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Probleme bei Investition »Magnetbandfabrik Dessau/Halle«

26. September 1972
Information Nr. 885/72 über einige Probleme der Fertigstellung des Investitionsvorhabens »Magnetbandfabrik Dessau, [Bezirk] Halle«

Dem MfS liegen im Zusammenhang mit dem Investitionsvorhaben »Magnetbandfabrik1 Dessau« interne Hinweise vor, aus denen ersichtlich ist, dass unter leitenden Mitarbeitern und anderen Werktätigen des Investvorhabens Zweifel verbreitet sind, ob sich im komplexen Probebetrieb bzw. im Dauerbetrieb das zur Anwendung kommende Verfahren der Herstellung eines Eisenoxidbandes bewähren wird und eine Produktion technischer Magnetbänder entsprechend den vorgesehenen qualitativen und quantitativen Kennziffern gewährleistet werden kann.

Im Einzelnen wurde dazu Folgendes bekannt:

Bei der bevorstehenden Aufnahme des komplexen Probebetriebes würden Unsicherheiten beim Zusammenwirken der Teilaggregate bestehen; insbesondere bei solchen Teilausrüstungen, die aus dem NSW bzw. der BRD importiert wurden.

Eine Reihe von Fachexperten des Fotochemischen Kombinats Wolfen (FCK) schätzt ein, dass die Unsicherheiten sich vor allem beziehen auf

  • wesentliche Verzögerungen der Aufnahme des Dauerbetriebes,

  • Erhöhung der Kosten für die Inbetriebnahme,

  • nicht den staatlichen Auflagen entsprechende Quantität und Qualität der Produktion von technischen Magnetbändern,

  • erhebliche Minderung der finanziellen Ergebnisse der Produktion, insbesondere des Exporterlöses.

Bisher sind entsprechend der ursprünglichen Planung der Aufnahme des Dauerbetriebes bereits die Hauptfristen der Inbetriebnahme um etwa 18 Monate überschritten worden.

Nach letzten Festlegungen soll der komplexe Probebetrieb ab 30.9.1972 und der Dauerbetrieb ab 31.1.1973 beginnen.

Die seit etwa April 1972 stattfindenden Erprobungen von Einzelaggregaten und Teilanlagen, so u. a.

  • technische Anlage zur Aufbereitung des Beschichtungsmaterials (Dispergierung),

  • Luft- und Klimatechnik,

  • Kälteanlage usw.,

ergaben im Wesentlichen keine größeren Beanstandungen. Dennoch bestehen bei der vollen funktionsfähigen Gestaltung der Teilanlage und des gesamten Verfahrens Unsicherheiten. Diese sollen sich insbesondere auf das im Betrieb einzusetzende System von Prozessrechnern, auf die Erprobung der Anlage für die Herstellung der Polyesterfolie und der Luft- und Klimaanlage beziehen.

So wird der Produktionsprozess in der Magnetbandfabrik mittels eines Leitrechners (IBM) und drei Prozessrechnern (Fa. Honeywell)2 gesteuert. Für die Kopplung der Rechner werden sechs Kopplungselemente (MODEMS) benötigt, von denen jedoch bisher nur zwei MODEMS (IBM) geliefert wurden. Das Fehlen der noch benötigten vier MODEMS hat zur Folge, dass bisher keine Erprobung des Zusammenwirkens aller vier Rechner möglich war. Die Lieferung steht seit Anfang 1972 aus.

Durch das EDV-Kollektiv in der Magnetbandfabrik Dessau wurde deshalb ein gesondertes Arbeits- und Steuerprogramm für den technologischen Prozess ausgearbeitet, sodass die Anlage auch angefahren werden kann, wenn die MODEMS nicht zur Verfügung stehen. Das hat jedoch einen höheren Arbeitskräfteeinsatz bei gleichzeitig verminderter Zuverlässigkeit der Steuerung und Regelung des Produktionsprozesses zur Folge. Es wird deshalb damit gerechnet, dass eine spätere Zuschaltung des Leitrechners zum komplexen Probebetrieb bzw. zum Dauerbetrieb neue Erprobungsarbeiten erforderlich machen wird.

Bei der Erprobung der Anlage für die Herstellung der Polyesterfolie (Unterlage für die magnetisch leitende Schicht) – eine Anlage der westdeutschen Firma Barmag AG3 – wurden Schäden festgestellt. Nach Klärung dieser Schäden, deren Ursache Qualitätsmängel bei der Innenverchromung der gelieferten Anlage sind, erklärte sich die westdeutsche Firma bereit, termingerecht die nicht den Anforderungen entsprechenden Teile der Anlage auszutauschen. Bisher erfolgte der Austausch der qualitätsgeminderten Teile noch nicht.

