
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9 141 595 Bürger der VR Polen (741 463Kfz) in die DDR (das entspricht 58,6 % des Gesamtreisestromes).
Die Aufgliederung des Reiseverkehrs zwischen der DDR und der VR Polen auf die Monate Januar bis November 1972 (22.11.1972) ergibt folgende Übersicht:
[Monat] | Bürger der DDR (Ausreise) | Bürger der VR Polen (Einreise) |
---|---|---|
Januar | 380 090 | 311 354 |
Februar | 454 056 | 481 720 |
März | 371 308 | 625 764 |
April | 454 159 | 585 485 |
Mai | 728 131 | 910 771 |
Juni | 689 745 | 1 065 320 |
Juli | 944 173 | 1 213 359 |
August | 1 057 655 | 1 363 902 |
September | 579 083 | 998 600 |
Oktober | 555 615 | 1 007 526 |
November | 223 550 | 677 794 (1. bis 27.11.) |
Während im Monat Januar 1972 70 000 mehr DDR-Bürger in die VR Polen ausreisten, als Bürger der VR Polen in die DDR eingereist waren, ist seit Februar 1972 festzustellen, dass – mit ständig steigender Tendenz – monatlich mehr polnische Bürger in die DDR einreisten als DDR-Bürger in die VR Polen ausreisten.
Dazu folgende Übersicht über die im Verhältnis zu Ausreisen von DDR-Bürgern mehr eingereisten Bürger der VR Polen:
Februar | 27 664 |
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März | 253 456 |
April | 131 326 |
Mai | 182 640 |
Juni | 375 575 |
Juli | 269 186 |
August | 286 247 |
September | 419 517 |
Oktober | 451 911 |
November (1. bis 28.11.) | 454 244 |
Während in den Monaten Juni, Juli, August und Oktober die bisher höchsten Einreisen von Bürgern der VR Polen in die DDR festgestellt wurden (jeweils über 1 Mio.), sind die meisten Ausreisen von DDR-Bürgern in die VR Polen in den Haupturlaubsmonaten Juli und August erfolgt.
Seit Inkrafttreten der Vereinbarungen über den visafreien Reiseverkehr ist festzustellen, dass Bürger der VR Polen vorwiegend an den Wochentagen (Montag bis Freitag) in die DDR einreisen (83,1 % an Wochentagen, 16,9 % Sonnabend/Sonntag). DDR-Bürger reisten an den Wochentagen (Montag bis Freitag) 59,7 % und an den Wochenenden (Sonnabend/Sonntag) 40,3% in die VR Polen aus.
Trotz eines im Vergleich zu 1971 erfolgten Anstieges des organisierten Tourismus (1971 beanspruchten 25 989 polnische Bürger Leistungen des Reisebüros; 1972 ca. 130 000) beträgt der Anteil der organisierten Touristenreisen an den Gesamteinreisen polnischer Bürger in die DDR nur 2 %.
Obwohl ein umfangreiches Angebot von Reisezielen durch das Reisebüro der DDR vorlag, konzentrierten sich die Reisen polnischer Touristen – überwiegend Wochenend-Kurzreisen – nur auf die Hauptstadt der DDR sowie auf die Bezirke Dresden und Leipzig.
Insgesamt ist bei den organisierten Touristenreisen polnischer Bürger in die DDR ein Rückgang der Aufenthaltstage von durchschnittlich 3,7 Tagen im Jahre 1971 auf 1,5 Tage im Jahre 1972 zu verzeichnen. Er resultiert aus dem starken Rückgang der längerfristigen Reisen (Pauschalreisen) zugunsten von preisgünstigeren Kurzreisen.
Durch das Reisebüro der DDR wurde 1972 mit dem polnischen Reisebüro eine Vereinbarung über den touristischen Aufenthalt von 70 000 Bürgern der DDR in der VR Polen getroffen.2
Bis einschließlich 20.11.1972 erfolgten bereits Kurzfahrten bzw. Pauschalreisen von insgesamt 130 000 DDR-Bürgern.
(Aufgrund der großen Nachfrage nach Touristenreisen in die VR Polen, besonders an die polnische Ostseeküste und in die Tatra, wurden durch das Reisebüro der DDR Zusatzvereinbarungen mit dem polnischen Reisebüro getroffen.)
Circa 100 000 weitere Anfragen von DDR-Bürgern zwecks Touristenreisen in die VR Polen – besonders Kurzreisen – konnten durch das Reisebüro der DDR wegen fehlender Kapazitäten auf polnischer Seite nicht realisiert werden.
