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Probleme bei Komplementären bei Beschlüssen der 4. ZK-Tagung

24. März 1972
Information Nr. 286/72 über bisher aufgetretene Probleme und Reaktionen unter den Komplementären, Besitzern von Privatbetrieben und Funktionären der befreundeten Parteien in Durchführung der Beschlüsse der 4. Tagung des ZK der SED

[Faksimile von Blatt 14]

Nachdem die vorbereitenden Aussprachen mit den Komplementären der für den Aufkauf vorgesehenen Betriebe mit staatlicher Beteiligung sowohl auf den Ebenen der Parteien und auch auf staatlicher Ebene begonnen hatten, war eine zunehmende Anzahl von Bereitschaftserklärungen durch die Komplementäre abgegeben worden.1 Als relativ groß muss auch jener Teil von Komplementären bezeichnet werden, der prinzipiell nicht ablehnend den vorgesehenen Maßnahmen gegenübersteht, jedoch eine abwartende Stellung bezieht.

Darüber hinaus gibt es bereits eine umfangreiche Bewegung zum Verkauf der Anteile an den Staat unter solchen Komplementären, die in der gegenwärtigen Etappe noch nicht unmittelbar in den Umwandlungsprozess einbezogen werden sollen.

Die Zustimmungserklärungen werden allgemein von jenen Komplementären und PGH-Vorsitzenden abgegeben, die

  • in der Vergangenheit im gesellschaftlichen Leben positiv in Erscheinung getreten sind;

  • in Betrieben mit hohen staatlichen Einlagen tätig sind bzw. die bereits als Verwalter staatlichen Eigentums wirken;

  • mit ihren Betrieben als Zulieferer der volkseigenen Industrie bereits in den Plan einbezogen und durch umfangreiche Kooperationsbeziehungen mit der volkseigenen Industrie verflochten sind;

  • mit Wahrscheinlichkeit ihre Berufung als Leiter der VEB erwarten;

  • aus Altersgründen ihre Betriebe abgeben möchten.

In größerem Umfang wurden in der letzten Zeit von Komplementären und vielen Betriebsangehörigen Meinungen und zum Teil auch Spekulationen bekannt, nach denen bestimmte Erwartungen an den Verkauf der privaten Anteile bzw. an die Umwandlung in Volkseigentum geknüpft werden. Diese beziehen sich

  • auf die Höhe der verfügbaren Geldmittel, die aus dem Verkauf der privaten Anteile resultieren,

  • auf die Vergabe der leitenden Positionen in den zukünftigen VEB,

  • auf die zukünftige Gestaltung der Lohn-, Gehalts- und Prämienordnung, d. h. ob bei eventueller Angliederung an das Niveau der volkseigenen Industrie eine Senkung des Lohnniveaus zu erwarten sei,

  • auf qualitative Verbesserung der Leitungstätigkeit, insbesondere zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen (Verbesserung des Produktionsrhythmus, der Materialversorgung, der Lösung sozialer Probleme).

Die Einstellung zu den vorgesehenen Maßnahmen wird sehr oft von dem bereits erreichten Grad des staatlichen Anteils an den Betrieben mit staatlicher Beteiligung, aber auch von dem allgemein erreichten Niveau der politisch-ideologischen Arbeit innerhalb der befreundeten Parteien, der Nationalen Front2 usw. bestimmt.

Typisch für die Einstellung des progressiven Teils dieser Personenkreise, der in den meisten Fällen im Rahmen der befreundeten Blockparteien bzw. in bedeutenden ehrenamtlichen Funktionen der Nationalen Front aktiv mitwirkt, sind solche Auffassungen:

  • Es wäre allgemein klar gewesen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt die Umwandlung des privaten Anteils in Volkseigentum vorgesehen sei und dieser Prozess wäre in keiner Weise überraschend eingeleitet worden.

  • Durch den Verkauf des privaten Anteils werde man viele Sorgen los und lebe wesentlich ruhiger.

