Kriminelle Handlungen im VEB Magdeburger Armaturenwerke
10. Januar 1972
Information Nr. 23/72 über kriminelle Handlungen von Mitarbeitern der Außenstelle Berlin des VEB Magdeburger Armaturenwerke (MAW)
Ende des Jahres 1971 wurden die zuletzt als verantwortliche Mitarbeiter der dem VEB Magdeburger Armaturenwerke als »Hauptabteilung Investprojektierung« angegliederten Außenstelle tätigen Personen [Name 1] und [Name 2] wegen krimineller Handlungen zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Im Verlaufe der gegen die beschuldigten Personen geführten Untersuchungen wurde über vorgenannte Einrichtung und die dort beschäftigten Mitarbeiter folgendes festgestellt:
Die Außenstelle wurde im Jahre 1967 gebildet und anfangs dem Institut für Armaturen und Hydraulik, ab 1. Januar 1970 dem VEB Magdeburger Armaturenwerke angegliedert.
Die ca. 40 Mitarbeiter des Objektes beschäftigten sich mit der Projektierung von Industrieanlagen und Industriebauten verschiedener Art.
Die Bildung und der weitere Ausbau erfolgten im Wesentlichen auf Initiative einiger ehemaliger Inhaber bzw. Mitarbeiter privater Ingenieurbüros, denen wegen Verstoßes gegen staatliche Regelungen die erforderliche Gewerbeerlaubnis entzogen worden war.
Diese Personen nutzten auf diese Weise faktisch die vorhandene große Nachfrage nach Projektierungskapazitäten aus, um sich durch die Bildung einer solchen Einrichtung einen relativ autonomen Status zu schaffen und unter Nutzung der durch ungenügende Kontrolle der vorgesetzten Dienststelle gebotenen Möglichkeiten ihren alten Arbeits- und Lebensstil fortzusetzen.
Maßgeblich an der Bildung der genannten Einrichtung beteiligt war deren späterer Leiter [Name 1].
Der [Name 1] wurde 1956 wegen unmoralischen Lebenswandels aus dem damaligen Ministerium für Schwermaschinenbau entlassen, im Jahre 1957 wegen Geheimnisverrat zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt und aus der SED ausgeschlossen. Im Jahre 1963 wurde er wegen ungesetzlicher Einfuhr größerer Mengen Westwaren zu sechs Monaten Gefängnis mit Bewährung verurteilt.
Dessen ungeachtet gelang es [Name 1], sein inzwischen gegründetes privates Ingenieurbüro weiterzuführen.
Obwohl beim Institut für Armaturen und Hydraulik die Vergangenheit des [Name 1] bekannt war, übertrug man ihm die Leitung der Außenstelle und stattete ihn mit weitgehenden Vollmachten aus.
[Name 1] stellte als seinen Vertreter den Ingenieur [Name 2] ein, der von 1963–1967 ebenfalls ein privates Ingenieurbüro betrieb und Steuerhinterziehungen in Höhe von 197 TM begangen hatte.
Die drei Abteilungsleiter [Name 3], [Name 4] und [Name 5] waren vorher ebenfalls freiberuflich tätig und hatten aus dieser Zeit Steuerschulden in Höhe von 116 TM, 100 TM und 449 TM.
[Name 5] wurde 1966 wegen Fälschung seiner Gewerbeerlaubnis zu einem Jahr Gefängnis mit Bewährung verurteilt.
Sowohl durch die Kaderabteilung des Instituts für Armaturen und Hydraulik als auch durch die des VEB Magdeburger Armaturenwerke wurde geduldet, dass [Name 1] bei der Auswahl neuer Mitarbeiter völlige Handlungsfreiheit hatte und die jeweiligen Kaderunterlagen der Kaderabteilung erst nach vorgenommener Einstellung übergab.
Dadurch war es [Name 1] möglich, prinzipiell nur solche Personen auszuwählen, deren Vergangenheit, politische Haltung usw. die Gewähr dafür boten, dass die in der Außenstelle geübten Praktiken weiter aufrechterhalten werden konnten. Während auf diese Weise Mitglieder der SED und fortschrittliche Bürger abgelehnt wurden, konzentrierten sich in dieser Einrichtung Vorbestrafte, Erstzuziehende,1 ehemalige Grenzgänger2 u. Ä. mit weitverzweigten, unkontrollierbaren Westverbindungen.
