Fahrlässiger Umgang mit chemischen und Imitationsmitteln
15. Februar 1972
Information Nr. 137/72 über den fahrlässigen Umgang mit chemischen und Imitationsmitteln während der vormilitärischen Ausbildung von Lehrlingen der Betriebsberufsschule des Landbaukombinats Ludwigslust, Bezirk Schwerin am 11. Februar 1972
Auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung zwischen der GST-Kreisleitung Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin und dem Stellvertreter für Ausbildung beim Stab des Grenzregiments 8 Grabow sowie einer mündlichen Absprache zwischen dem Ausbildungszentrum des Landbaukombinats Ludwigslust und dem Schirrmeister des 8. Grenzregiments Grabow erfolgte im Rahmen des Planes der vormilitärischen Ausbildung und der Zivilverteidigung am 10.2.1972 von 13.00–14.00 Uhr und am 11.2.1972 von 8.00–9.00 Uhr eine theoretische Ausbildung zum Thema »Schutz vor chemischen Kampfmitteln« auf dem Sportplatz Techentin, Kreis Ludwigslust.
Die Ausbildung führte Unteroffizier [Name, Vorname], geboren: [Tag, Monat] 1949, NVA seit 3.5.1970, Soldat auf Zeit, chemischer Gruppenführer im Stab des Grenzregiments 8 nach Einweisung durch den amtierenden Leiter für chemische Dienste, Oberleutnant Pinick,1 und mit Genehmigung des 1. Stellvertreters im Grenzregiment 8, Oberstleutnant Dornbusch,2 durch.
Obwohl nur eine theoretische Ausbildung vorgesehen war, nahm Unteroffizier [Name], der grundsätzlich die entsprechende Genehmigung für den Umgang mit diesen Mitteln besitzt, entgegen bestehenden Weisungen zu vorgenannten Ausbildungsstunden einen Brandübungssatz I mit einer Flasche Thermit3 sowie zwei Thermitzünder und zwei Brandübungssätze II (Fotoblitzlichtpulver) mit.
Er wollte damit das Durchschweißen einer Stahlplatte sowie die Wirkung einer Stichflamme demonstrieren.
Eine solche praktische Ausbildung mit den genannten chemischen bzw. Imitationsmitteln darf grundsätzlich nur mit NVA-Angehörigen auf Übungsplätzen der NVA bei Einhaltung entsprechender Dienstvorschriften und Sicherheitsbestimmungen erfolgen. (Zum Beispiel Durchführung von Thermitübungen nur in dafür vorbereiteten Gruben, zeitliche und räumliche Trennung von Thermit- und Blitzlichtpulverübungen, Einhaltung bestimmter Sicherheitsabstände durch Teilnehmer der Übung u. a.)
Nach bisher vorliegenden Hinweisen begab sich Unteroffizier [Name] am 11. Februar 1972, gegen 9.05 Uhr, mit 45 Lehrlingen und ihrem Lehrausbilder zum Sportplatz Techentin, Kreis Ludwigslust.
Das Durchschweißen einer Stahlplatte mit Thermit führte Unteroffizier [Name] ohne Vorkommnis durch.
Unmittelbar darauf bereitete er einen zweiten Versuch mit Fotoblitzlichtpulver vor. Zu diesem Zweck schüttete er einen Beutel dieses Pulvers ca. 0,75 m von der noch glühenden Stahlplatte entfernt auf die Erde. Dabei kam es zu einer stichflammenähnlichen Verpuffung (Höhe der Stichflamme ca. 2,5 m), wodurch die in ein bis zwei Meter stehenden Teilnehmer der Ausbildung verletzt wurden. Zur Ursache der Verpuffung wurde bisher festgestellt, dass einer der umstehenden Lehrlinge mit dem Fuß an die noch glühende Stahlplatte gestoßen hatte, wodurch ein Funke auf das Pulver übergesprungen war und die Verpuffung ausgelöst hatte.
Neben Unteroffizier [Name] erlitten sieben Lehrlinge Verbrennungen mittleren Grades im Gesicht und an den Händen und mussten in stationäre Behandlung eingewiesen werden.
Weitere 22 Lehrlinge mussten ambulant behandelt werden.
Aufgrund des Vorkommnisses wurde gegen Unteroffizier [Name] durch den zuständigen Militärstaatsanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung im schweren Fall eingeleitet, da das die gesetzlichen Bestimmungen erfordern, wobei das Persönlichkeitsbild des Betreffenden entsprechend gewürdigt wird.
Im Zusammenwirken mit den örtlichen Parteiorganen wurden folgende Maßnahmen durchgeführt:
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Mit allen Lehrlingen der Betriebsberufsschule wurde das Vorkommnis offiziell ausgewertet.
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Die Eltern der im Krankenhaus verbliebenen Jugendlichen wurden durch die jeweiligen Klassenleiter über den Sachverhalt persönlich informiert.
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Zur Betreuung der im Krankenhaus untergebrachten Lehrlinge wurden durch den Staatsapparat in Verbindung mit dem medizinischen Personal entsprechende Maßnahmen festgelegt.
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Die Parteisekretäre und Betriebsleiter der einzelnen Baustellen des Landbaukombinats wurden ebenfalls unmittelbar nach dem Vorkommnis über den genauen Sachverhalt informiert, um Gerüchten konsequent entgegenwirken zu können.