Andererseits werden die bisher erreichten guten ökonomischen Ergebnisse, die Erfüllung und Übererfüllung der Pläne von den Komplementären der Betriebe mit staatlicher Beteiligung und Vorsitzenden der PGH vor allem als Ergebnis der eigenen Tüchtigkeit gewertet, ohne dabei zu berücksichtigen, dass der Staat günstige Bedingungen für die Entwicklung dieser Eigentumsform und Betriebe geschaffen hat.

Die Leistungen und die Leistungsfähigkeit der Arbeiter und Angestellten werden dabei häufig herabgemindert und angezweifelt.

Diesen den realen Tatsachen widersprechenden Standpunkt vertreten einzelne Komplementäre und PGH-Vorsitzende, indem sie betonen, dass nur Komplementäre schlecht arbeitender Betriebe und »gestrauchelte Existenzen« ihre Anteile zum Verkauf anbieten würden.

Vereinzelt weisen Komplementäre auch darauf hin, dass es bei der Umwandlung sicher eine Reihe von Schwierigkeiten geben wird, aber man eben Beispiele schaffen müsse. Diese Beispiele wären umso notwendiger, um eine Reihe von Inhabern von Betrieben mit staatlicher Beteiligung aus ihrer Zurückhaltung und ihrem Zögern herauszulösen. (Kuhnat,3 1. Deutsche Sackfabrik Dresden.)4

Nur in wenigen bisher bekannt gewordenen Fällen wird gegenwärtig offen gegen die beabsichtigten Maßnahmen zur Veränderung der Eigentumsverhältnisse Stellung genommen. Diese Ablehnungen sind mit den verschiedensten Drohungen verknüpft, so u. a. aus den Blockparteien auszutreten, die Parteizeitungen abzubestellen usw.

In Einzelfällen reagiert der betroffene Personenkreis in internen Gesprächen auch dahingehend, dass

  • die auf dem 11. LDPD-Parteitag5 abgegebenen Erklärungen nicht aus dieser Partei heraus entstanden seien, sondern von der SED manipuliert worden wären;

  • man von der NDPD noch radikalere Schritte erwarte und der Annahme sei, dass auf ihrem Parteitag im April6 Ähnliches für PGH in Angriff genommen werde;

  • der Staat seinen Anteil zurückziehe, falls der Privatanteil an Betrieben mit staatlicher Beteiligung nicht freiwillig verkauft würde;

  • eine weitere Verschlechterung der Versorgungslage eintreten würde.

Von Mitgliedern der befreundeten Parteien wird auf einige Probleme hingewiesen, mit denen sie nach Bekanntwerden der vorgesehenen Maßnahmen zur Umwandlung konfrontiert worden sind.

So gebe es angeblich zunehmende Kontaktschwierigkeiten mit den »Freunden der SED«, mit denen in der Vergangenheit eine gute Zusammenarbeit möglich war. Aus der Sicht von Komplementären wird auch auf eine für ihre Begriffe zu erkennende »Isolierung« hingewiesen (Komplementäre Ladwig,7 Eisenbau-KG Dresden;8 Fürste KG Apolda;9 Dr. Lampe,10 Brauerei Colditz,11 [Bezirk] Leipzig). Dabei beruft man sich u. a. auch auf die in der Vergangenheit geleistete aktive Mitarbeit in den verschiedenen Gremien der Nationalen Front, die nunmehr in Abrede gestellt wurde oder von der sie gegenwärtig ausgeschlossen seien.

Andere Komplementäre bringen ihre »Enttäuschung« darüber zum Ausdruck, dass sie erst durch die Ausführungen12 Dr. Gerlachs13 auf dem 11. LDPD-Parteitag in Weimar über die beabsichtigten Maßnahmen zur Umwandlung Kenntnis erlangt hätten, obwohl sie gesellschaftlich aktiv wären. Von solchen Komplementären wäre eine vorzeitige vertrauensvolle Information durch die Leitungen ihrer Parteien erwartet worden.

