Hirtenbrief über Probleme der Volksbildung
6. Januar 1972
Information Nr. 11/72 über einen Hirtenbrief der evangelischen Bischöfe der DDR, Probleme der Volksbildung betreffend
Dem MfS wurde intern bekannt, dass am 8.12.1971 ein »Schreiben des Bischofskonventes an die Brüder im Ephoralamt«,1 unterschrieben von allen evangelischen Bischöfen der DDR, versandt wurde, in dem zu dem angeblichen Problem der Benachteiligung christlicher Kinder im Bereich der Volksbildung Stellung genommen wird.
In dem Schreiben wird festgestellt, dass in den letzten Monaten »Benachteiligungen und sogar Diskriminierungen christlicher Eltern und Schüler« zunehmen würden. Dies sei nicht geeignet, eine solche vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Christen und Marxisten zu fördern, wie sie staatlicherseits »so dringend gewünscht« wurde.
Aussprachen der Bischöfe »auf allen ihnen möglichen Ebenen« hätten einerseits die Auskunft ergeben, dass »eine neue ideologische Situation entstanden sei, die sich naturgemäß auf dem Gebiet der Volksbildung niederschlage«. Andererseits sei »von führenden Repräsentanten des Staates« wiederholt und unmissverständlich versichert worden, »dass sich in der Grundeinstellung des Staates gegenüber der Kirche im Vergleich zu der Situation vom Februar des Jahres nichts verändert habe« und dass man an zentraler staatlicher Stelle bereit sei, »solche Fälle, die sich auf regionaler Ebene nicht bereinigen ließen, sorgfältig zu prüfen«.
Aus dem Schreiben geht hervor, dass sich die Synoden der einzelnen Landeskirchen mit dem Problem der Benachteiligung christlicher Kinder beschäftigt und sich dazu »einmütig geäußert« hätten. Als Beispiel, das gleichermaßen für alle Landessynoden gilt, ist dem Schreiben der Bischöfe als Anlage 1 ein Auszug aus dem Bericht der Kirchenleitung vor der Landessynode Greifswald (4. bis 7.11.1971)2 beigefügt. In diesem wird folgende Feststellung der Bundessynode3 vom Juli 1971 zitiert:
»In einer größeren Zahl von Fällen wurde bei Kindern und Jugendlichen das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben, beeinträchtigt. Immer wieder werden junge Christen in ihrem Bildungsweg und in ihrem beruflichen Fortkommen wegen ihres Glaubens benachteiligt.«
Weiter wird in dem genannten Bericht zum Ausdruck gebracht, dass sich die Tendenzen der Benachteiligung christlicher Schüler besonders seit Beginn des neuen Schuljahres mehren. Diese Tendenzen auf dem Gebiet der Volksbildung würden im Widerspruch zur verfassungsmäßig verankerten Gewissens- und Glaubensfreiheit stehen.
Weiter wird in dem Schreiben der Bischöfe erwähnt, dass die Konferenz der Kirchenleitungen in ihrem Bericht vor der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR im Juli 19714 in Eisenach aus dem genannten Problemkreis besonders die Frage der Zulassung zur Erweiterten Oberschule angesprochen habe. In einem Auszug aus diesem Bericht (Anlage 2 zum Schreiben der Bischöfe) wird festgestellt, dass in dieser Frage »offensichtlich weitere Verschärfungen« eingetreten seien.
In der Anlage 3 zu dem Brief der Bischöfe sind – zur Untermauerung ihrer Argumentation – die gesetzlichen Grundlagen der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Auszüge aus der Verfassung und dem StGB) sowie ein Auszug aus der Entschließung des VIII. Parteitages5 angeführt.
In dem Schreiben der Bischöfe wird betont, dass sich die Fälle mehren, wo Christen zur Gewissensnötigung veranlasst werden. Dieser Zustand sei für die Kirche nicht länger tragbar.