2. Anwachsen negativer Reaktionen unter der Bevölkerung der DDR zur Gewährleistung des Handels und der Versorgung in bestimmten Konzentrationspunkten des visafreien Reiseverkehrs von Bürgern der VR Polen in die DDR
Es liegen umfassende Informationen darüber vor, dass es in bestimmten territorialen Konzentrationspunkten des visafreien Reiseverkehrs von Bürgern der VR Polen in die DDR zu einem weiteren Anwachsen negativer Reaktionen unter der Bevölkerung der DDR gekommen ist.
Ausgangspunkt und Gegenstand dieser Entwicklung bilden im Wesentlichen die ungenügende Gewährleistung einer stabilen Versorgung mit Nahrungs- und Genussmitteln, insbesondere aber mit Industriewaren aller Art, in diesen Konzentrationspunkten, die vor allem auf den visafreien Reiseverkehr von Bürgern der VR Polen in diese Gebiete der DDR und die damit verbundenen Auswirkungen zurückgeführt wird.
Durch die breite Diskussion der Probleme des Handels und der Versorgung, besonders in Verbindung mit dem visafreien Reiseverkehr mit der VR Polen, wird zunehmend das gesamte gesellschaftliche Leben in diesen Gebieten und Orten beeinflusst. Die Aussprachen über wichtige politische Fragen treten dadurch bedingt in den Hintergrund.
Bei prinzipieller Zustimmung zum visafreien Reiseverkehr und Erkennen der großen politischen Bedeutung dieser Maßnahmen sind in den Konzentrationspunkten verstärkt Tendenzen festzustellen, die Diskussion dieser Probleme mit einer dementsprechenden Kritik an der Wirtschaftspolitik der DDR zu verbinden.
Zum Beispiel wird erklärt, dass dadurch eine Schmälerung der mit dem VIII. Parteitag der SED3 eingeleiteten Verbesserungen der Lebensbedingungen eingetreten sei,4 die Versorgung in einer Reihe von Sortimenten noch schlechter als vor dem VIII. Parteitag sei, dass diese Entwicklung ein Ausdruck der ungenügenden Beherrschung der ökonomischen Situation sei.
Da als Ursachen für die nachfolgend genannten Probleme in erster Linie die Abkäufe durch Bürger der VR Polen gesehen werden, ist besonders seit Beginn des zweiten Halbjahres gleichzeitig eine Zunahme antipolnischer, nationalistischer Tendenzen in der Reaktion der Bevölkerung der DDR festzustellen. Diese Tendenzen haben in den genannten Konzentrationspunkten, besonders in den unmittelbaren Grenzgebieten, in allen Bevölkerungsschichten einen beachtlichen Umfang angenommen. Sie äußern sich in den meisten Fällen in entsprechenden Diskussionen im Zusammenhang mit der direkten Ablehnung der den Bürgern der VR Polen in der DDR eingeräumten Einkaufsmöglichkeiten, in Einzelfällen aber auch im Zusammenhang mit Zurechtweisungen und Beschimpfungen polnischer Bürger in den Verkaufsstellen.
Diese Haltung wird teilweise durch das Auftreten polnischer Bürger in Verkaufsstellen genährt bzw. begünstigt. Aus Einkaufszentren polnischer Bürger in der DDR wurden eine Reihe von Beispielen bekannt, wonach diese zum Teil rücksichtslos, unfreundlich, anmaßend und arrogant auftreten.
Besondere Besorgnis wird im Hinblick auf die Festtagsversorgung zu Weihnachten und Neujahr geäußert.
Da zu diesen Anlässen mit einem noch wesentlich gesteigerten Abkauf durch Bürger der VR Polen zu rechnen sei, würde sich die schon gegenwärtig äußerst angespannte Situation offenkundig noch weiter zuspitzen.
Von dieser Einschätzung ausgehend wird von großen Teilen der Bevölkerung der DDR die Forderung erhoben, die mit dem visafreien Reiseverkehr verbundenen Probleme und Auswirkungen allseitig und konkret zu analysieren, die zur Bewältigung dieser Probleme erforderlichen Voraussetzungen – vor allem hinsichtlich Warenzufuhr, Erweiterung der Kapazitäten, Arbeitskräfte – gründlich herauszuarbeiten, die entsprechenden Aufgaben in die Pläne einzuordnen und darüber hinaus solche Maßnahmen zu ergreifen, die größere negative Auswirkungen verhindern.