Verzögerungen wurden durch die Firma Airconex,4 Frankreich /BRD bei der Fertigstellung der von ihr gelieferten Luft- und Klimaanlagen verursacht. Beim Probebetrieb wurden Mängel an den Anlagen sichtbar, die auf Fehlern in der Projektierung beruhen.

Einige Anlaufschwierigkeiten bei Importanlagen aus dem NSW, so u. a.

  • Beschichtungsanlage für Magnetbänder der Fa. Polytype5/Schweiz,

  • Luft- und Staubanlage der Fa. Airconex, Frankreich

  • Extruder-Kaskade der Fa. Barmag /BRD

werden auch damit in Zusammenhang gebracht, dass es sich um Erstausführungen handelt.

In diesem Zusammenhang wird von Fachleuten des FCK Wolfen auf folgende Probleme besonders hingewiesen:

  • 1.

    Die Garantieverpflichtungen der Lieferfirmen des NSW für Anlagen der Magnetbandfabrik Dessau laufen am 1.1.1973 ab, unabhängig von der Aufnahme des Probe- bzw. Dauerbetriebes. Entsprechend der ursprünglichen Terminplanung für dieses Investitionsvorhaben hätte mit diesen Garantieverpflichtungen ein 18-monatiger Dauerbetrieb stattfinden können.

  • 2.

    Die Lieferfirmen haben für die von ihnen gelieferten Anlagen Funktionsgarantien übernommen, nicht aber Garantien für den Dauerbetrieb. Damit trägt das FCK allein die Verantwortung für Qualität und Quantität der technischen Magnetbänder.

Ein weiteres Problem betrifft das Beherrschen des Verfahrens zur Produktion von Eisenoxydband in der Magnetbandfabrik Dessau.

Zur Ergänzung und Überprüfung der Forschungsergebnisse des FCK Wolfen wurde von der USA-Firma Olschewski6 das know-how käuflich erworben.

Bei den seit 1971 erfolgenden Versuchen auf der Grundlage der genannten Verfahren im Magnetbandtechnikum (Pilotanlage) des FCK Wolfen ist es bisher nicht gelungen, kontinuierlich den Qualitätsanforderungen entsprechende technische Magnetbänder herzustellen.

Die Ergebnisse der Prüfung der im Technikum erzeugten Bänder weisen nur eine Speicherdichte zwischen 600 und 700 Bit/mm aus. Die verantwortlichen Leiter im FCK Wolfen hoffen, dass die durch Luft- und Klimaanlagen in der Magnetbandfabrik Dessau gesicherte Staubfreiheit, die im Technikum nicht gegeben ist, dazu führen wird, dass die erforderliche Speicherdichte von 800 Bit /mm bei der Großproduktion erreicht wird.

(Entsprechend der Einlaufkurve für die Produktion ist in der Magnetbandfabrik vorgesehen, die Speicherdichte von 800 Bit /mm bis 15.5.1973 zu erreichen.)

Im Januar 1972 wurde gleichfalls festgestellt, dass der Abrieb von den im Technikum hergestellten Bändern erheblich über dem zulässigen Wert liegt. Gleichzeitig tritt bei den Bändern ein Abblättern der Magnetschicht auf. Infolge dieser Qualitätsmängel wird im FCK Wolfen damit gerechnet, dass bei Auftreten der gleichen Erscheinungen in der Serienproduktion der Magnetbandfabrik Dessau für 20 % der ausgelieferten Datenbänder Ersatzleistungen erbracht werden müssen.

Bei Untersuchungen im Technikum des FCK Wolfen wurde als Ursache festgestellt, dass das verwendete »Haftmittel PC«7 auf die Polyesterunterlage der Bänder nicht den Anforderungen genügt und damit für die Anwendung bei der künftigen Produktion in der Magnetbandfabrik Dessau nicht geeignet ist.

Im März 1972 wurde im Auftrage des Generaldirektors des FCK Wolfen, Dr. Keil,8 in der BRD geprüft, wie weit dort ein geeignetes Haftmittel vorhanden und lieferbar ist. Versuche mit einer beschafften Probe des Haftmittels »Dynapol« der Fa. Dynamit Nobel AG,9 Troisdorf, ergaben, dass dieses den Anforderungen entspricht. Tests von Bändern, die mit diesem Haftmittel im Technikum FCK Wolfen hergestellt wurden, ergaben, dass diese Bänder fehlerfrei arbeiteten und gute Betriebseigenschaften zeigten.