In geeigneter Form müssten sich deshalb die Pastoren auf Ortsebene, die Superintendenten auf Kreisebene und die Generalsuperintendenten auf Bezirksebene zu Anwälten der »Genötigten« machen. Voraussetzung sei in jedem Fall die gründliche Prüfung der sachlichen Richtigkeit der anzuprangernden Sache. Dann soll den leitenden Organen der Kirchen Mitteilung gemacht werden, damit sie ausgewertet werden könne. Darüber hinaus soll keine Gelegenheit versäumt werden, die Sorgen und Beschwerden christlicher Eltern und Kinder an den zuständigen Stellen ganz konkret vorzubringen und sich dabei besonders auf die entsprechenden Artikel der Verfassung zu berufen, die gleiche Bildungschancen für alle betonen.
Dem Hirtenbrief der Bischöfe ist ein Begleitschreiben beigefügt, in dem hervorgehoben wird, dass es sich um einen einstimmigen Beschluss aller Bischöfe der DDR handele und dass es den Pfarrern (die letztendlich die Empfänger des Schreibens sind) überlassen sei, diesen individuell auszuwerten.
Diese Information kann aus Gründen der Sicherheit der Quellen nicht öffentlich ausgewertet werden.
Anlage 1 zur Information Nr. 11/72
Schreiben des Bischofkonvents an die Brüder im Ephoralamt
Wir Bischöfe der evangelischen Kirchen in der DDR haben uns wiederholt mit der Lage auf dem Sektor der Volksbildung befassen müssen. In den letzten Monaten mehren sich Nachrichten über Benachteiligungen und sogar Diskriminierungen christlicher Eltern und Schüler. Diese Sorge ist bereits bei dem Empfang des Vorstandes der Konferenz der Kirchenleitungen durch den Staatssekretär für Kirchenfragen, Herrn Seigewasser, am 24.2.1972 deutlich ausgesprochen worden.6 Verhandlungen wurden zugesagt. Die gleiche Sorge ist inzwischen auf allen Synoden der Gliedkirchen zur Sprache gekommen. Die Synoden haben sich zu den Beschwernissen, die ihnen vorgetragen wurden, einmütig geäußert (z. B. Anlage 1).7
Die Konferenz der Kirchenleitungen hat in ihrem Bericht vor der Synode des BEK8 in Eisenach im Juli des Jahres aus diesem Fragenkomplex besonders die Praxis der Zulassung zur EOS angesprochen (Anlage 2).9 Die Synode nahm zu dieser Materie mit folgendem Beschluss Stellung:
»Die Synode teilt die Besorgnis der Konferenz über Tendenzen auf dem Gebiet der Volksbildung, die sich in letzter Zeit an einigen Stellen abzeichnen. In einer größeren Zahl von Fällen wurde bei Kindern und Jugendlichen das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben, beeinträchtigt. Immer wieder werden junge Christen in ihrem Bildungsweg und in ihrem beruflichen Fortkommen wegen ihres Glaubens benachteiligt. Die Synode weiß sich verpflichtet, für diese jungen Menschen einzutreten. Sie bittet die Gemeinden, die Eltern mit ihren Kindern, sich nicht beirren zu lassen. … Die Synode bittet die Konferenz, nach geeigneten Wegen wirksamer Hilfe zu suchen.«10
Zu Verhandlungen auf der Ebene des Bundes und mit verantwortlichen Vertretern des Ministeriums für Volksbildung ist es bisher nicht gekommen. Es werden neue Fälle bekannt; andere sind bereinigt worden. In jedem Fall entsteht eine Atmosphäre der Einschüchterung und des Misstrauens, die jedenfalls nicht geeignet ist, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Marxisten und Christen zu fördern, wie sie in dem Referat von Paul Verner am 8.2.197111 so dringend gewünscht wird. Dort hieß es bekanntlich: »Unsere Entwicklung hat doch augenfällig bestätigt, dass gegenseitiges Vertrauen und Achtung sowie gemeinsames Handeln zum Erfolg geführt haben. Das Hochspielen sowie das Verwischen der nicht zu überbrückenden weltanschaulichen Gegensätze zwischen Marxisten und Christen hat – dafür kennt die Geschichte genügend Beispiele – immer den Feinden des Friedens und des gesellschaftlichen Fortschritts genützt« (Paul Verner/Gerald Götting, Christen und Marxisten in gemeinsamer Verantwortung. Berlin 1971, S. 41).12
Wir stehen zu dem, was wir in unserem Brief aus Lehnin13 vom 15.2.1968 im Rahmen der allgemeinen Aussprache über die neue Verfassung gesagt haben: »Als Staatsbürger eines sozialistischen Landes sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt, den Sozialismus als eine Gestalt gerechteren Zusammenlebens zu verwirklichen.«14 Der in unserer Verfassung verankerte Satz von der Gewissens- und Glaubensfreiheit (Art. 20, 1)15 und die damit gebotene Achtung vor dem Denken und Handeln des Anderen, die in der Tiefe seiner Überzeugung begründet sind, muss lebendige Wirklichkeit unter uns sein. Nur so werden »die Christen und diejenigen Mitbürger, die die Weltanschauung der führenden Partei nicht teilen, an der Verantwortung für unser Staatswesen mit unverletztem Gewissen teilhaben können.« Nur so wird auch der »Sozialismus als eine Gestalt gerechteren Zusammenlebens« als die eigene Sache aller Bürger angesehen werden.