In diesem Zusammenhang werden bestimmte Forderungen erhoben bzw. Vorstellungen geäußert, geeignete Maßnahmen zur Einschränkung derartiger Abkäufe, vor allem aber zur Unterbindung von offenkundigen Spekulationskäufen zu ergreifen. Derartige Forderungen bzw. Vorstellungen beziehen sich vor allem auf
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die Einschränkung und Limitierung des Verkaufs von Zahlungsmitteln der DDR in der VR Polen (einschließlich einer entsprechenden Nachweisführung),
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den Erlass entsprechender Zollbestimmungen, um eine Begrenzung der Warenausfuhr zu erreichen und
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auf den Erlass von Ausfuhrverboten für bestimmte Engpasswaren der DDR.
In diesem Zusammenhang wird wiederholt auf die entsprechenden Bestimmungen der ČSSR-Organe verwiesen.
3. Konzentrationspunkte des visafreien Reiseverkehrs in der DDR
Nach vorliegenden Informationen bestehen insbesondere folgende Konzentrationspunkte des visafreien Reiseverkehrs von Bürgern der VR Polen in der DDR:
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Bezirk Rostock, vor allem Ahlbeck, Heringsdorf, Wolgast, Stralsund, Saßnitz und Greifswald;
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Bezirk Neubrandenburg, vor allem Pasewalk, Prenzlau, Neubrandenburg und Ückermünde;
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Bezirk Frankfurt (Oder), vor allem Frankfurt (Oder), Eisenhüttenstadt, Fürstenwalde, Schwedt und Eberswalde;
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Bezirk Potsdam, vor allem Stadtrandgebiete um Berlin wie Königs Wusterhausen, Zossen, Oranienburg, Ludwigsfelde und Hennigsdorf;
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Bezirk Cottbus, vor allem Guben, Forst, Weißwasser, Hoyerswerda (Centrum Warenhaus), Finsterwalde, Lübben und Spremberg;
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Bezirk Dresden, vor allem Görlitz, Zittau, Dresden, Löbau, Bautzen und Bischofswerda;
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Hauptstadt Berlin, vor allem bezogen auf Einkaufszentren am Alexanderplatz, in der Karl-Marx-Allee, Schönhauser Allee, Klement-Gottwald-Allee,5 Bahnhofstraße sowie in der Nähe der S-Bahnhöfe Karlshorst und Lichtenberg.
Darüber hinaus treten zunehmend auch bestimmte Konzentrationspunkte mit den damit verbundenen Auswirkungen in anderen Bezirken auf, z. B. in den Bezirken Karl-Marx-Stadt,6 Leipzig, Halle.
4. Entwicklung der Abkäufe durch Bürger der VR Polen
Über den konkreten Umfang der Warenabkäufe durch Bürger der VR Polen in der DDR besteht keine vollständige Übersicht.
Durch vielfältige Feststellungen ist jedoch nachweisbar, dass die den Bürgern der VR Polen zur Verfügung gestellten Zahlungsmittel der DDR, entsprechend dem vorrangigen Charakter der Einreisen, fast ausschließlich für Warenabkäufe verwandt werden.
Von den bis 29.10.1972 der polnischen Staatsbank übergebenen 1 025 0 Mio. Mark wurden nach Angaben von polnischer Seite bisher ca. 675 Mio. Mark verkauft, wobei davon auszugehen ist, dass diese Summe im Wesentlichen als zusätzliche Kaufkraft wirksam geworden ist.
Diese Summe entspricht einer Pro-Kopf-Ausstattung von ca. 80,00 Mark/Einreisenden.
(Die Pro-Kopf-Ausstattung der DDR-Bürger dagegen beträgt ca. 38,00 Mark/Reisenden. Von der Industrie- und Handelsbank der DDR wurden bisher für insgesamt 223,8 Mio. Mark Zahlungsmittel der VR Polen an Bürger der DDR verkauft.)
Bürger der VR Polen bevorzugen bei den Einkäufen in der DDR folgende Warensortimente, wobei durch den Umfang der Abkäufe die in diesen Warensortimenten an sich schon vorhandenen Versorgungslücken teilweise erheblich vergrößert werden;
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Damen- und Herrenoberbekleidung,
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Damen- und Herrenuntertrikotagen,
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Kinderoberbekleidung und Untertrikotagen,
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Babyausstattungen (Strampler, Jüpchen, Lauflernschuhe),
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Strumpfwaren, Strumpfhosen,
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Leib- und Haushaltswäsche,
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Miederwaren, besonders Büstenhalter,
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Raumtextilien (Dekostoffe, Gardinen, Teppiche und Läufer),
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Eisen- und Haushaltswaren,
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Schuhe und Kleinlederwaren (Koffer),
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optische und Fotoartikel,
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Pelzwaren (im Wert zu mehreren Tausend Mark),
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Uhren und Wecker,
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kosmetische Erzeugnisse,
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elektrische Haushaltsgeräte aller Art,
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Kfz-Ersatzteile (bis zu 2 000 Mark), Motorräder, Mofas,
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RFT-Erzeugnisse (Farbfernsehgeräte),
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Lebensmittel (insbesondere Fleisch- und Wurstwaren, Gewürze, Kindernahrungsmittel, Obst und Gemüse, Südfrüchte, Backzutaten, Spirituosen, Bier, Kaffee).
