Journalistische Arbeit während Geste des guten Willens (1)
13. April 1972
Information Nr. 355/72 über die Tätigkeit von Journalisten aus dem westlichen Ausland während der Geste des guten Willens
Auf der Grundlage der vom MfAA vorgeschlagenen und von der Parteiführung bestätigten1 Dokumente für die pressepolitischen Maßnahmen2 wurden
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nicht akkreditierten Journalisten der BRD, Westberlins und anderer Staaten nach Genehmigung durch das MfAA journalistische Vorhaben gestattet;
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nicht akkreditierten Rundfunkanstalten anderer Staaten auf ihren Antrag hin, nach Prüfung und Bestätigung ihrer Vorhaben, Genehmigungen erteilt,
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mit Aufnahmegeräten in die DDR einzureisen und
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in Begleitung durch eingesetzte Betreuer des Journalistenverbandes der DDR oder des Staatlichen Komitees für Rundfunk der DDR beruflich tätig zu werden;
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dem Ersten und Zweiten Programm des BRD-Fernsehens Arbeitsmöglichkeiten für jeweils eine Gruppe nach Prüfung und Bestätigung des von ihnen vorgeschlagenen Programms und außerdem
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vier Gruppen aus anderen Staaten (Vision News/Großbritannien,3 UPI – TN/USA,4 die französische Fernsehgesellschaft ORTF5 und KRO-Fernsehen/Holland6) die Berichterstattung aus der DDR genehmigt.
Auf dieser Grundlage wurden für den Besuchszeitraum vom 29.3. bis 5.4.1972 vom MfAA insgesamt 364 journalistische Vorhaben genehmigt, von denen 195 realisiert wurden. Sie gliedern sich auf in sieben Fernsehgruppen mit insgesamt 42 Mitarbeitern, neun Hörfunkjournalisten und 29 Presseorgane und Nachrichtenagenturen mit insgesamt 48 Journalisten.
Insgesamt wurden in der DDR 99 Journalisten aus der BRD, aus Westberlin und dem übrigen nichtsozialistischen Ausland tätig, die während des Besuchsabkommens ein- oder mehrmals in die DDR einreisten. (Darin nicht erfasst sind die Pressevertreter der sozialistischen Bruderländer, sowie »UZ«7, »Die Wahrheit«8 und die ständig in der DDR akkreditierten Vertreter von »Reuters«9 und APP.)10
Anträge auf Arbeitsbescheinigungen wurden u. a. von folgenden Film- und Fernsehgesellschaften, Rundfunkanstalten, Agenturen, Illustrierten und Tageszeitungen gestellt und auch genehmigt:
Frankfurter Rundschau, | Deutsche Welle, | Dpa, |
Augsburger Allgemeine, | SFB – FS, | AP, |
Saarbrücker Zeitung, | SFB – HF, | dpa – Bild, |
Neue Ruhrzeitung, | Hahn-Film,11 | AP-Foto, |
Telegraf,12 | Deutschlandfunk, | Stern-Foto, |
Weser-Kurier, | ARD-Tagesschau, | Keystone-Foto |
Bild, | ZDF, | [–] |
Morgenpost, | WDR | [–] |
Express Köln, | [–] | [–] |
Hamburger Abendblatt, | [–] | [–] |
Stern, | [–] | [–] |
Süddeutsche Zeitung, | [–] | [–] |
Westdeutsche Allgemeine, | [–] | [–] |
Westfälische Rundschau, | [–] | [–] |
Frankfurter Allgemeine Zeitung, | [–] | [–] |
Express13 | [–] | [–] |
Nicht einreisen durften entsprechend den von der Partei getroffenen Festlegungen außer sechs benannten Journalisten, Vertreter der Publikationsorgane der NPD, der revanchistischen Landsmannschaften,14 des RIAS15 sowie der Sender »Freies Europa«16 und »Radio Liberty«.17 (Alle anderen Sperrmaßnahmen wurden aufgehoben.)
Besonders aktiv zeigten sich während der Einreisezeit die Fernseh- und Filmaufnahmegruppen von
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ARD – Erstes westdeutsches Fernsehen,
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ZDF – Zweites westdeutsches Fernsehen und
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Pohland-Produktion18 (die im Auftrage des SPD-Vorstandes drehte),
die seit dem 30.3.1972 fast täglich einreisten.
Diese Gruppen wurden entsprechend der zentralen Festlegung während ihrer journalistischen Tätigkeit ständig betreut. Dadurch wurde unterbunden, dass solche von den Gruppen beabsichtigte und vom Programm abweichende Vorhaben wie Interviews mit DDR-Bürgern, Filmvorhaben in Betrieben oder direkt an den GÜST realisiert werden konnten.
Alle übrigen Einzeljournalisten wurden entsprechend den international üblichen Gepflogenheiten nicht betreut und konnten sich im Wesentlichen (bis auf gemeinsame Exkursionsreisen nach Potsdam und Dresden) unkontrolliert bewegen.