Wir Bischöfe haben gemeinsam mit unseren Kirchenleitungen auf allen uns möglichen Ebenen unsere Sorgen vorgetragen und mit konkreten Angaben belegt. Dabei ergab sich ein unterschiedliches Bild: von einigen Gesprächspartnern bekamen wir die Auskunft, dass in der Tat eine neue ideologische Situation entstanden sei, die sich naturgemäß besonders auf dem Gebiet der Volksbildung niederschlage. Andere verneinten dies entschieden. Bei einer Begegnung des Vorsitzenden der Konferenz der Kirchenleitungen und des Präses der Synode des Bundes mit führenden Repräsentanten des Staates in den letzten Wochen wurde wiederholt und unmissverständlich versichert, dass sich in der Grundeinstellung des Staates gegenüber der Kirche im Vergleich zu der Situation vom Februar des Jahres nicht verändert habe. Ausweichende Auskünfte und Handlungen entsprächen nicht der offiziellen Linie des Staates. Es wurde anerkannt, dass die genannten Differenzen auf dem Sektor der Volksbildung ein wichtiger Gegenstand des Gespräches zwischen Staat und Kirche seien. Sowohl einzelne kirchliche Amtsträger, wie zentrale kirchliche Stellen hätten ein Recht, sie aufzugreifen. Endlich wurde zugesichert, dass man an zentraler staatlicher Stelle bereit sei, solche Fälle, die sich auf regionaler Ebene nicht bereinigen ließen, sorgfältig zu prüfen.
Wir nehmen diese Worte ernst und werden danach handeln. Wir bitten, die Brüder im Pfarramt zu beraten und sie darin zu bestärken, die Eltern in Fällen von Benachteiligungen und Diskriminierung ihrer Kinder zu unterstützen. Wir bitten, solche Tatbestände so sorgfältig wie möglich zu prüfen und sie den leitenden Organen der Kirchen zu übermitteln, sodass sie dort ausgewertet werden können. Vor allem bitten wir jedoch, dazu zu ermuntern, keine Gelegenheit zu versäumen, die Sorgen und Beschwerden christlicher Eltern und Kinder an den zuständigen Stellen ganz konkret vorzubringen. Wir erinnern an die Artikel unserer Verfassung von 1968, die die Grundrechte aller Bürger bekunden, besonders an die, welche die gleichen Bildungschancen für alle betonen (Anlage 3).16
Noch ein Wort zur Zulassung zu den Erweiterten Oberschulen und zu den Hochschulen: Es ist nur verständlich, dass Eltern ihren Kindern möglichst große Bildungschancen geben möchten. Es wird aus allgemeinen, objektiven Gründen nicht zu verwirklichen sein, dass alle, die es wollen, eine Hochschule besuchen können. Das Prinzip der Auswahl sollte aber für alle einleuchtend sein. Leider trifft das in vielen Fällen nicht zu. Die Aufgabe der Brüder im Ephoral und im Pfarramt wird es sein, dann in rechter Weise zu trösten. Wirklich trösten kann uns nur unser Glaube, dass wir und unsere Kinder nicht uns selbst leben und damit letzten Endes unser Leben auch nicht selbst aufzubauen haben. Wir gehören unserem Herrn. Wenn das gilt, dann eröffnet auch eine nicht akademische Ausbildung Möglichkeiten, ihm zu dienen. Dann werden unsere Kinder vielleicht nicht in führende Stellen kommen. Sie werden aber, wo immer sie auch sind, Vorbild und gerade so anderen auf ihrem Wege hilfreich sein können.