Durch den Generaldirektor des FCK Wolfen wurde der Auftrag erteilt, Verhandlungen mit der Fa. Dynamit Nobel, Troisdorf, über den ständigen Import von »Dynapol« für die Produktion in der Magnetbandfabrik Dessau zu führen. Ein Liefervertrag ist bisher nicht abgeschlossen. Die Rezeptur für die Großproduktion wurde bereits auf das westdeutsche Haftmittel umgestellt. Nach gegenwärtigen Einschätzungen wird die Magnetbandfabrik Dessau jährlich 30 Tonnen Haftmittel benötigen.

Es wurde festgestellt, dass im Magnetbandtechnikum des FCK Wolfen bereits seit 1971 das Problem des Haftmittels für die Magnetbandherstellung zu Diskussionen führte. Dieser Frage wurde durch die verantwortlichen Leiter jedoch wenig Bedeutung beigemessen. Angeblich mit dem Ziel, die Unabhängigkeit der Produktion in der Magnetbandfabrik Dessau von Westdeutschland zu sichern, wurden die Versuche mit dem nicht geeigneten Haftmittel PC; aus der DDR-Produktion bis 1972 weitergeführt. Erst im Juli 1972, sechs Monate nach der nicht mehr zu umgehenden Feststellung, dass PC für die Magnetbandherstellung nicht verwendbar ist, wurden seitens des FCK Wolfen Verhandlungen mit verschiedenen Betrieben in der DDR eingeleitet, um ein geeignetes Haftmittel aus der DDR-Produktion zu finden.

Sie ergaben, dass die für eine Magnetbandproduktion erforderlichen Parameter des Haftmittels längerfristige Forschungsarbeiten notwendig machen. Entsprechend zentralen Festlegungen werden die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Synthesewerk Schwarzheide eingeleitet. Mit einem möglichen Einsatz des dort zu entwickelnden Haftmittels wird erst im Jahre 1974 gerechnet.

Im Juli 1972 wurde bereits die Versuchsproduktion von technischen Magnetbändern im Technikum Wolfen eingestellt. In den bereits fertiggestellten Teilanlagen der Magnetbandfabrik Dessau wurde seit diesem Zeitpunkt noch keine Versuchsproduktion, z. B. für die Herstellung von Folie, Suspension, Bindemittel und S-Magnetit, also für die einzelnen Teilprozesse, aufgenommen.

Fachleute meinen, es würden dann Möglichkeiten auszuschöpfen sein, die Einzelanlagen auf ihre Funktionstüchtigkeit unter Bedingungen des Dauerbetriebes und den qualitativen Ergebnissen zu testen. Ferner wären dann auch die Möglichkeiten gegeben gewesen, mit den Zwischenprodukten wie

  • der Folie,

  • der Suspension,

  • des Bindemittels und

  • des S-Magnetits

eine Versuchsproduktion im Technikum in Wolfen zu fahren, mit dem Ziel, zu überprüfen, welche technischen Magnetbandqualitäten unter den Bedingungen des Dauerbetriebes zu erwarten sind.

Zum vorgesehenen Termin der Aufnahme des »komplexen Probebetriebes« und des Dauerbetriebes werden auch Zweifel an der Realität dahingehend geäußert, nur mithilfe von administrativen Festlegungen der staatlichen Auflage Genüge zu tun. Beispielsweise wurde der Begriff »komplexer Probebetrieb« neu definiert, nur in der Absicht, unbedingt den Staatsplantermin halten zu können.

Ursprünglich wurde darunter verstanden, das Zusammenwirken der gesamten Produktionslinie einschließlich des EDV-Einsatzes zu erproben und mit einem Leistungstest abzuschließen.

Jetzt wird dieser Begriff so gefasst, dass in der gesamten Produktionsanlage der Probebetrieb aufgenommen wird. Nach dem Beginn werden dann stufenweise

  • der EDV-Einsatz vorgenommen,

  • das Qualitätssicherungssystem durchgesetzt,

  • die restlichen Produktionsstufen (Sortierung und Fertigwarenlager) mit in Betrieb genommen.

Der Leistungstest bildet nicht mehr den Abschluss des »komplexen Probebetriebes«, sondern ist drei Monate nach Aufnahme des Dauerbetriebes vorgesehen.

