Direkt zum Seiteninhalt springen

Haltung der DDR-Olympiadelegation zu feindlichen Aktivitäten

[ohne Datum]
Information Nr. 831/72 über die Haltung der anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1972 in München weilenden DDR-Delegationen und über gegen sie gerichtete Aktivitäten

Nachstehend wird über einige beachtenswerte Erscheinungen im Zusammenhang mit dem bisherigen Aufenthalt der DDR-Delegationen in München berichtet.1 Diese Hinweise beruhen auf internen Informationen und beziehen sich auf den Zeitraum von der Ausreise der DDR-Delegationen bis zum 3.9.1972.

Nach den bisher vorliegenden Informationen gab es in keiner der DDR-Delegationen Fälle republikschädigenden Verhaltens.

Die Atmosphäre beim Eintreffen der ersten Touristengruppe aus der DDR in den vorgesehenen Quartierorten bei München kann als freundlich und erwartungsvoll eingeschätzt werden. Teilweise war eine gewisse Zurückhaltung erkennbar. Die DDR-Touristen verhielten sich diszipliniert und höflich. Im Einzelnen ist dazu Folgendes festzustellen:

Bei Ankunft des ersten Touristenzuges aus der DDR in Oberaudorf am 25.8.1972 (gegen 15.50 Uhr) hatten sich ca. 150 Ortsbewohner zum Empfang eingefunden. Fernseh-, Film-, Rundfunk-, Bild- und andere Reporter waren zahlreich vertreten. Die Ankunft des Zuges und das Aussteigen der Touristen wurden gefilmt.

Die Begrüßung durch den Bürgermeister war kurz und freundlich, wobei er auf die offizielle Begrüßung um 18.00 Uhr verwies. Die Aufteilung der DDR-Touristen auf die einzelnen Quartiere erfolgte schnell und reibungslos.

Bei Ankunft des Zuges in Kiefersfelden hatten sich ebenfalls zahlreiche Einwohner sowie mehrere Reporter eingefunden. Ohne jede Begrüßung wurden die auf dem Bahnhofsvorplatz ankommenden Touristen von Angestellten des örtlichen Fremdenverkehrsamtes auf die Quartiere aufgeteilt.

Der zweite Touristenzug traf gegen 18.00 Uhr in Oberaudorf ein, wo sich etwa 300 Einwohner auf dem Bahnhofsvorplatz eingefunden hatten. In seiner »offiziellen« Begrüßungsansprache erklärte der Bürgermeister u. a. sinngemäß, dass er sich besonders freue, nach »langer unfreiwilliger Pause« wieder Gäste aus der DDR begrüßen zu können. Er wünschte angenehmen Aufenthalt und der DDR-Mannschaft viel Erfolg. (Die Gemeinde Oberaudorf war 1953/54 als Gastgeber für die nicht durchgeführten »gesamtdeutschen« Skimeisterschaften vorgesehen.)

Während der Eröffnungsveranstaltung am 26.8.1972 waren die DDR-Touristen fast ausschließlich im Block F untergebracht. (Etwa 50 % der Zuschauer dieses Blockes kamen aus sozialistischen Ländern.)

Die DDR-Touristen bestimmten durch ihr weitgehend einheitliches Auftreten (z. B. Sprechchöre, Fahnenschwenken beim Einmarsch von Mannschaften aus sozialistischen Ländern) weitgehend das Bild des Blockes. Die einheimischen Zuschauer des Blockes quittierten dieses Auftreten meist schweigend. Abwertende Bemerkungen wurden im Wesentlichen nur gegenüber dem Nebenmann gemacht.

Äußerungen provozierenden Charakters wurden nicht festgestellt.

Am 27.8.1972 fand eine Beratung mit den Leitern der Touristendelegationen anderer sozialistischer Länder statt, wobei Übereinkunft darüber erzielt wurde, gegenseitig beachtenswerte Informationen auszutauschen und sich bei auftretenden Störversuchen usw. gegenseitig zu unterstützen.

Die Leitung der DDR-Delegation wurde gebeten, die Koordinierung zu übernehmen.

