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Großbrand auf Motorschiff der Reederei »Werner Seelenbinder«

17. Juli 1972
Information Nr. 659/72 über einen Großbrand auf dem Motorschiff der Deutschen Seereederei »Werner Seelenbinder« am 9. Juli 1972

Am 9.7.1972 brach in den frühen Morgenstunden in der Kabine des 2. Nautischen Offiziers des MS »Werner Seelenbinder«, [Name 1], ein Brand aus, durch den u. a. die vorderen Kammern und darüberliegenden Decks einschließlich der Kapitänsräume schwer beschädigt wurden.

Durch Experten des VEB Deutsche Seerederei (DSR) Rostock, die gegenwärtig den Umfang des an den technischen Anlagen der Brücke und des Funkraumes, insbesondere durch Löschfolgen entstandenen Schaden untersuchen, wird der Gesamtschaden mit ca. 2,5 Mio. Mark geschätzt.

Durch den Brand erlitt der in der Nebenkabine schlafende einjährige Sohn des [Name 1] eine so schwerwiegende Rauchvergiftung, an deren Folgen er am 10.7.1972 im Krankenhaus Wismar verstarb.

Ein Angehöriger der DSR, der technische Offizier [Name 2], zog sich Beinverletzungen, eine Platzwunde am Kopf und Verbrennungen zweiten Grades an den Armen zu.

Die eingeleiteten Untersuchungen der Brandkommission der BdVP Rostock und der Experten des MfS über die Ursachen und den Hergang des Großbrandes ergaben Folgendes:

Das MS »Werner Seelenbinder« lag seit dem 5.7.1972 am Nordkai der Mathias-Thesen-Werft Wismar wegen notwendiger Reparaturarbeiten fest.

Am Abend des 8.7.1972 fand auf dem Hauptdeck, hinter den Mittschiffsaufbauten, in der Nähe der Kombüse eine Feier statt, an der insgesamt zehn Angehörige der DSR, MS »Werner Seelenbinder« und drei Ehefrauen dieser DSR-Angehörigen teilnahmen. Im Verlauf dieser Feier wurden erhebliche Mengen Alkohol konsumiert.

Auch der für die Dauer der Werftliegezeit eingesetzte Kapitän des Schiffes [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1937, nahm ebenfalls erhebliche Mengen alkoholischer Getränke zu sich, obwohl er sich selbst für den Wachdienst bis 24.00 Uhr eingeteilt hatte.

Da es gegen 1.00 Uhr zu regnen anfing, lud Kapitän [Name 2] die zu diesem Zeitpunkt Anwesenden ein, die Feier in seinen Räumen fortzusetzen.

Ein Teil der an der Feier beteiligten Personen, so u. a. auch das Ehepaar [Name 1], begab sich jedoch in ihre Kabinen. Nur insgesamt sechs Personen, u. a. auch Kapitän [Name 2], setzten diese Feier in den Kapitänsräumen fort, die durch den Brandausbruch gegen 2.55 Uhr beendet wurde.

Die angetrunkene Ehefrau des 2. Nautischen Offiziers, [Name 1, Vorname 1] geboren am [Tag, Monat] 1950 (war besuchsweise an Bord), gibt an, dass sie nach dem Betreten der Kabine des Ehemannes einen halb gefüllten Schnellwasserkochtopf in der Absicht einschaltete, Wasser zum Aufbrühen von Kaffee bzw. zum Waschen zu erhitzen. Beim Warten auf das Kochen des Wassers sei sie jedoch eingeschlafen. Erst durch die Rauchentwicklung und das Knistern der Flammen wurde die [Name 1] wieder wach. Sie weckte den Ehemann und informierte anschließend sofort den Kapitän [Name 2] vom Ausbruch des Brandes, während der Ehemann der [Name 1] sich bemühte, die verschlossene Tür der Nebenkabine, in der das Kind schlief, zu öffnen (wurde jedoch erst gewaltsam durch die Feuerwehr geöffnet).

An der Brandausbruchstelle wurde von keinem der beiden Eheleute die aktive Bekämpfung des sich rasch ausbreitenden Brandes aufgenommen.

Der Kapitän [Name 2] verständigte gegen 2.55 Uhr die Betriebsfeuerwehr der Mathias-Thesen-Werft, die gegen 3.45 Uhr das Feuer unter Kontrolle gebracht und gelöscht hatte.

Infolge des übermäßigen Alkoholgenusses konnte keiner der anwesenden Besatzungsmitglieder eine aktive Brandbekämpfung aufnehmen.

Nach den bisherigen Aussagen der [Name 1] und nach den ersten Untersuchungen der Brandschutzexperten wurde zweifelsfrei der überhitzte Schnellwasserkochtopf in der Kabine des 2. Nautischen Offiziers [Name 1] als Brandursache ermittelt.

In den Untersuchungen konnten bisher keine staatsfeindlichen Handlungen bzw. Hinweise auf eine vorsätzliche Brandstiftung erarbeitet werden.

Die Staatsanwaltschaft des Kreises Wismar leitete gegen die [Name 1] ein Ermittlungsverfahren ohne Haft gemäß StGB § 188 Abs. 2 – Fahrlässige Verursachung eines Brandes1 – ein.

Gegen die verantwortlichen Offiziere, einschließlich des Ehemannes der [Name 1], des MS »Werner Seelenbinder« wird eine Seeamtsverhandlung2 durchgeführt. Danach beabsichtigt die Direktion der Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft der DDR, Disziplinarmaßnahmen einzuleiten mit dem Ziel, eventuell die Kapitäns- bzw. Offizierspatente einzuziehen.

  1. Zum nächsten Dokument Entwicklung des Reise- und Transitverkehrs (10.7.–16.7.)

    17. Juli 1972
    Information Nr. 673/72 über die Abfertigung und Abwicklung des Reise- und Besucherverkehrs Westberliner Bürger in die DDR und des Transitverkehrs von zivilen Personen und Gütern zwischen der BRD und Berlin (West) in der Zeit vom 10. bis 16. Juli 1972 – Dauerregelung –

  2. Zum vorherigen Dokument Entwicklung des Reise- und Transitverkehrs (3.7.–9.7.)

    10. Juli 1972
    5. Information Nr. 643/72 über die Abfertigung und Abwicklung des Reise- und Besucherverkehrs Westberliner Bürger in die DDR und des Transitverkehrs von zivilen Personen und Gütern zwischen der BRD und Berlin (West) in der Zeit vom 3. bis 9. Juli 1972 – Dauerregelung –