Es ist einzuschätzen, dass sich die Journalisten, die vom MfAA eine Arbeitsgenehmigung erhalten hatten, im Allgemeinen nicht ordnungswidrig verhielten und bemüht waren, nur im Rahmen ihrer Befugnisse zu handeln.
Besonders auffällig war, dass alle für Presseorgane des Springerkonzerns tätigen Journalisten, denen vom MfAA eine Arbeitsgenehmigung erteilt worden war, jegliche Kontaktaufnahmen zu Betreuern vom MfAA mieden und bestrebt waren, möglichst nicht mit der Pressestelle des MfAA in Berührung zu kommen.
Dem MfS wurden 14 Journalisten bekannt, die einreisten und ohne Arbeitsgenehmigung journalistisch tätig werden wollten. Es handelte sich dabei um
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drei schwedische Journalisten, die mit Film- und Tontechnik einreisten,
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drei französische Fernsehjournalisten mit Filmtechnik,
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ein iranischer Staatsbürger mit Kameraausrüstung,
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zwei Mitarbeiter der UFA,19
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zwei Journalisten des »Nachrichtenmagazins«,20
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ein RIAS-Mitarbeiter,
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ein »Stern«-Journalist,
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ein »Spiegel«-Journalist.
Während den beiden Letztgenannten nachträglich eine Arbeitsgenehmigung erteilt wurde, sind die übrigen Vorhaben abgelehnt worden.
Außerdem wurden eine Reihe Personen aus der BRD, Westberlin und dem übrigen nichtsozialistischen Ausland festgestellt, die nach ihrer Einreise versuchten, journalistisch tätig zu werden oder sich als Journalisten ausgaben, ohne dass sie sich bei ihrer Einreise als Journalisten ausgewiesen hatten. So wurden u. a. sieben Personen festgestellt, die sich am 31.3.1972 in der Hauptstadt der DDR als Journalisten des SFB21 ausgaben, zum Teil im Besitz einer »Arbeitsgenehmigung«, überschrieben mit Deutsche Rundfunkanstalt Berlin-Schöneberg, Grunewaldstraße 102 (ohne Kopfbogen, Text liegt vor) waren und vornehmlich Verkehrsbetriebe der Hauptstadt der DDR aufsuchten, um Informationen zu sammeln und Interviews durchzuführen. Ein weiterer angeblicher SFB-Journalist suchte in der gleichen Zielstellung am 1.4.1972 das Krankenhaus Friedrichshain auf.
Die dazu bisher durchgeführten Überprüfungen des MfS ergaben, dass Anmeldungen von ihnen im MfAA nicht vorlagen, sich unter der zum Teil von ihnen angegebenen Anschrift »Deutsche Rundfunkanstalt Berlin-Schöneberg, Grunewaldstraße 102« der U-Bahnhof Kleistpark und in dem ebenfalls als Wohnanschrift angegebenen Haus Berlin-Charlottenburg, Kurfürstendamm 196, ein Verwaltungsgebäude mit Büros zehn verschiedener Firmen befinden.
Soweit dem MfS Beispiele bekannt wurden, in denen sich »Journalisten«, die sich bei der Einreise nicht als solche ausgaben und auch nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung vom MfAA waren, an Bürger der DDR wandten, ist einzuschätzen, dass sich die angesprochenen DDR-Bürger in den meisten Fällen richtig verhielten, sich die Ausweispapiere des »Reporters« zeigen ließen und ihn dann entweder abwiesen oder ihn an die Pressestelle des MfAA verwiesen.
So versuchte am 31.3.1972, gegen 11.00 Uhr, eine Person, die sich als Westberliner freischaffender Journalist des SFB mit Namen [Name 1, Vorname], wohnhaft Berlin-Charlottenburg, [Straße, Nr.], ausgab, im Getränkekombinat Berlin ein Interview mit dem Betriebsdirektor zu führen, das nicht gewährt wurde. Dieser Westberliner Journalist wies sich mit einer Arbeitsgenehmigung mit folgendem Text aus:
Deutsche Rundfunkanstalt Berlin-Schöneberg, Grunewaldstraße 102.
Der freie Mitarbeiter [Name 1, Vorname] ist berechtigt, in Vorbereitung von Sendungen des SFB über die Entwicklung und das Leben in der Hauptstadt der DDR zu berichten und zu diesem Zweck Interviews mit verantwortlichen Mitarbeitern zu führen.
Unterschrift unleserlich.
[Name 1] wurde auf die Festlegung über die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung des MfAA verwiesen. Er erklärte, davon informiert zu sein. Beim MfAA wurde er nicht vorstellig.
Ebenfalls um 11.00 Uhr versuchte ein sich als Reporter des SFB mit Namen [Name 2] ausgebender Journalist, im Rathaus Köpenick mit dem Bezirksbürgermeister ein Interview zu führen.