Seit dem Eintreffen der ersten DDR-Touristen führten vor allem Journalisten und Bildreporter der »Münchener Abendzeitung«, des Südwestfunks Baden-Baden und der Fernseh-Redaktion »Report« in Gaststätten, Hotels und anderen Unterkünften der DDR-Touristen teilweise längere Gespräche mit den Vermietern sowie anwesenden DDR-Bürgern. Wie die ersten dabei gesammelten Erfahrungen zeigen, bemühen sich die Gesprächspartner aus der DDR, offensiv aufzutreten, wobei jedoch in taktischer Hinsicht nicht immer zweckmäßig reagiert wird. Vorherrschende, von der Gegenseite ins Gespräch gebrachte Tendenzen, sind, die DDR sei »kein Ausland« und als Gastgeber wolle man keine »großen politischen Gespräche«.

Insbesondere nach dem Abschluss der ersten Wettkampfdisziplinen wurden DDR-Touristen in zunehmendem Maße nach ihrer Meinung zu einzelnen Olympiasiegern – vor allem aus der DDR – befragt. In den Aktivitäten vor allem der westdeutschen Journalisten zeichnet sich immer stärker die Tendenz ab, von sogenannten Gruppenbefragungen Abstand zu nehmen und zu versuchen, individuell mit einzelnen DDR-Touristen zu sprechen. In den letzten Tagen trat die gezielte Bearbeitung von DDR-Touristen immer deutlicher hervor.

Der Aufwand und die Betriebsamkeit der Presse und des Fernsehens der BRD werden selbst von vielen Einwohnern aus Oberaudorf und Kiefersfelden, besonders von den meisten Gemeinderatsmitgliedern (darunter befinden sich auch CSU-Funktionäre) als lästig eingeschätzt. Es zeigen sich gewisse Tendenzen des Verständnisses für den teilweise von DDR-Touristen gezeigten Unwillen. Zum Beispiel äußerten sich im Bauausschuss des Gemeinderates von Oberaudorf am 28.8.1972 der CSU-Ortsvorsitzende [Name 1] sowie der SPD-Ortsvorsitzende [Name 2] übereinstimmend gegen die unwahre Darstellung der Verhaltensweisen und Beziehungen der DDR-Touristen zu den Quartiergebern und Presseleuten. Sie seien ganz im Gegenteil erfreut und überrascht über das tatsächlich gewonnene Bild von DDR-Touristen.

Das Auftreten der DDR-Touristen an den verschiedenen Wettkampfstätten stößt teilweise auf spontane Reaktionen der BRD-Bürger, die teilweise bis zu Beschimpfungen reichen. Den DDR-Touristen wird unsportliches Gebaren vorgeworfen, da sie angeblich gute Leistungen von BRD-Sportlern oder aus anderen kapitalistischen Ländern nicht anerkennen und Fehler bei anderen Mannschaften beklatschen würden.

Gegen Ende des Aufenthaltes der ersten und in der Zwischenzeit wieder vollzählig zurückgekehrten Gruppe der DDR-Touristen zeichnet sich ab, dass ein Teil der Gruppe offensichtlich sorgloser im Verhalten geworden ist. Das Ausbleiben von offenen Provokationen, mit denen anfangs gerechnet wurde, verleitet viele DDR-Touristen zu einer gewissen Vertraulichkeit im Umgang mit BRD-Bürgern. Nachdem sich die einzelnen Delegationsmitglieder näher kennenlernten, zeigte sich die Tendenz, die Kollektive zu verkleinern. Es gibt Hinweise, wonach einzelne Delegationsmitglieder sich von den Kollektiven entfernt und tagsüber unkontrolliert in München aufgehalten haben. Ein Teil der DDR-Touristen hat nicht immer die DDR-Olympiaplakette getragen. Beim Ansprechen durch angebliche Mitarbeiter der Presse wird nicht immer der Presseausweis verlangt. Der Umstand, dass verschiedentlich fremde Personen in Wettkampfstätten mitten unter DDR-Gruppen sitzen, lässt auf vermutlichen Kartenverkauf durch einzelne Delegationsmitglieder schließen.