Wir Bischöfe werden gemeinsam mit unseren Kirchenleitungen für die Betroffenen auf jede uns mögliche Weise eintreten, wie wir das auch bisher getan haben. Die Verantwortung liegt auf uns allen. Weder ist es möglich, sie allein den Kirchenleitungen und den Organen des Bundes zuzuschieben; noch ging es an, die Eltern und Kinder, die Gemeinden und ihre Pfarrer im Eintreten für das Recht allein zu lassen.
Es ist nicht abzusehen, ob diese gemeinsamen Bemühungen zu befriedigenden Ergebnissen führen werden. Wir wünschen es dringend. Wir wünschen es gerade auch um unsere Gesellschaft willen. Denn es geht im Einsatz für das Recht des Einzelnen immer auch um das Wohl der ganzen Gesellschaft. Auch aus diesem Grunde bitten wir, den Eltern Mut zu machen, für ihr Recht und das ihrer Kinder mit aller Entschiedenheit selbst einzutreten. Darum bitten wir, die Gemeinden in allen ihren Gliedern auf ihre Mitverantwortung für ihre Brüder und Schwestern und gerade für ihre Kinder anzusprechen. Wir werden dabei an ihrer Seite sein.
»Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott« (Jes. 35,4, Monatsspruch für Dezember 1971).
Berlin, im Advent 1971
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gez. D. Braecklein (Landesbischof Eisenach)
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gez. Dr. Krusche (Bischof – Magdeburg)
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gez. von Brück (Oberlandeskirchenrat, amtierender Landesbischof – Dresden)
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gez. Natho (Kirchenpräsident – Dessau)
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gez. D. Fränkel (Bischof – Görlitz)
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gez. Dr. Rathke (Landesbischof – Schwerin)
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gez. D. Dr. Krummacher (Bischof – Greifswald)
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gez. D. Dr. Schönherr (Bischof – Berlin)
Anlage 2 zur Information Nr. 11/72
Bericht der Kirchenleitung vor der Landessynode Greifswald vom 4.–7. November
Weil wir aber das Christensein in der sozialistischen Gesellschaft bejahen, bleibt es für uns schier unbegreiflich, warum man so vielen christlichen Familien, Kindern, Jugendlichen und Eltern dieses Ja und die gesellschaftliche Mitarbeit vonseiten vieler Volksbildungsorgane so bitter schwer macht. Leider gilt auch bei uns in steigendem Maße, was die Bundessynode in Eisenach bereits im Juli 1971 festgestellt hat:
»In einer größeren Zahl von Fällen wurde bei Kindern und Jugendlichen das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben, beeinträchtigt. Immer wieder werden junge Christen in ihrem Bildungsweg und in ihrem beruflichen Fortkommen wegen ihres Glaubens benachteiligt.«
Warum sind seit Beginn des neuen Schuljahres christliche Eltern jetzt häufig in den Elternaktivs? Warum dürfen Kinder, die zur Christenlehre gehen, häufig keine Funktion im Gruppenrat17 haben? Warum benachteiligt man Abiturienten in der 12. Klasse bei der Bewerbung zum Hochschulstudium, wenn sie sich nicht zum Kirchenaustritt bewegen lassen? Warum raten seit Beginn des neuen Schuljahres in häufigen Fällen Lehrer den Eltern dringend ab, ihre Kinder zum kirchlichen Unterricht zu schicken? Warum wird vielfach seitens der Schulen unzulässigerweise kontrolliert, wer zum kirchlichen Unterricht geht? Warum müssen Kinder es erleiden, dass sie wegen des kirchlichen Unterrichts verspottet werden, ja, dass schon kleine christliche Kinder sagen: wir bekommen wohl keinen guten Beruf! Wir haben in Verhandlungen von Eltern, Seelsorgern und Kirchenleitung mit Räten der Kreise und der Bezirke manches zur Sprache bringen und teilweise zurechtrücken können. Es steigert sich aber über Einzelfälle hinaus bei uns die Sorge, dass sich hier Tendenzen auf dem Gebiet der Volksbildung abzeichnen, die im Widerspruch zur verfassungsmäßig verankerten Gewissens- und Glaubensfreiheit stehen. Wir müssen aus seelsorglicher Verantwortung für unsere angefochtenen Gemeindeglieder deutlich aussprechen: mit zerbrochenen Herzen und Gewissen wird dem Aufbau der sozialistischen Gesellschaft nicht gedient. Wir danken den Lehrern, die als rechte Pädagogen die Gewissensfreiheit achten. Die Eltern, die Jugendlichen und Kinder aber bitten wir, sich in ihrem Glauben nicht beirren zu lassen. Die Gemeinden werden die christliche Elternarbeit umso ernster auf ihr Herz nehmen müssen.