Der Komplementär des BSB Otto Schindler,14 Markneukirchen, Mitglied der LDPD, diskutierte darüber, dass er zum Zeitpunkt der Aufnahme staatlicher Beteiligung von der LDPD über entsprechende »interne« Regelungen des Staates informiert wurde.

Die jetzige Problematik sei dagegen für die Komplementäre »völlig unklar und unbefriedigend«.

In den Kreisen der Komplementäre, die Mitglieder der LDPD sind, bestehen nach internen Hinweisen nach dem Parteitag der LDPD folgende Tendenzen und Argumente:

  • Es ist grundsätzlich die Bereitschaft vorhanden, alle Fragen sachlich zu diskutieren, aber dabei Detailfragen in den Vordergrund zu stellen, um dadurch einen Zeitgewinn zu erzielen.

  • Die LDPD-Parteiführung solle mit jedem Komplementär individuell sprechen, seine Forderungen anhören und die Rolle eines sogenannten Sachwalters für die Komplementäre einnehmen.

  • Die Parteiführung wurde kritisiert, dass sie den Verkauf persönlicher Anteile auf dem Parteitag forderte, aber vorher nicht mit den davon Betroffenen diese Probleme beraten hätte.

  • Bei einer Reihe von Vorsitzenden von PGH und Komplementären bestehe eine echte Überraschung. Von diesen Kreisen wird jetzt in stärkerem Maße über die Perspektive ihrer Betriebe, ihrer Familie und ihrer Kinder gesprochen.

  • Bei Handwerkern ist teilweise eine gewisse Angst vor einer »Enteignungswelle« zu bemerken.

In der Redaktion »Neue Zeit« (Redakteur Hertelt)15 wurde u. a. die Auffassung vertreten, die Beispielrolle der DDR gegenüber dem kapitalistischen System habe man verspielt.

Den westdeutschen Unternehmern sei immer bewiesen worden, dass die kleinen privaten Unternehmen nicht liquidiert werden, sondern deren Perspektive in den BSB bzw. PGH liegen würde.

Angehörige der LDPD und NDPD (Komplementäre und Vorstandsmitglieder von PGH) befürchten, wegen ihrer Parteizugehörigkeit keine leitenden Funktionen in den zukünftigen VEB zu bekommen. Deshalb stellen sie die Frage, ob es nicht zweckmäßiger wäre, Mitglied der SED zu werden.

Komplementäre, deren Betriebe zunächst für die Umwandlung in Volkseigentum vorgesehen sind, stellten grundsätzlich die Frage, ob ein Mitglied einer befreundeten Partei jemals Leiter eines VEB werden könne.

Darüber hinaus gibt es vereinzelt Hinweise, dass Arbeiter und auch PGH-Mitglieder beabsichtigen, nach Überführung der BSB bzw. der PGH in Volkseigentum der SED bzw. dem FDGB beizutreten und BPOs zu bilden.

Die Realisierung der Maßnahmen im Kreis Apolda, [Bezirk] Erfurt zeigte, dass bei der überwiegenden Anzahl von Komplementären und Geschäftsführern sowie bei PGH-Vorsitzenden und Vorständen die Bereitschaft zur Umgestaltung in VEB, trotz Vorhandenseins einer großen Anzahl ungeklärter Fragen, vorhanden ist.

Dies findet seinen besonderen Ausdruck darin, dass bis zum 1.3.1972 in 208 differenzierten Aussprachen bereits 40 BSB und acht PGH ihre schriftliche Bereitschaftserklärung abgaben.

Bei den Aussprachen mit Komplementären war auffällig, dass ein großer Teil hohe Gehaltsforderungen stellt, die teilweise 50 % höher liegen als ihre bisherigen Einkünfte. Begründet werden diese Forderungen damit, dass sie als Komplementäre an den Gewinnen beteiligt waren, die sie nun künftig nicht mehr haben.