Die Ausreise und Ankunft der DDR-Jugenddelegation am 22.8.1972 ist ohne besondere Vorkommnisse und reibungslos verlaufen. Die Unterkünfte der DDR-Jugendlichen im Jugendlager sind mit DDR- und FDJ-Fahnen versehen. Die einzelnen Räume sind reichhaltig durch mitgebrachtes Sicht- und Agitationsmaterial ausgeschmückt. Die Delegationsteilnehmer tragen bei Stadtbesuchen offizielle Kleidung mit DDR- und FDJ-Emblem.

Die Kontakte zu den Delegationen der anderen sozialistischen Staaten sind sehr gut.

Es gibt eine Abstimmung über gemeinsame Programme sowie gemeinsames Dokumentieren der sozialistischen Staatengemeinschaft. Zur SDAJ, die nicht im Lager vertreten ist, wurden ebenfalls Kontakte hergestellt. Es gibt Vereinbarungen über die Koordinierung von Veranstaltungen sowie Unterstützung bei organisatorischen Fragen.

Die westdeutsche Lagerleitung des Jugendlagers besaß für die Durchführung des Lagers keine Konzeption.

(Der Leiter des Jugendlagers von Mexiko 1968, [Name 3], der als Konsultant in München weilt, bezeichnete das Jugendlager 1972 als »Hotelbetrieb«. Man könne zwar schlafen und essen, aber vom einem Begegnungszentrum der Jugend sei wenig zu spüren.)

Am 25.8.1972 bat die japanische Delegationsleitung um eine Unterredung mit der Delegationsleitung der DDR.

Als Gründe dafür wurden angegeben,

  • der Gastgeber tue zu wenig, um das Jugendlager zu einem geordneten Begegnungszentrum der Jugend zu machen, und

  • es müssten mehr politische Gespräche und organisierte Diskussionen stattfinden.

Die japanische Delegation wende sich deshalb an die DDR-Delegation, weil sie der Auffassung sei, dass bei dieser Interesse zu politischen Gesprächen vorhanden ist. Es wurde eine gegenseitige Abstimmung der geplanten Aktivitäten vereinbart.

Zur Situation unter der westdeutschen Delegation äußerten sich mehrere westdeutsche Jugendliche sinngemäß wie folgt:

Eine Art »Selbstdarstellung«, wie es alle anderen Delegationen durchführen, könne die westdeutsche Delegation nicht durchführen. Dazu gebe es kein Programm und es seien auch keine entsprechenden Teilnehmer vorhanden. Zum anderen seien zahlreiche Delegationsmitglieder der Meinung, eine solche »Selbstdarstellung« würde die »Vorurteile gegen die BRD kaum abbauen«. Die Vorbereitung auf das Lager (in Sonderlehrgängen) sei nicht ernst genommen und der Inhalt des dort Vorgetragenen von vielen Teilnehmern nicht begriffen worden. In diesem Zusammenhang kritisierten westdeutsche Delegationsmitglieder, dass sich die Delegation größtenteils aus wohlhabenden Kreisen zusammensetze.

Im Berichtszeitraum kam es zu folgenden weiteren beachtenswerten Erscheinungen bzw. Vorkommnissen:

Am 24.8.1972, gegen 17.00 Uhr, wurde die DDR-Sportstudentin [Name 4] mit sechs sowjetischen Bürgern auf dem Heimweg vom sportwissenschaftlichen Kongress von sogenannten Exil-Ukrainern angepöbelt. Durch besonnenes Verhalten der sowjetischen Bürger wurde ein größerer Auflauf vermieden.

Die Versuche, Kontakte zu Aktiven und Offiziellen der DDR-Olympiamannschaft herzustellen, nahmen in den letzten Tagen wesentlich zu. Bei den »Kontaktsuchern« handelt es sich in der Regel um Verwandte oder Bekannte aus der BRD. Außerdem gibt es viele Telefonanrufe mit der Bitte um Rückruf, viele Briefe und in Einzelfällen Geldüberweisungen von Verwandten in der BRD.