Am 31.3.1972, gegen 10.30 Uhr, wurde der Betriebsleiter des Kombinatsbetriebes Straßenbahn/Omnibus Berlin, Genosse Zimmermann,22 von einer Person um ein Interview gebeten, die sich als Journalist des SFB, [Name 3], wohnhaft Berlin-Charlottenburg, [Straße, Nr.], ausgab. [Name 3] wies ein Schreiben des SFB vor, wonach er berechtigt sei, Fragen zum Betriebsablauf zu stellen.
[Name 3] äußerte, dass er diese journalistische Tätigkeit nebenberuflich gegen Honorar ausüben würde, von Beruf Vertreter für Elektrogeräte sei.
Gleichfalls am 31.3.1972, gegen 11.15 Uhr, erschien im Straßenbahnbetriebshof Köpenick eine Person, die sich ebenfalls mit einem Schreiben des SFB als [Name 4, Vorname], vorstellte, um von der Fahrdienstleiterin ein Interview zu erhalten.
Genosse Göpel,23 Betriebsleiter im Omnibushof Berlin, berichtete, dass am 31.3.1972, gegen 10.30 Uhr, ein Journalist, der sich ohne Namensnennung als Mitarbeiter des SFB vorstellte, ein Interview führen wollte.
Vom VEB Taxi Berlin-Weißensee wird berichtet, dass sich dort am 31.3.1972, gegen 11.15 Uhr, beim Betriebsleiter, Genosse Jäntsch,24 ein Journalist mit einem Schreiben des SFB, nachdem er berechtigt sei, Interviews zu führen, als [Name 5], wohnhaft Berlin-Charlottenburg, [Straße, Nr.] vorstellte und Auskünfte über den Taxi-Einsatz erfragen wollte.
Am 1.4.1972 erschien im Krankenhaus Friedrichshain ein namentlich nicht bekannter Journalist, der vorgab, Mitarbeiter des SFB zu sein und mit dem diensthabenden Arzt ein Interview zu führen.
In allen vorgenannten Fällen wurden keine Interviews gewährt und die »Journalisten« abgewiesen.
Die angeführten »Journalisten« [Name 1], [Name 5], [Name 3], [Name 4] und [Name 2] waren nach dem vom MfS durchgeführten Überprüfungen nicht beim MfAA, Abteilung Presse, für eine journalistische Tätigkeit avisiert worden und hatten keine Arbeitserlaubnis erhalten.
Trotz dieser angeführten Beispiele, wo Leiter staatlicher Einrichtungen oder Betriebe in der DDR gegenüber diesen »Journalisten« politisch richtig auftraten, wurden aber auch Einzelfälle bekannt, wonach sich Leiter von Betrieben oder Kollektiven bei der Kontaktaufnahme durch westliche Reporter bzw. Journalisten leichtfertig verhielten. Sie forderten keine Ausweispapiere bzw. kontrollierten sie nur flüchtig und gaben bereitwillig auf Fragen eine Antwort.
So erschien z. B. am 30.3.1972 am Informationsstand der BVB; am Bahnhof Alexanderplatz ein Westberliner Bürger, der sich als Reporter des SFB vorstellte und über Auskünfte zum Verkehrswesen der Hauptstadt bat. Er wurde danach vom diensthabenden Verkehrsleiter, Genosse [Name 6], empfangen, der bereitwillig die Fragen des Westberliner Bürgers, der sich als [Name 7] vorgestellt hatte, beantwortete. Genosse [Name 6] hatte vorher nicht die Ausweispapiere des Reporters überprüft.
[Name 7] stellte Fragen über die Verkehrsbedingungen und Besonderheiten in der Hauptstadt der DDR.
Einen Bericht über dieses Interview sendete der SFB am 30.3.1972 um 18.30 Uhr. (In diesem »Bericht« wurde u. a. der Preis für eine Sammelkarte für fünf Fahrten mit 20,00 M angegeben.)
Nach diesem Vorfall wurde durch den Stadtrat für Verkehr, Genosse Koplin,25 eine Weisung zur Verhinderung ähnlicher Vorkommnisse in anderen Betrieben des Verkehrswesens der Hauptstadt erteilt.
In Auswertung dieser Erfahrungen bei der Geste des guten Willens erscheint es notwendig, neben der strikten Einhaltung und Kontrolle der angewiesenen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem gesamten Tätigwerden von Journalisten, besonders auf solche Personen zu achten, die – ohne sich als Journalisten zu erkennen zu geben – nach ihrer Einreise unberechtigt journalistisch tätig werden.
Aus diesem Grunde wäre es zweckmäßig, den verantwortlichen Mitarbeitern in staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen eine entsprechende zentrale Orientierung über das Verhalten bei nicht avisierten Aktivitäten von als Journalisten in Erscheinung tretenden Personen zu geben. Das erscheint auch unter dem Gesichtspunkt notwendig, dass solche Personen unter dem Vorwand journalistischer Tätigkeit störend, provokatorisch und in feindlicher Absicht auftreten können.