Der Umfang der Abkäufe in einigen der o. g. Warenarten wird durch folgende bei den Zollkontrollen gewonnene Feststellungen verdeutlicht.
Von den in der Zeit vom 13. bis 19.11.1972 mit der Eisenbahn über Frankfurt (Oder) ausgereisten 14 157 polnischen Bürgern wurden gemäß den Festlegungen der Leiter der Zollverwaltungen der DDR und der VR Polen vom 7.11.1972 3 150 Bürger einer Zollkontrolle unterzogen.
Die Kontrolle dieser Bürger ergab zur Warenbewegung folgende Übersicht:
Warenart | Anzahl | durchschnittlicher EVP | Gesamtwert | Geldmenge pro Bürger |
---|---|---|---|---|
Schuhe | 6 300 | 50,00 M | 315 000 M | 100 M |
Babygarnitur | 6 300 | 21,00 M | 132 300 M | 42,00 M |
Damengarnitur | 3 150 | 12,00 M | 37 800 M | 12,00 M |
Kindergarnitur | 6 275 | 14,00 M | 87 850 M | 27,89 M |
Täschnerwaren | 6 425 | 80,00 M | 514 000 M | 163,17 M |
Wolle | 1 575 kg | 45,00 M | 70 875 M | 22,50 M |
Pfeffer | 25 200 Pck. | 0,24 M | 6 048 M | 1,92 M |
Kaugummi | 315 000 Pck. | 0,10 M | 31 500 M | 10,00 M |
Rosinen | 1 575 kg | 8,00 M | 12 600 M | 4,00 M |
[–] | [–] | [–] | 1 207 973 M | 383,48 M |
Unter Berücksichtigung dessen, dass in der Zeit vom 13. bis 19.11.1972 insgesamt 232 568 Bürger der VR Polen in die DDR einreisten, liegt bezogen allein auf die genannten Warenarten rein rechnerisch ein Abkauf im Werte von ca. 90 Mio. Mark im Bereich des Möglichen.
In der Zeit vom 5. bis 11.11.1972 wurden bei 661 kontrollierten polnischen Bürgern folgende ausgewählte Waren festgestellt:
Warenart | Anzahl | durchschnittlicher EVP | Gesamtwert | Geldmenge pro Bürger |
---|---|---|---|---|
Kinder- und Sportwagen | 265 | 350 M | 92 750 M | 140 M |
Motorräder | 46 | 2 500 M | 115 000 M | 174 M |
Mofas | 17 | 600 M | 10 200 M | 15,00 M |
Handstrickmaschinen | 36 | 250 M | 9 000 M | 14,00 M |
Fernsehgeräte | 48 | 2 100 M | 100 800 M | 152 M |
Farbfernsehgeräte | 11 | 2 500 M | 27 500 M | 42,00 M |
Woll- und Steppdecken | 61 | 150 M | 9 150 M | 14,00 M |
Schuhe | 655 | 50,00 M | 32 750 M | 50,00 M |
Teppichkehrer | 130 | 22,00 M | 2 860 M | 4,00 M |
[Gesamt] | [–] | [–] | 400 010 M | 605 M |
Von den in den Monaten August bis Oktober 1972 im pass- und visafreien Reiseverkehr abgefertigten 3 370 028 Bürgern der VR Polen wurden 6 756 einer Zollkontrolle unterzogen.
Dabei wurden, bezogen auf einzelne ausgewählte Warenarten, folgende Feststellungen getroffen:
Mitgeführte Gegenstände | Anzahl | durchschnittlicher EVP |
---|---|---|
Motorräder | 1 200 | 2 500 M |
Fernsehgeräte | 406 | 2 100 M |
Farbfernsehgeräte | 137 | 2 500 M |
Mopeds | 212 | 1 200 M |
Mofas | 414 | 600 M |
Fahrräder | 169 | 300 M |
Kinderwagen | 3 413 | 350 M |
Handstrickmaschinen | 257 | 250 M |
Küchenmaschinen | 385 | 280 M |
Akkordeons | 164 | 450 M |
[Gesamt] | [–] | 6 127 900 M |
Der Durchschnittswert der mitgeführten Waren pro kontrollierten polnischen Bürger betrug 907 Mark.