Festgestellt wurde weiter, dass bei den Kreditinstituten des Kreises Apolda, insbesondere der Sparkasse Apolda, größere Kontenbewegungen durchgeführt würden. So hat der Komplementär [Name 1] von der Fa. Trutschel und Braun16 einen Scheck der IHB mit einer Gutschrift von 12 000 M auf sein Konto schreiben lassen. Der Komplementär [Name 2] vom BSB Penig17 richtete verschiedene neue Konten mit den verschiedenen Namen seiner Familienmitglieder ein und tätigte sechs Überweisungen zu je 3 000 M.

(Maßnahmen zur konkreten Einschätzung der sich entwickelnden Situation auf diesem Gebiet würden eingeleitet.)

Im Zusammenhang mit Finanzfragen ist ein Gerücht im Umlauf, wonach ab 5 000 Mark Kontostand nicht mehr verzinst werden soll und bei einem Kontostand über 30 000 Mark das Geld entwertet wird.

Die PGH Elektro Apolda ist bestrebt, in verschiedenen Reisegruppen für einen Gesamtbetrag von ca. 70 000 Mark Reisen nach Moskau zu unternehmen, offensichtlich, um ihr Geld noch unterzubringen.

Bei den Aussprachen in den BSB und PGH spielen Lohnfragen und die Angst vor Lohnminderungen eine dominierende Rolle. Das wird nach vorliegenden Einschätzungen so lange anhalten, bis konkrete Fakten über die zukünftige Entlohnung bekannt werden.

Zur Besetzung zukünftiger Leitungsfunktionen gibt es seitens der Belegschaften verschiedene Reaktionen. Bei einem Teil gibt es Zustimmung dafür, dass die bisherigen Leiter auch künftig Leiter des VEB sein sollen, so u. a. in der PGH Vorwärts Apolda.

Neben den Befürchtungen um die eigene Perspektive (Komplementäre, PGH-Vorsitzende usw.) wurden erste Anzeichen dafür bekannt, dass man sich über die Verteilung der Funktionen unter den bisher leitenden Mitarbeitern nach Umwandlung in einen VEB unterhält (PGH Modern Apolda).

Dabei werden auch bestimmte Spekulationen an die Vergabe der Leitungsfunktionen geknüpft, insbesondere, dass dafür nur Mitglieder der SED infrage kämen. Damit würde sich auch die Zugehörigkeit zu den Blockparteien erübrigen (PGH Textilmode Apolda).

Die allgemein in den letzten Wochen bekannt gewordenen Absprachen und der Informationsaustausch zwischen den Komplementären und anderen beteiligten Personenkreisen halten unvermindert an. Dabei stimmen sie offensichtlich ein einheitliches Auftreten dem Staatsapparat, gegenüber Parteifunktionären und Kommissionsmitgliedern ab.

Weiterhin zeichnet sich im Kreis Apolda, [Bezirk] Erfurt ab, dass sich der Umwandlungsprozess der PGH in Volkseigentum wesentlich komplizierter und schwieriger gestaltet, als die Überführung der BSB in Volkseigentum.18 Dies wird u. a. darauf zurückgeführt, dass

  • die Umwandlung von BSB mit Zustimmung einer oder weniger Personen erfolgen könne, während in den PGH mindestens zwei Drittel der Hauptversammlung für die Umwandlung stimmen müssten;

  • die Leitungsstruktur und das Geschäftsgebaren in den BSB in vielen Zügen denen eines VEB entsprechen würden, in den PGH dagegen eigene Leitungs- und Organisationsstrukturen vorhanden wären;

  • in den BSB die Arbeiter bereits in einer Produktionsstätte zusammengefasst sind, während in den PGH die Mitglieder oft noch in den eigenen Werkstätten, mitunter auf dem eigenen Wohngrundstück, arbeiten würden.

Intern wird zu den Maßnahmen im Kreis Apolda berichtet, dass Komplementäre, Vorsitzende und leitende Kader dieser Eigentumsformen äußern, sie hätten keine größeren Schwierigkeiten gemacht, um »ihre Stellung zu halten und einen guten Posten zu bekommen«.