Anlage 3 zur Information Nr. 11/72
Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen für die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR im Juli 1971
3.5.218
Wir haben dem Herrn Staatssekretär vorgetragen, dass bei den Zulassungen zu den Vorbereitungsklassen der Erweiterten Oberschule offensichtlich weitere Verschärfungen eingetreten sind. Es wird – nicht nur weit über die Verpflichtung zur Loyalität hinaus – verlangt, dass die Schüler sich mit ganzem Herzen und ganzem Leben mit den Zielen ihres Staates identifizieren und dies z. B. durch die Teilnahme an der Jugendweihe19 und durch Mitgliedschaft in der FDJ zum Ausdruck bringen. Neuerdings wird häufiger bereits die Teilnahme am christlichen Unterricht und an der Konfirmation und damit das religiöse Bekenntnis selbst als Grund für die Ablehnung entweder offen angegeben oder muss aus den Umständen zwingend als solcher angenommen werden.
Dabei wird der Standpunkt vertreten, dass sich das »gleiche Recht auf Bildung« (Artikel 25,1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik)20 nur auf die allgemeine polytechnische Oberschule beziehe, der Übergang in höhere Bildungseinrichtungen aber Privileg für diejenigen sei, die sich vorbehaltlos zur Ideologie des Marxismus-Leninismus mit allen, also auch den weltanschaulichen Konsequenzen, bekennen. Wir vermögen nicht zu sehen, dass solches Vorgehen durch die Artikel 17,2,21 19,322 oder durch den Wortlaut von Artikel 26,123 gedeckt ist. Wir verkennen nicht, dass der Ansturm auf die Hochschulen und damit auch auf viele Erweiterte Oberschulen eine Auswahl nötig macht. Das Prinzip der Auswahl sollte aber für alle einleuchtend sein. Es gibt viele christliche und nicht christliche Schüler, die den Vergleich mit denen, die den Marxismus-Leninismus auch weltanschaulich bejahen, im Einsatz für die Gesellschaft nicht scheuen zu brauchen. Wäre es nicht besser, wenn außer den schulischen Leistungen der effektive, gesellschaftliche Einsatz der Schüler gewertet würde, auch wenn er sich nicht immer in den Formen vollzieht, die im Rahmen der Gesellschaft dafür angeboten werden? Wir würden es begrüßen, wenn diese Probleme, die das Verhältnis christlicher Bürger zu ihrem Staat schwer belasten, in den zugesagten Einzelgesprächen befriedigend gelöst werden könnten.