5. Erscheinungen des Abkaufs von Waren für spekulative Zwecke
Zu besonders negativen Reaktionen unter der Bevölkerung der DDR und den Verkaufskräften führen die weiter anhaltenden Erscheinungen, dass ein bestimmter Teil der Bürger der VR Polen die Möglichkeiten des visafreien Reiseverkehrs für Abkäufe nutzt, die eindeutig spekulativen Charakter tragen.
Dem MfS liegen eine größere Anzahl von Hinweisen vor, wonach der illegale Geldumtausch, insbesondere von Złoty in Mark der DDR, ständig angewachsen ist und teilweise erhebliche, weit über den persönlichen Möglichkeiten liegende Summen zum Tausch angeboten werden.
In einer größeren Anzahl von Fällen wurde selbst bei den Filialen der Industrie- und Handelsbank der DDR versucht, hohe Złoty-Beträge (von 18 000 bis 152 000 Złoty) in Mark der DDR umzutauschen.
In der DDR tätige Bürger der VR Polen treten zunehmend mit Umtauschbeträgen in Erscheinung, die weit über ihren Einkünften liegen.
DDR-Bürger werden während ihres besuchsweisen Aufenthaltes in der VR Polen häufig von polnischen Bürgern angesprochen, illegal Mark der DDR zu verkaufen. Damit wird versucht, die Gebührenerhebung der polnischen Banken für den Umtausch von Złoty in Mark der DDR zu umgehen und einen für beide Beteiligten (Bürger der VR Polen und der DDR) günstigen Wechselkurs zu erreichen.7
Bezogen auf den weit über den persönlichen Bedarf hinausgehenden Abkauf von Waren handelt es sich nach den bisherigen Erkenntnissen insbesondere um
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Gewerbetreibende, die die aufgekauften Waren gewinnbringend weiterverkaufen bzw. weiterverarbeiten wollen,
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Personen, die die in der DDR aufgekauften Waren an solche Personen in der VR Polen gewinnbringend weiterverkaufen, die nicht in die DDR kommen (u. a. auch Weiterverkauf an die staatlichen Kommissionsläden) bzw. zu Schwarzmarktpreisen auf dem freien Markt und
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Personen, die für Verwandte und Bekannte bestimmte Waren kaufen sollen, wofür sie in den meisten Fällen bereits entsprechende Zahlungsmittel erhalten haben,
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polnische Bürger, die Waren der VR Polen in der DDR gewinnbringend zu veräußern versuchen und gemeinsam mit einzelnen DDR-Bürgern Waren in den Geschäften der DDR aufkaufen, um diese auszuführen.
Der Abkauf von Waren für spekulative Zwecke erstreckt sich auf alle Sortimente, die in der Information genannt wurden. Die Waren werden entweder von den polnischen Bürgern sofort in großer Stückzahl verlangt bzw. durch mehrmaliges Anlaufen der Verkaufsstellen oder durch Einbeziehung anderer polnischer Touristen in größerem Umfang aufgekauft.
Die bisherigen Maßnahmen zur Unterbindung von Abkäufen für spekulative Zwecke führten nach entsprechenden Feststellungen noch zu keinen spürbaren Veränderungen.
Viele Reisende führen Listen mit und kaufen danach ein.
6. Ausnutzung des visafreien Reiseverkehrs zur Verbringung von Waren insbesondere aus der BRD und Westberlin nach der VR Polen
Es wurde festgestellt, dass der visafreie Reiseverkehr mit der VR Polen von polnischen Bürgern u. a. dazu ausgenutzt wird, insbesondere aus der BRD und aus Westberlin eingeschleuste Waren über das Gebiet der DDR nach der VR Polen zu verbringen.
In diesem Zusammenhang ist beachtenswert, dass insgesamt organisierte Zusammentreffen zwischen Bürgern der VR Polen, die unter Ausnutzung des pass- und visafreien Reiseverkehrs in die DDR eingereist sind, und vor allem in Westberlin und in der BRD lebenden ehemaligen polnischen Bürgern wesentlich zugenommen haben.
Diese Treffen, vor allem in der Hauptstadt Berlin, werden häufig zur Übergabe von Waren genutzt. (Hauptsächlichste Treffpunkte in Berlin bilden die Umgebungen des Alexanderplatzes und des Ostbahnhofes; nur in Einzelfällen werden auch die Wohnungen einiger Bürger der Hauptstadt genutzt.)