Weiterhin wird auf Anzeichen nachlassenden Interesses an der Leitung dieser Betriebe seitens einiger Komplementäre und Geschäftsführer in diesem Kreis aufmerksam gemacht.

Im Verlaufe der Leipziger Frühjahrsmesse 197219 zeigte sich, dass Komplementäre von Betrieben mit staatlicher Beteiligung, Besitzer von Privatfirmen und Vorsitzende von PGH die Leipziger Messe offensichtlich nutzten, um untereinander Beratungen und Abstimmungen über ihr weiteres Verhalten zu führen.

Dabei ging es diesen Personenkreisen besonders um den Gedankenaustausch zu den territorial verschiedenen Orientierungen, die sich nach ihrer Meinung insbesondere im vorgesehenen Zeitpunkt der Verwirklichung der Beschlüsse, im Zusammenhang mit den notwendigen finanziellen Regelungen, in Auffassungen über den späteren Einsatz der Komplementäre und Privatbesitzer und Ähnlichem zeigen.

Über einzelne Maßnahmen wurde vom betroffenen Personenkreis Unzufriedenheit geäußert, teilweise wurde eine ablehnende Haltung eingenommen, die insbesondere auch in politisch negativen Diskussionen zum Ausdruck kam.

Besonders negativ traten in Erscheinung Dorst, Fritz,20 Komplementär der Fa. Spiel-Dorst,21 Sonneberg und Luthardt,22 Vorsitzender der PGH Holzgenossenschaft Steinbach, die als Initiatoren der insbesondere aus dem Messehaus »Petershof« bekannt gewordenen Diskussionen gelten.

(Dorst war vom Bezirkswirtschaftsrat Suhl nicht für das Messepersonal bestätigt worden, sondern hielt sich privat bis Messeende in Leipzig auf.)

Es wird eingeschätzt, dass Dorst durch gezielte negative Äußerungen versuchte, Zweifel an der Richtigkeit der Politik von Partei und Regierung bei Personen aus Privatbetrieben, Betrieben mit staatlicher Beteiligung und PGH hervorzurufen.

Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1972 zeigte sich weiterhin, dass verschiedene profilierte Personen aus dem Kreis der Komplementäre von diesem Personenkreis offensichtlich als »Konsultationspunkt« in Anspruch genommen wurden.

So haben Komplementäre und Vorsitzende von PGH, die von der VVB Haushalts- und Verpackungsglas betreut wurden, Aussprachen mit dem Inhaber der Fa. Pech und Kunte23/Olbernhau24 geführt.

(Pech25 war bis zum 11. Parteitag der LDPD Mitglied des politischen Ausschusses der LDPD. Er übt nach vorliegenden Hinweisen Zurückhaltung beim Verkauf seines privaten Anteils an den Staat.)

Als ein weiterer Konsultationspartner spielte der Komplementär Zeuke26 eine Rolle, der eine durchaus positive Haltung zum Beschluss der 4. ZK-Tagung einnimmt, und der nach Bekanntgabe seines Entschlusses, seinen privaten Anteil an den Staat zu verkaufen, von vielen Komplementären aus der DDR um eine Aussprache gebeten worden sei.

Zeuke z. B. hatte deshalb veranlasst, dass alle Kommanditisten von Betrieben, die ihn während der Leipziger Frühjahrsmesse 1972 zu Fragen der Abwicklung des Verkaufes ihres privaten Anteils und anderem sprechen möchten, unbedingt zu ihm vorzulassen seien.

Wie bekannt wurde, äußerte sich Zeuke in letzter Zeit, dass er sich nicht mehr »wohl fühle«. Für seine Begriffe gehe alles viel zu schnell. Nach seinen Vorstellungen sollte die Umgestaltung seines Betriebes im Laufe des Jahres 1972 erfolgen und am 1.1.1973 abgeschlossen sein. Jetzt sei ihm von der Kreisleitung der SED eröffnet worden, dass dieser Umgestaltungsvorgang bereits am 1.4.1972 abgeschlossen sein müsse.

