Feststellungen zum Absturz eines Flugzeuges der Interflug
15. August 1972
Information Nr. 772/72 über bisherige Feststellungen zum Absturz des Flugzeuges IL 62 DM – SEA der Interflug am 14. August 1972
Dem MfS wurde, ergänzend zu den im ersten Bericht der Regierungskommission1 getroffenen Feststellungen, insbesondere durch Tatortbesichtigung, Befragung von Augenzeugen und erste Befragung von Angehörigen des technischen und Hilfspersonals, durch Einsichtnahme in Reparaturbücher und Tonbandaufzeichnungen der Flugsicherung Folgendes bekannt:
Während eines am 13.8.1972 nach Khartum und zurück erfolgten Fluges kam es zu einer Kollision mit einem Vogelschwarm, aufgrund dessen nach erfolgter Rückkehr nach Schönefeld der Nieder- und Hochdruckrotor sowie die Turbine einer Kontrolle unterzogen wurden. Die Beschädigungen erwiesen sich als nicht schwerwiegend, und die aufgetretenen Mängel konnten, wie Bestätigungsvermerke des zuständigen technischen Prüfdienstes ausweisen, kurzfristig beseitigt werden.
Am 14.8.1972 gegen 8.25 Uhr startete das Flugzeug zum Linienflug IF 600 nach Moskau. Gegen 14.30 Uhr landete es, als Linienflug IF 601 gekennzeichnet, aus Moskau kommend wieder in Schönefeld. Bei diesem Flug kam es nach Angaben des Flugkapitäns zu keinerlei Störungen oder Beanstandungen.
Unmittelbar nachdem die Passagiere das Flugzeug verlassen hatten, wurde es in Vorbereitung eines am gleichen Nachmittag durchzuführenden Fluges einer Zwischenflugkontrolle unterzogen. Wie die Befragung des am Nachmittag des 14.8.1972 an der Maschine DM-SEA diensttuenden technischen und Hilfspersonals (bereitete die Maschine für den Abflug vor) ergab, wurden keine Anhaltspunkte für eine mangelnde Funktionstüchtigkeit des Flugzeuges vor dem Start festgestellt. Die Maschine wurde unmittelbar nach Erledigung der erforderlichen Vorbereitungsarbeiten von den Besatzungsmitgliedern übernommen. Weiter haben die bisherigen Untersuchungen ergeben, dass ausschließlich solches Gepäck verladen wurde, das den Passagieren gehörte.
Am 14.8.1972 erhielt die Maschine um 16.29 Uhr von der Flugsicherung Schönefeld Startgenehmigung und begab sich auf ihren planmäßigen Charterflug nach Burgas/VR Bulgarien. Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt 3 520 Flugstunden absolviert.
Bei den Reisenden handelte es sich mit Ausnahme eines in der DDR wohnhaften griechischen Staatsbürgers ausschließlich um DDR-Bürger. Nach den bisher vorliegenden Informationen befanden sich darunter keine Personen, die der Regierungsnomenklatur2 unterliegen.
Nach planmäßig vollzogenem Start und Zurücklegen der ersten Teilstrecke übergab die Flugsicherung Berlin-Schönefeld um 16.37 Uhr nach Erreichen des Raumes Beeskow die Maschine ordnungsgemäß an die zuständige Flugsicherungsaußenstelle Cottbus. Um 16.42 Uhr, als sich die Maschine in einer Höhe von 8 900 Metern befand, wandte sich die Besatzung per Sprechfunk an die Flugaußensicherungsstelle Cottbus und meldete »Schwierigkeiten an der Stabilisierungsflosse« (Höhenleitwerk). Die Außenstelle Cottbus setzte um 16.46 Uhr die Flugsicherung in Berlin-Schönefeld davon in Kenntnis und teilte gleichzeitig mit, dass die Maschine wegen der aufgetretenen Schwierigkeiten den Rückflug nach Schönefeld angetreten hat. Nach Übernahme der Maschine durch die Flugsicherung Berlin-Schönefeld um 16.49 Uhr wurde diese Tatsache durch einen Funkspruch der Besatzung (16.51 Uhr, Raum Storkow) an die Flugsicherung Schönefeld mitgeteilt. Gleichzeitig wurde übermittelt, dass zum Erreichen des erforderlichen Landegewichtes mit dem Ablassen von fünf Tonnen Treibstoff begonnen wird. Eine um 16.56 Uhr erfolgte Rückfrage seitens der Flugsicherung Schönefeld über die Beendigung des Ablassens von Treibstoff wurde durch die Besatzung verneint.
Um 16.59 Uhr gab die Flugzeugbesatzung an die Flugsicherung Berlin-Schönefeld das für die höchste Gefahrenstufe geltende Notsignal »Mayday« (Luftnot, dem SOS in der Schifffahrt vergleichbar) und teilte wörtlich mit: »Wir steigen, haben Brand, haben Schwierigkeiten mit der Höhensteuerung.« Damit brach die Funkverbindung ab.
Nach bisher vorliegenden Angaben eines Augenzeugen zog die Maschine gegen 17.00 Uhr in einer Höhe von 800 bis 1 000 Metern weiße Streifen (Kondensstreifen ähnelnd) hinter sich her. Unmittelbar danach heulten die Triebwerke des Flugzeuges auf, aus den Triebwerken schlugen Flammen und die Maschine zerbarst, wobei sich das Heckteil mit den Triebwerken vom Rumpf des Flugzeuges löste. Die zuletzt genannte Beobachtung machte auch ein zweiter Augenzeuge, nahm jedoch keine Rauch- oder Brandentwicklung wahr.
Durch die Explosion wurden die Wrackteile der Maschine bis in das Stadtgebiet von Königs Wusterhausen geschleudert. Bis zum Zeitpunkt dieser getroffenen Feststellungen konnten der an Bord des Flugzeuges befindliche Flugdatenschreiber, das Sprechfunkaufzeichnungsgerät sowie das Beanstandungsbuch nicht aufgefunden werden.
Ergänzend zu den im ersten Bericht der Regierungskommission genannten Maßnahmen werden durch die eingesetzte Expertenkommission, die ihre Tätigkeit mit einer Gruppe sowjetischer Spezialisten koordiniert, Ermittlungen über die in der Vergangenheit an der havarierten Maschine aufgetretenen Störungen und Unregelmäßigkeiten geführt, besonders unter Berücksichtigung dessen, dass eine Sichtung der Schichtbücher ergeben hat, vor der im August 1972 erfolgten Überprüfung der Maschine sind Beanstandungen am Trieb- und Höhenleitwerk aufgetreten, über deren Beseitigung gegenwärtig noch keine endgültige Aussage getroffen werden kann. Entsprechende Befragungen und Überprüfungen werden durchgeführt.