Soweit durch Zollkontrollen bisher bekannt wurde, werden vor allem Nahrungs- und Genussmittel (u. a. Kaffee, Zigaretten, Spirituosen), Kinderbekleidung, Nylonerzeugnisse übergeben. Die Ausfuhr derartiger Artikel erfolgt im Wesentlichen zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs.
Beispiele:
Ein polnischer Bürger versuchte, 42 m synthetischen Stoff über das GZA Görlitz auszuführen. Dieser Stoff war von ihm auf dem Ostbahnhof von einem in Westberlin lebenden polnischen Bürger übergeben worden, wofür er seinerseits 2 000 Mark der DDR-Währung entrichtete.
Ein polnischer Ingenieur versuchte über das GZA Görlitz 34 m Silastikstoff, 30 Perücken und zwei Damenarmbanduhren (Gesamtwert 12 500 Mark) auszuführen. Diese Waren hatte er von seinem in Westberlin lebenden Bruder auf dem Leipziger Hauptbahnhof nach vorhergehender brieflicher Vereinbarung übernommen.
Am 14.11.1972 wurde eine polnische Bürgerin am GZA Frankfurt (Oder) festgestellt, die 100 Stück Nylonpullover aus England mit sich führte, die über Westberlin in die Hauptstadt der DDR eingeschleust wurden und von der polnischen Bürgerin aus einem Gepäckfach abgeholt worden waren.
In einigen anderen Fällen wurden Gepäckstücke mit größeren Mengen westlicher Waren (u. a. 87 Stück Silastikpullover) während der Transportmittelkontrolle festgestellt, zu denen die Eigentümer bisher nicht ermittelt werden konnten.
Es gibt weiter Hinweise, dass Bürger der VR Polen bei der Rückreise aus Drittländern über das Territorium der DDR zunächst einen Teil ihrer Gepäckstücke in den Gepäckaufbewahrungen größerer Bahnhöfe der DDR deponieren. (Berlin, Leipzig)
Dadurch wird versucht, die Zollkontrollen bei der Wiedereinreise in die VR Polen zu umgehen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden dann die günstigen Bedingungen des pass- und visafreien Reiseverkehrs genutzt, um unkontrolliert die in der DDR zeitweilig deponierten Gepäckstücke in die VR Polen auszuführen.
Weiterhin treffen sich Transitreisende aus der VR Polen während ihrer Durchreise durch die DDR mit im visafreien Reiseverkehr eingereisten Personen aus der BRD, Westberlin u. a. nichtsozialistischen Staaten, um unmittelbar Gepäckstücke zu übergeben und die Einfuhrkontrolle zu umgehen.
7. In der VR Polen wirkende finanzpolitische Maßnahmen für Konsumtionszwecke
Offiziell wurde von der polnischen Staatsbank bekannt, dass in der VR Polen Kreditbestimmungen für Konsumtionszwecke gültig sind, die, nach unseren Feststellungen, auch Auswirkungen auf Warenabkäufe durch polnische Bürger in der DDR haben.
Danach können
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polnische Bürger, die im Arbeitsprozess stehen, bei den Sparkassen einen Kredit bis zu 15 000 Złoty (6 % Zinsen) aufnehmen. Diese Kredite werden ohne Nachweis über den Verwendungszweck ausgereicht,
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die polnischen Sparkassen im Jahre 1973 für etwa 500 bis 600 Mio. Złoty derartige Kredite gewähren, wobei als Sicherheit im Falle der Nichteinhaltung der Rückzahlungsbedingungen das Arbeitseinkommen des jeweiligen Bürgers herangezogen wird.
Von polnischen Bürgern wurde bekannt, dass sie mit dem Ziel, größere Wareneinkäufe in der DDR zu tätigen, derartige Kredite aufnehmen. Aus dem Weiterverkauf bereits eines Teiles dieser Waren in der VR Polen erfolgt die Rückzahlung des Kredits, sodass insgesamt ein persönlicher Gewinn erzielt wird.
8. Auswirkungen im Zusammenhang mit der starken Belastung der Handelseinrichtungen in den Konzentrationspunkten
Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung des Reiseverkehrs wird von breiten Bevölkerungskreisen, vor allem aber auch von den Beschäftigten des Handels in den genannten Konzentrationspunkten, auf eine Reihe damit verbundener Auswirkungen hingewiesen, die das Versorgungsniveau insgesamt nachteilig beeinflussen und zu erheblichen negativen Reaktionen führen.