Zeuke empört sich außerdem darüber, dass in den letzten Tagen vor der Messe ohne sein Wissen und das Wissen des Generaldirektors der VVB Spielwaren von Genossen der zuständigen Kreisleitung der SED Versammlungen und Diskussionen innerhalb der Belegschaft organisiert worden seien. Er fühle sich nicht mehr als Betriebsleiter, wenn er laufend übergangen werde und gerate in einen inneren Widerspruch.

Auch der Komplementär Werner27 vom BSB Bürckner/Elsterwerda28 (Puppenhersteller) bringt sein Unverständnis zum Ausdruck, dass die gesellschaftlichen Organisationen unter Umgehung seiner Person mit der Belegschaft gesprochen hätten.

Insbesondere unter Komplementären des Bezirkes Karl-Marx-Stadt29 wird die Meinung vertreten, dass die Handlungsweise des Vorsitzenden des Bezirkswirtschaftsrates Karl-Marx-Stadt, wonach von diesem angewiesen wurde, mit allen Leitern von Messeausstellungsbetrieben der infrage kommenden Eigentumsformen Aussprachen zu führen und ihnen noch vor der Leipziger Frühjahrsmesse 1972 schriftliche Bereitschaftserklärungen über den Verkauf ihrer privaten Anteile abzuverlangen, zum Entstehen einer gewissen Unruhe beigetragen hat. (Die überwiegende Mehrheit des angesprochenen Personenkreises lehnte diese Forderung ab.)

Die Maßnahme des Vorsitzenden des Wirtschaftsrates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt führte zu Beschwerden bei den Vorsitzenden der Räte der Kreise und den Parteivorsitzenden der Blockparteien.

Einige Fragen, die die Komplementäre gegenwärtig bewegen bzw. die Probleme aufwerfen, bestehen darin, dass

  • die Aufrechterhaltung der Firmennamen und die Beibehaltung der bisher gewährten Einkommen in den Vordergrund der Überlegungen gestellt werden;

  • das Vorhandensein größerer Erbschaftsprobleme und zu erwartende familiäre Schwierigkeiten besonders hervorgehoben werden;

  • die Betriebe und Komplementäre gewisse Monopolstellungen in der Produktion (Alleinhersteller) bzw. in der Forschung und Entwicklung (Anwendungsforschung) von speziellen Erzeugnissen im Rahmen der Volkswirtschaft der DDR erreicht haben.

Die Eltz KG Berlin30 z. B. ist Alleinhersteller von Schiffsfenstern in der DDR. Die Ablösung der Anteile von vier Komplementären (Vater und drei Söhne) wird trotz ihrer positiven Einstellung zur DDR als schwierig betrachtet. Diese Lage wird mit komplizierten Erbschaftsverhältnissen und der Vermeidung unnötiger Aufregungen für den schwer erkrankten Vater begründet.

Auch der Komplementär und Volkskammerabgeordnete Thalmann/LDPD/Berlin31 erwartet aufgrund der privaten Anteile der Frau und anderen Familienangehörigen familiäre Schwierigkeiten bei der Umwandlung seines Betriebes in einen VEB trotz seines persönlichen Einsatzes.

Der BSB Paul Bruchhäuser & Sohn KG/Güstrow,32 [Bezirk] Schwerin (Jahresproduktion rund 15 Mio. Mark) – Polstermöbel – gehört zu führenden Sitzmöbelproduzenten der DDR (mit hohem Exportanteil ins NSW) unter besonderer Berücksichtigung des Polyurethan-Einsatzes.

Dieser Betrieb unterhält eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung und die Ergebnisse haben aufgrund ihres theoretischen und praktischen Vorlaufes im DDR-Maßstab große Bedeutung erlangt.