Kurz vor der Rückreise der ersten Touristengruppe wurden mehrere DDR-Bürger aufgefordert, in der BRD um »politisches Asyl« zu ersuchen. Einige DDR-Bürger wurden brieflich zu Begegnungen mit Bekannten in der BRD aufgefordert.

Im Büro der DDR-Mannschaft ging wiederholt auf dem Postweg versandt Hetzmaterial ein. So erhielten z. B. Hetzschriften gleichen Inhalts u. a. die Genossen Ewald2 und Dr. Schöbel,3 der Fahnenträger der DDR-Delegation, Manfred Wolke4 der Schwimmer Roland Matthes5 und der Turner Wolfgang Thüne.6

In verschiedenen Unterkünften der DDR-Touristendelegation in Oberaudorf und Kiefersfelden gingen auf dem Postweg ebenfalls Hetzschriften ein. Auch DDR-Journalisten wurden über den Postweg bzw. durch Ablage in den Postboxen Hetzmaterialien zugesandt. Im Haus 38 des Pressedorfes erfolgten in mehreren Zimmern konspirative Durchsuchungen. (In diesen Räumen wohnten Journalisten von Radio DDR.)

Bei den Hetzschriften handelt es sich um Folgende:

  • anonym gehaltenes Flugblatt mit dem Text:

  • »DDR/Ostdeutschland/Eure sportlichen Erfolge sind Leichentücher für die Toten an der Mauer«,

  • Hetzflugblatt, unterzeichnet von einer »Europäischen Vereinigung gegen Tyrannei und Diktatur«, mit einem kurzen Text in Versform (»Bald marschiert ihr wieder mal ein …« –gegen die Hilfsaktion der sozialistischen Staaten in der ČSSR gerichtet),7

  • »Aufruf« des »Zentralkomitees des Anti-Bolschewistischen Blocks der Nationen« (ABN),8 der sich als Sprecher der »unterdrückten Völker im sowjetrussischen Machtbereich« ausgibt und der die »Auflösung des russischen Imperiums in unabhängige nationale Staaten« fordert. Vom ABN wurde weiterhin ein an Brundage9 gerichteter Brief in englischer Sprache verteilt, in dem die selbstständige Teilnahme der Ukrainer an den Olympischen Spielen gefordert wird.

  • Rundbrief der »Hilfsaktion Märtyrerkirche«,10 in welchem mit Parolen von der angeblichen Verfolgung der Christen in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Staaten üble antikommunistische Hetze betrieben wird, (Die »Hilfsaktion Märtyrerkirche« stellt sich offiziell die Aufgabe, allen »unterdrückten Christen, insbesondere denen in kommunistisch regierten Ländern, zu helfen«.)

  • Flugblätter der maoistischen KPD/Marxisten-Leninisten, die u. a. zu einem »Roten Antikriegstag« am 2.9. in München aufriefen. Die Olympischen Spiele werden als »Notstands- und Kriegsolympiade« bezeichnet.

In der Zeit zwischen 21. bis 24.8.1972 wurde an einem DDR Omnibus (Kennzeichen IF 82 – 90) der vordere rechte Bremsschlauch beschädigt. Der Bus parkte vor dem Hotel »Mark« auf dem offiziellen Parkplatz am Olympiaturm. (Der beschädigte Schlauch wird kriminaltechnisch überprüft.)

Am 29.8.1972 verteilte die DKP vor dem Pressezentrum ein Flugblatt über das Verhalten von Neonazis und anderen Rechtskräften während der Olympischen Spiele. Die Verteiler, Mitglieder der DKP, trugen das Olympiaabzeichen der DDR. Dieser Umstand habe insbesondere Ausländern zu der Auffassung geführt, dass es sich bei den Flugblattverteilern um DDR-Bürger handle.

  1. Zum nächsten Dokument Brandgeschehen in der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft

    6. September 1972
    Information Nr. 819/72 über das Brandgeschehen in der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft seit Beginn der Getreideernte

  2. Zum vorherigen Dokument Probleme der Beziehung zwischen Rumänien und BRD sowie DDR

    5. September 1972
    Information Nr. 827/72 über einige Probleme der Beziehungen der Sozialistischen Republik Rumänien und der BRD sowie der SRR und der DDR