Das betrifft besonders folgende Probleme:
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Die Einkaufszeiten in den Verkaufseinrichtungen haben sich aufgrund des wesentlich gewachsenen Käuferandranges teilweise beträchtlich verlängert, und immer wieder kommt es zu Schlangenbildungen.
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Das Handelsnetz (Verkaufsstellen und Gastronomie, teilweise auch Großhandelseinrichtungen) ist den ständig gestiegenen Anforderungen teilweise nicht gewachsen, wodurch es zu ständigen bzw. zeitweiligen Überlastungen von bestimmten Verkaufseinrichtungen kommt.
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Die zunehmenden Versorgungslücken in vielen wichtigen Versorgungspositionen machen einen weitaus größeren Zeitaufwand beim Einkauf erforderlich als vorher. Die Einkaufswege sind wesentlich länger geworden, da zum Erwerb eines bestimmten Artikels häufig mehrere Geschäfte aufgesucht werden müssen bzw. wiederholt nachgefragt werden muss.
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Die damit verbundenen zusätzlichen Belastungen treffen vor allem die berufstätigen Frauen, die nach Beendigung der Arbeitszeit häufig nicht mehr die gewünschten Artikel kaufen können, da die gelieferten Waren bereits wieder ausverkauft sind.
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Nach vorliegenden Hinweisen verlassen berufstätige Frauen in steigendem Maße während der Arbeitszeit ihre Arbeitsplätze, um unbedingt notwendige Einkäufe zu erledigen.
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Der starke Käuferandrang kann in einer großen Anzahl von Handels- und Gastronomieeinrichtungen nur mit einem erheblichen Mehraufwand, insbesondere mit einer gesteigerten Arbeitsintensität der dort Beschäftigten, bewältigt werden. Von Beschäftigten der Handelseinrichtungen wird zunehmend darauf hingewiesen, dass die erschwerten Arbeitsbedingungen, vor allem die höheren physischen und psychischen Belastungen, die zu klein gewordenen Verkaufsflächen, das oftmals zu geringe Warensortiment und fehlende Warenmengen zu einer wachsenden Unlust und zu bestimmten Fluktuationserscheinungen führen. Der vergleichsweise höhere Krankenstand sei bereits in erheblichem Maße auf diese Bedingungen zurückzuführen.
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Die materiell-technische Basis in einer größeren Anzahl von Handels- und Gastronomieeinrichtungen (Größe der Verkaufsstellen, Ausstattung mit Handelsausrüstungen wie Selbstbedienungskörben, Registraturkassen, Gaststätten- und Hotelporzellan usw.) entspricht nicht den gewachsenen Anforderungen, wodurch es ständig zu missmutigen Diskussionen über das Niveau der Versorgung der Bevölkerung kommt.
Als wesentlichste Ursache für diese Erscheinungen wird vor allem von den Beschäftigten des Handels und der Gastronomie angeführt, dass alle mit dem visafreien Reiseverkehr von Bürgern der VR Polen in die DDR verbundenen Probleme, besonders hinsichtlich des starken Abkaufs von Waren in den genannten Sortimenten, bisher außerhalb des Planes gelöst werden mussten.
Probleme im Zusammenhang mit den Verhandlungen der Stellvertreter der Minister der Finanzen der DDR und der VR Polen vom 17.11.1972 in Berlin8
1. Limitierung des Erwerbs von Markbeträgen für touristische Zwecke für Bürger der VR Polen
Die polnischerseits vorgesehene Einführung eines Jahreslimits von nicht mehr als 7 000 Złoty (rund 1 460 Mark) pro Bürger bedeutet theoretisch bei (angenommener) gleichbleibender Einreise polnischer Bürger in die DDR wie im Jahre 1972 einen (möglichen) Erwerb von 1 606 Mio. Mark (1972 wurden bis einschließlich 16.11.1972 1 095,1 Mio. Mark angekauft).
2. Für Dezember 1972 und Januar 1973 sei polnischerseits vorgesehen, Bürger der VR Polen, die im Rahmen des pass- und visa-freien Reiseverkehrs in die DDR einreisen, nur mit Beträgen bis zu 200 Mark auszustatten (ausgenommen davon sind z. B. langfristige Urlaubsreisen und Kuraufenthalte).
Bei einer absehbaren Einreise von monatlich ca. 1,0 Millionen Bürgern der VR Polen in die DDR und der vollen Nutzung dieses Betrages pro Bürger könnte dies in den Monaten Dezember 1972 und Januar 1973 zu einem Abkauf im Werte von monatlich 200 Mio. Mark führen.
