Konferenz des Bundes evangelisch-freikirchlicher Gemeinden
8. Juni 1972
Information Nr. 548/72 über die Konferenz des Bundes evangelisch-freikirchlicher Gemeinden in der DDR (Baptisten) vom 4. bis 8. Mai 1972 in Leipzig
Dem MfS wurden Einzelheiten über die in der Zeit vom 4. bis 8.5.1972 in Leipzig stattgefundene Bundeskonferenz der in der DDR zugelassenen Religionsgemeinschaft »Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden in der DDR« (Baptisten) zu dem Thema: »Durch Christus befreit zu Zeugnis und Dienst« bekannt. Es handelt sich um die erste Bundeskonferenz nach der Verselbstständigung der Religionsgemeinschaft in der DDR im Jahre 1969.1 An der Tagung nahmen ca. 200 Delegierte teil. Als Gäste internationaler baptistischer Gremien waren anwesend:
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Dr. Goulding,2 London/Großbritannien
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Sekretär der »Europäischen Baptisten-Föderation«
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Dr. Thaut,3 Hamburg
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Vertreter des Weltbundes der Baptisten
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Vizepräsident der Europäischen Baptisten-Föderation und Leiter des internationalen baptistischen Seminars in Rüschlikon.
Weiter nahmen Vertreter der Baptisten aus der ČSSR, der VR Polen und der Ungarischen VR teil.
In ihren Grußworten sprachen sich Prof. Meister, Rüschlikon, und Dr. Goulding, London, für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR aus. Dr. Thaut, Hamburg, umging bei seinem Grußwort politische Äußerungen.
Den Bericht der Bundesleitung erstattete der Präsident des Bundes Herbert Morét,6 Berlin. Er brachte u. a. zum Ausdruck:
»Die Erklärung,7 die wir anlässlich der Begegnung mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen im April vorigen Jahres in Schmiedeberg8 abgaben, sollte durch ihre Veröffentlichung in ›Wort und Werk‹ auch jedem Glied unserer Bundesgemeinden verdeutlichen, wie wir uns als Christen inmitten des Raumes zu verstehen haben, in den uns Gott gestellt hat. Unterschiedlich war das Echo. Wir Christen sollten aber immer mehr lernen, nicht per Distanz oder gar Ressentiment, sondern bewusst in unserer Zeit und Gesellschaft zu leben.
Wir haben es begrüßt, dass in den Reden9 von Paul Verner,10 Mitglied des Politbüros des ZK der SED, und Gerald Götting,11 Vorsitzender der CDU, vom 8.2.1971 deutlich Linien für die Zusammenarbeit von Marxisten und Christen in unserem Staat aufgezeigt wurden.
Mit Bedauern stellen wir aber fest, dass es verschiedentlich begabten Kindern von Mitgliedern unserer Gemeinden verwehrt ist, bis zum Abitur die Oberschule zu besuchen und damit auch den direkten Ausbildungsweg des Hochschulstudiums einzuschlagen. Vielfach ist das dadurch zu erklären, weil aus politisch-ökonomischen Erwägungen der Besuch der erweiterten Oberschule und der Universität eingeschränkt worden ist. Andererseits liegen die Gründe aber oftmals darin, dass die Kinder, obwohl sie sich bewusst den gesellschaftlichen Aufgaben ihres Klassenkollektivs stellen, aus weltanschaulichen Gründen nicht in der FDJ organisiert sind bzw. nicht an der Jugendweihe12 teilnehmen. Eine generelle Regelung dabei zu erreichen wird uns nicht möglich sein, doch sollten wir uns auf örtlicher Ebene für die Betroffenen einsetzen.
Wir bedauern es auch, dass jungen Brüdern unserer Gemeinden, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen und sich zu den Baueinheiten13 gemeldet haben, das Direktstudium an der Universität verwehrt wird. Aus diesem Grunde sind auch einige Brüder exmatrikuliert worden. In zwei Fällen haben wir Eingaben sowohl an das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen mit Abschriften an das Ministerium für Nationale Verteidigung und an das Staatssekretariat für Kirchenfragen, als auch im anderen Fall an die Universität selbst gerichtet …
Die neue Verordnung über die Durchführung von Veranstaltungen brachte mancherorts einige Schwierigkeiten, besonders auch dort, wo in gottesdienstlichen Versammlungen Lichtbildervorträge oder Verkündigungsspiele vorgesehen waren. Wir sind aber der Meinung, dass es sich hier um Veranstaltungen handelt, die nicht einer Meldepflicht unterliegen …«14
Das Tagungsthema wurde mit entsprechender Problemstellung in verschiedenen Arbeitsgruppen behandelt.
Als ein Referent der Tagung trat Erhard Bachmann,15 Berlin, auf. Er brachte u. a. zum Ausdruck, dass die durch die beiden Weltkriege bewirkten Umbrüche im politischen und sozialen Leben der Völker und einzelnen Menschen ein schärferes gesellschaftliches Bewusstsein hervorgebracht haben. Auch die Christen müssten sich bemühen, im gesellschaftlichen Bereich ihren Platz zu finden. Beispiele einer gewandelten Einstellung seien z. B. die Beteiligung an Aktionen wie »Brot für die Welt«,16 am kirchlichen Antirassismus-Programm,17 an politischen Friedensbemühungen und größere Aufgeschlossenheit für aktuelle politische Tagesfragen. Neben dieser selbstverständlichen Einstellung, mit der sich die Mitglieder der Gemeinden als Bürger der DDR fühlen und aktiv tätig sind, sei jedoch auch eine zurückhaltende Einstellung festzustellen. Diese sei hervorgerufen durch den vermeintlichen Widerspruch zwischen den Appellen an die Christen zur Zusammenarbeit und gemeinsamen Verantwortung von Christen und Marxisten und den eindeutigen Aussagen der marxistisch-leninistischen Theorie, dass es eine ideologische Koexistenz nicht geben kann, sowie durch beschwerliche Erfahrungen mit administrativen Auswirkungen dieser Position in der ideologisch vom Marxismus geprägten atheistischen Gesellschaft.
Zum Teil würden sich auch der Totalitätsanspruch Jesu Christi einerseits und der Totalitätsanspruch des Marxismus-Leninismus mit seiner atheistischen Komponente andererseits konfrontieren. Abschließend erklärte Bachmann, dass keine Grenzen politischer, gesellschaftlicher, sozialer oder rassischer Anschauungen das Verkünden der Lehre beeinträchtigen dürfen.
Im Zusammenhang mit dem Rechenschaftsbericht wurde der Aufruf des Weltbundes der Baptisten »Weltmission für Versöhnung durch Jesus Christus«18 behandelt.
In diesem Aufruf wird dargelegt, dass sich die »feindlich gegenüberstehenden Lager« versöhnen müssen. Der Erreichung dieses Zieles soll ein langfristiges Evangelisationsprogramm für die Jahre 1972 bis 1975 dienen. Für die Erarbeitung und Durchführung des Programms wurde der Arbeitskreis für missionarische Gemeindearbeit verantwortlich gemacht.
Das Programm sieht folgende Etappen vor:
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1972 – Bekanntmachung dieser Aktion. Gründung der missionarischen Arbeitskreise in den Gemeinden
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1973/1974 – geistliche Erneuerung und Schulung zum evangelischen Dienst
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1974/1975 – Evangelisation in vielfacher Weise und über längere Zeiträume hinweg.
Mit dieser Form der Tätigkeit beabsichtigt man in erster Linie, die Arbeit des Bundes zu aktivieren, um so den Rückgang aufzuhalten.
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