Anlage 4 zur Information Nr. 11/72
Stellungnahme zur Kirchenordnung
Wir verweisen besonders auf die Art. 20 (1) und 19 (3) der Verfassung, in denen es heißt:
»Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat unabhängig von seiner Nationalität, seiner Rasse, seinem weltanschaulichen oder religiösen Bekenntnis, seiner sozialen Herkunft und Stellung die gleichen Rechte und Pflichten. Gewissens- und Glaubensfreiheit sind gewährleistet. Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich.«
»Frei von Ausbeutung, Unterdrückung und wirtschaftlicher Abhängigkeit hat jeder Bürger gleiche Rechte und vielfältige Möglichkeiten seine Fähigkeiten in vollem Umfange zu entwickeln und seine Kräfte aus freiem Entschluss zum Wohle der Gesellschaft und seinem eigenen Nutzen in der sozialistischen Gemeinschaft ungehindert zu entfalten. So verwirklicht er Freiheit und Würde seiner Persönlichkeit. Die Beziehungen der Bürger werden durch gegenseitige Achtung und Hilfe, durch die Grundsätze sozialistischer Moral geprägt.«
Zu vergleichen sind aber auch:
Art. 39 (1) »Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben.«24
Art. 6 (5) »Militärische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass werden als Verbrechen geahndet.«25
Art. 25 (1) »Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das gleiche Recht auf Bildung. Die Bildungsstätten stehen jedermann offen. Das einheitliche sozialistische Bildungssystem gewährleistet jedem Bürger eine kontinuierliche sozialistische Erziehung, Bildung und Weiterbildung.«26
Weiterhin StGB § 133 (1)
»Wer einen Menschen Gewalt, durch Drohung mit einem schweren Nachteil oder durch Missbrauch einer Notlage oder eines Abhängigkeitsverhältnisses von der Teilnahme an einer religiösen Handlung in dem dazu bestimmten Bereich abhält, behindert oder zur Teilnahme an einer derartigen Handlung zwingt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.«27
Wichtig ist aus der Entscheidung des VIII. Parteitages der SED28 in Abs. III, Ziffer 2:29
»Der Parteitag stellt fest, dass das Zentralkomitee die weitere Stärkung der Arbeiter- und Bauern-Macht, die Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie stets im Blickfeld seiner Tätigkeit hat.
Dieser Prozess, in dem der Volksentscheid über die sozialistische Verfassung einen hervorragenden Platz einnahm, bringt die politische Reife und das sozialistische Staatsbewusstsein unserer Bürger überzeugend zum Ausdruck.
Es ist ein erstrangiges Anliegen der Partei, die Arbeit zur weiteren Festigung der sozialistischen Staatsmacht zielstrebig fortzuführen. Das Lenin’sche Prinzip des demokratischen Zentralismus ist konsequent zu verwirklichen, indem die zentrale staatliche Leitung und Planung qualifiziert und wirksam mit der wachsenden schöpferischen Aktivität der Werktätigen verbunden wird. Herzlosigkeit und Bürokratismus haben in unserem Staat keinen Platz und sind entschieden zu bekämpfen. Den Bedürfnissen und Sorgen der Werktätigen ist große Aufmerksamkeit zu schenken.
Der Parteitag ist der Ansicht, dass die Volksvertretungen und die Abgeordneten ihre Funktionen noch vollständiger ausüben müssen, die die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger berühren. Das erfordert eine weitere Erhöhung der Qualität der Beschlüsse der Volksvertretungen, eine konsequente Kontrolle ihrer Durchführung und die engere Zusammenarbeit mit Betrieben und gesellschaftlichen Organisationen, insbesondere den Gewerkschaften.
Der Parteitag betrachtet es als eine wichtige Aufgabe, dass überall im täglichen Leben die Einhaltung des sozialistischen Rechts und die bewusste Disziplin zur festen Gewohnheit der Menschen werden. Er erwartet von allen Staats- und Wirtschaftsfunktionären, dass sie konsequent die Gesetzlichkeit einhalten und die Gewährung von Ordnung, Disziplin und Sicherheit zum festen Bestandteil ihrer Leitungstätigkeit machen.
Die Wahrung der Rechte der Bürger im Großen wie im Kleinen ist ein fester Grundsatz unserer sozialistischen Ordnung.
Die Tätigkeit der Volkskontrolle ist zu verbessern. Die Arbeiter-und-Bauern-Inspektionen30 haben durch ihre Tätigkeit entscheidend zur Verwirklichung der Lenin’schen Ideen der Rechenschaftslegung und Kontrolle beizutragen. Die Partei wird der konsequenten Verwirklichung dieser Ideen auch künftig große Aufmerksamkeit schenken.«