(Eine laut Vorstellung der polnischen Seite mögliche Beibehaltung der monatlichen 200 Mark-Regelung bedeutet, dass jährlich maximal 2 400 Mark – statt der mit Einführung des Jahreslimits vorgesehenen 1 460 Mark – erworben werden könnten.
Die Bemerkung des Stellvertreters des Ministers der Finanzen der DDR, Genossen Mager,9 dass dieses Limit zu hoch sei und in seiner Wirkung einem unbegrenzten Umtausch sehr nahe käme, ist – ausgehend von der gegenwärtigen Situation – als berechtigt einzuschätzen.)
3. Polnischerseits sei die Einführung eines Devisenbuches vorgesehen, das an den Personalausweis gebunden ist und Kontrollmaßnahmen zur Einhaltung des Limits ermöglicht.
Diese Maßnahme wäre, verbunden mit einer entsprechenden Limitierung des Verkaufs von Zahlungsmitteln und der Anwendung darauf abgestimmter Zollbestimmungen, zu unterstützen.
Seitens der DDR wird mit Wirkung vom 27.11.1972 den im pass- und visafreien Reiseverkehr nach der VR Polen reisenden DDR-Bürgern von den Banken bzw. Sparkassen der DDR beim Umtausch von Mark in Złoty eine Umtauschbescheinigung ausgehändigt (mit DPA-Nr. des DDR-Bürgers), die die Grundlage für den Rücktausch von Złoty in Mark bildet.
Offene Probleme im Zusammenhang mit den Verhandlungen der Stellvertreter der Minister für Verkehrswesen der DDR und der VR Polen vom 21.11.1972 in Berlin10
1. Ausgabe von Platzkarten für die Reisezugverbindungen zwischen der DDR und der VR Polen
Es wurde vereinbart, dass beide Seiten
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die Ausgabe von Platzkarten für Reisezüge erweitern,
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der gegenseitige Austausch von Platzkartenkontingenten für die Rückfahrt erfolgen soll.
Im Zusammenhang mit der für den 6.12.1972 vorgesehenen Festlegung von Einzelheiten müsste geprüft werden:
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Wird mit der Erweiterung der Platzkartenausgabe für Reisezüge erreicht, dass grundsätzlich Reisezüge nur von Platzkarteninhabern benutzt werden können?
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Können Reisezüge, die nur Platzkartenwagen führen, auch von Reisenden ohne Platzkarten benutzt werden?
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Werden unter »Reisezügen« alle Zugverbindungen verstanden, die zwischen der DDR und der VR Polen bestehen (oder nur D-Züge)?
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Notwendigkeit (bei vorgesehener Erweiterung des Platzkontingents) der unbedingten Gewährleistung des störungsfreien grenzüberschreitenden Berufsverkehrs, (keine Überlastung durch Reisende außerhalb des Berufsverkehrs in diesen Zügen bzw. Zulassung dieser Züge nur für den Berufsverkehr, eventuell mit Betriebsausweis),
2. Gelegenheitsverkehr mit Kraftomnibussen
Es wurde vereinbart
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den Omnibusverkehr für Touristenzwecke an Sonn- und Feiertagen u. a. arbeitsfreien Tagen zu organisieren,
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für diesen Verkehr nur Omnibusse zuzulassen, die den im internationalen Verkehr geltenden technischen Bedingungen entsprechen,
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kontinuierlich Informationen über den Verlauf des grenzüberschreitenden Verkehrs auszutauschen und im Bedarfsfall erneute Beratungen durchzuführen.
Im Zusammenhang mit diesen Festlegungen prüfen:
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Soll Anordnung des Ministers für Verkehrswesen der DDR über die Personenbeförderung und den Gütertransport mit Kraftomnibussen im grenzüberschreitenden Verkehr vom 17.10.197211 Anwendung finden?
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(Das würde bedeuten, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit bei der Erteilung von derartigen Genehmigungen aufgehoben werden müsste und Einreisegenehmigungen für Kraftomnibusse der VR Polen nur durch das MfV der DDR erteilt werden.
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[§ 4, Absatz 1 der AO])
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Was ist unter den im »internationalen Verkehr geltenden technischen Bedingungen« zu verstehen. Welche Einschränkungen sollen damit erreicht werden, wie soll das kontrolliert werden?
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Was für Informationen mit welchem Ziel sollen bezüglich des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs ausgetauscht werden? Zur Durchsetzung der zu präzisierenden Maßnahmen erscheint es zweckmäßig, nicht wie festgelegt im Bedarfsfall, sondern regelmäßig die Realisierung der abgestimmten Festlegungen zu kontrollieren.