Damit werden Elemente der Erprobung der Teilanlagen in den Zeitraum des komplexen Probebetriebes vorschoben. Die eigentlichen Aufgaben des komplexen Probebetriebes werden teilweise in die Zeit des Dauerbetriebes verlagert.

Aus den zeitlichen Verschiebungen von Erprobung der Einzelanlagen, komplexem Probebetrieb und Datierbetrieb werden Auswirkungen auf das 1973 erreichbare Betriebsergebnis der Magnetbandfabrik Dessau erwartet.

Der Planentwurf der Leitung der Magnetbandfabrik für 1973 sieht die Produktion von 246 Mio. Meter (Mm) gegenüber 670 Mm Datenband laut staatlicher Auflage vor.

Die Betriebsleitung der Magnetbandfabrik und die Kombinatsleitung des FCK Wolfen vertreten zum Plan 1973 die Auffassung, dass – ausgehend vom derzeitigen Stand der Vorbereitung der Inbetriebnahme – für die Magnetbandfabrik zum jetzigen Zeitpunkt kein Betriebsplan aufgestellt werden kann, der verbindlich in den Volkswirtschaftsplan 1973 aufgenommen wird. Erst nach Vorliegen der Ergebnisse aus dem Probebetrieb könnten verbindliche Quartalspläne erarbeitet werden.

Für das Jahr 1973 strebt die Leitung des FCK Wolfen eine Sonderregelung für die Magnetbandfabrik in der Form an, dass keine staatliche Auflage für die Höhe der Warenproduktion erteilt wird, und die Produktion als »nicht geplante Versuchsproduktion« deklariert wird.

Auch hinsichtlich der Absatzsituation, insbesondere für den Export, zeichnen sich bereits einige Probleme ab.

Die erste Ausbaustufe der Magnetbandfabrik ist für eine Produktion von jährlich 800 Mm Datenband ausgelegt. Berechnungen im FCK Wolfen sehen gegenwärtig für 1974 einen Absatz von 443 Mm und 1975 von 500 Mm Datenband vor.

Eine der Ursachen dieser Differenz zwischen Produktionskapazität und Absatzplanung liegt darin, dass von einem angenommenen Bedarf der UdSSR in Höhe von jährlich 400 Mm Datenband ausgegangen wurde. Besprechungen des Direktors für Beschaffung und Absatz des VEB Filmfabrik Wolfen im Jahre 1972 in der UdSSR führten zu der Klarstellung, dass bei vorhergehenden Verhandlungen die Partner unterschiedliche Bandbreiten zugrunde gelegt hatten (das FCK Wolfen rechnete mit Band von ½ Zoll Breite, die sowjetische Seite mit 1/4 Zoll), sodass gegenüber den bisherigen Annahmen des FCK Wolfen der Bedarf der UdSSR tatsächlich nur 200 Mm jährlich beträgt.

Es kommt hinzu, dass die UdSSR und die anderen sozialistischen Länder, in die der Export geplant ist, Datenbänder mit einer garantierten Speicherdichte von 800 Bit /mm verlangen.

Vertreter des sowjetischen Außenhandelsunternehmens Sojuschimexport erklärten eindeutig, dass sie zum Abschluss konkreter Lieferverträge erst bereit sind, wenn ihnen aus der Serienproduktion der Magnetbandfabrik Dessau Muster zur Verfügung stehen, deren Prüfung in der Sowjetunion eine Speicherdichte von 800 Bit / mm nachweist.

Als Exporterlös wird im Planvorschlag für 1973 des FCK Wolfen mit 51,24 M/Spule Datenband gerechnet. Dem liegen Äußerungen der Vertreter von Sojuschimexport bei Verhandlungen im Juli 1972 zugrunde.

In den getroffenen Grundsatzentscheidungen zum Investvorhaben wurde ein zu erzielender Exporterlös von 135,40 M/Spule Datenband festgelegt. Der staatlichen Auflage, eine Exportrentabilität von 0,684 zu erreichen, steht damit eine zu erwartende Exportrentabilität von nur 0,261 gegenüber, bei gleichzeitiger erheblicher Reduzierung des Exportumfanges.

  1. Zum nächsten Dokument Zurückweisung arabischer Bürger durch westliche Behörden (2)

    29. September 1972
    Information Nr. 892/72 über Zurückweisungen arabischer Bürger durch Behörden der BRD bzw. Westberlins (Ergänzung zur Information 876/72)

  2. Zum vorherigen Dokument Zurückweisung arabischer Bürger durch westliche Behörden (1)

    21. September 1972
    Information Nr. 876/72 über Zurückweisungen arabischer Bürger durch Westberliner Behörden