Auf diese Weise war es der Gruppe um [Name 1] möglich, die Außenstelle mit administrativen Mitteln zu leiten, die allen Prinzipien sozialistischer Wirtschaftsführung widersprechen. Besonders typisch dafür war die Gestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen der Außenstelle und anderen Teilen des Stammbetriebes, die teilweise nach den Grundsätzen für Verträge mit Fremdbetrieben praktiziert wurden.
Die von der Außenstelle jeweils eingesetzten Nachauftragnehmer wurden durch den Stammbetrieb anerkannt und ohne jegliche Kontrolle bezahlt.
Zur Tarnung der in der Außenstelle herrschenden Zustände wurden fachliche Mängel, die einzelnen Mitarbeitern unterliefen, ohne Auseinandersetzungen bereinigt und die Leitung des jeweiligen Stammbetriebes nicht verständigt.
Mithilfe vorgetäuschter gesellschaftlicher Aktivitäten und vielfältiger Wettbewerbsprogramme gelang es [Name 1], der Außenstelle in den Jahren 1968 und 1969 den Titel »Kollektiv der sozialistischen Arbeit«3 zu verschaffen.
Darüber hinaus erhielt sie 1969 bzw.1970 den Titel »Kollektiv der DSF« und die Ehrennadel der DSF in Gold und Silber, obwohl für diese Auszeichnungen keine realen Grundlagen vorhanden waren.
Die vorgetäuschten gesellschaftlichen Aktivitäten wurden auch zum Erreichen persönlicher Vorteile genutzt.
So gelang es z. B. dem [Name 2], mithilfe eines Befürwortungsschreibens des Kreisvorstandes der DSF eine Senkung seiner Steuerschulden um 100 TM zu erreichen.
Unter dem Deckmantel einer regen fachlichen und gesellschaftlichen Betriebsamkeit begingen [Name 1] und [Name 2] umfangreiche kriminelle Handlungen, durch die sie den von ihnen betriebenen hohen Lebensaufwand und gleichzeitig die Korrumpierung anderer Personen finanzierten.
Zum Beispiel verschaffte [Name 1] sich und anderen Mitarbeitern der Außenstelle ungerechtfertigte Einnahmen durch Doppelberechnung von Projektierungskosten.
Er betrieb weiter in umfangreichem Maße illegale Devisengeschäfte mit Westerzeugnissen (z. B. Kofferradios, Fernsehgeräte). Teilweise war [Name 1] in diese Manipulationen einbezogen.
Diese kriminellen Handlungen, die durch mangelhafte Kontrolle seitens des Stammbetriebes begünstigt wurden, führten letztendlich zur Verurteilung von [Name 1] und [Name 2] zu Freiheitsstrafen.
Den eingangs bereits genannten [Name 3], [Name 4] und [Name 5] wurde durch Gerichtsbeschluss die Rückzahlung ihrer Steuerschulden auferlegt. Bei Beibehaltung der dazu festgesetzten Raten wären dazu jedoch 21 bis 107 Jahre erforderlich. Drastische Maßnahmen, wie z. B. Pfändung der vorhandenen Pkw, wurden nicht eingeleitet.
Zusammenfassend ist einzuschätzen, dass die Außenstelle Berlin des VEB Armaturenwerke Magdeburg durch das gesamte Verhalten der ehemaligen leitenden Mitarbeiter und den vorhandenen negativen Personenkreis einen günstigen Nährboden für Handlungen und Anschauungen bildete, die den Gesetzen der DDR sowie den politisch-moralischen Auffassungen unserer sozialistischen Gesellschaft zuwiderlaufen.
In Anbetracht der geschilderten Situation wurde zwar inzwischen die Auflösung dieser Außenstelle veranlasst, es ist jedoch einzuschätzen, dass dieses Beispiel beweist, dass die bisher von staatlichen Organen eingeleiteten Maßnahmen gegen freischaffende Ingenieure, denen wegen Steuerhinterziehung die Gewerbeerlaubnis entzogen wurde, offensichtlich allein nicht ausreichen.
Es wäre vielmehr erforderlich, durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass diesen Personen jede Möglichkeit entzogen wird, unter dem Deckmantel eines volkseigenen Betriebes faktisch ihre alten Praktiken fortzusetzen.
In Anbetracht der Tatsache, dass es in der Volkswirtschaft der DDR eine ganze Reihe ähnlich unterstellter Büros gibt, erscheint es notwendig, eine prinzipielle Überprüfung deren Status, Arbeitsweise, Zusammensetzung usw. zu erwägen.