Auf dieser Grundlage entstanden zu rund 40 Betrieben Beziehungen in der Forschung und Entwicklung sowie Anwendungstechnik, u. a. zum

  • Synthesewerk Schwarzheide,

  • Stahl- und Walzwerk Brandenburg,

  • Stahlwerk Riesa,

  • Forschungszentrum VE Kombinat GISAG Leipzig,

  • Fernsehgerätewerk Staßfurt,

  • Automobilwerk Eisenach usw.

Der Sohn des Bruchhäuser33 wurde nach Abschluss des Studiums seit Eintritt in den Betrieb seines Vaters 1968 Komplementär. Seit dieser Zeit leistete er umfangreiche Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der PU-Chemie und erreichte Erfolge bei der Vorbereitung des Kaltschaumverfahrens auf der Grundlage von Polyurethan.

Obwohl Bruchhäuser sen. und jun.34 grundsätzlich ihre Bereitschaft zur Umwandlung ihres Betriebes in einen VEB erklärten und sie diesen Prozess bereits seit längerer Zeit erwartet hatten, seien nach ihrer Ansicht die vorbereitenden Gespräche durch den Leiter des Bezirkswirtschaftsrates Schwerin für sie »maßlos enttäuschend« gewesen.

Die Genannten wollten bei den Aussprachen eine Reihe von Fragen beantwortet haben, die sich auf die Produktion, ihre Exportverpflichtungen, das zukünftige Verhältnis zu den Werktätigen des Betriebes, den Verbleib im Betrieb, die Möglichkeiten zur Weiterführung ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und anderes mehr bezogen. Diese Probleme konnte offensichtlich der Leiter des Bezirkswirtschaftsrates Schwerin nicht beantworten und hätte erklärt, Bruchhäuser sen. und jun. sollten erst einmal ihre persönlichen Anteile verkaufen, alles andere würde sich dann von allein ergeben.

Der BSB Magnetfilterbau Heinrich Sommermeyer KG Gera,35 Alleinhersteller auf dem Gebiet des Magnetfilterbaus in der DDR, unterhält die einzige Forschungsstätte dieser Art (acht Mitarbeiter) in der DDR und arbeitet u. a. mit der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt auf diesem Gebiet zusammen.

Der Betriebsinhaber Sommermeyer36 besitzt eine Reihe von Lizenzen, die auch in das SW bzw. NSW vergeben wurden. Der Einsatz der Magnetfilter erfolgt u. a. in den Bereichen Werkzeugmaschinenbau, Schiffbau, Hydraulik und Papierindustrie und weitere Anwendungsbereiche werden vorbereitet.

In den im Bezirk Halle vorgesehenen Betrieben

  • Gummi-Eichler Dessau37 (Fußbodenbelag),

  • Mönter und Stieler Dessau38 (DOB),39

  • Klöden40 Bernburg (Hausschuhe),

  • Hastag KG Halle41 (Kesselanlagen- und Rohrleitungsbau),

  • Beuchelt und Co. KG Könnern42 (Brückenbau),

  • Alexander Herrmann KG Sangerhausen43 (Pianofertigung)

haben teilweise die Komplementäre seit längerer Zeit diesen Prozess erwartet und ihre Bereitschaft zum Verkauf erklärt bzw. würden unter den Belegschaftsangehörigen entsprechende Forderungen erhoben.

Die Beschäftigten des BSB Beuchelt und Co. KG Könnern, [Bezirk] Halle, Betriebsteil Frankfurt/Oder, erwarten z. B. von der Überführung in Volkseigentum eine bessere Materialversorgung, eine bessere Planerfüllung und eine höhere Jahresendprämie sowie eine qualifiziertere Leitungstätigkeit und soziale Betreuung der Belegschaftsangehörigen.

Auch der Betriebsleiter Zakel44 begrüßte die Umwandlung in Volkseigentum und erwartet insbesondere für die im Betriebsteil Frankfurt/Oder arbeitenden Werktätigen bessere Arbeits- und Lebensbedingungen.

  1. Zum nächsten Dokument Stand der Beantragung von Einreisen Westberliner Bürger (3)

    27. März 1972
    Information Nr. 289/72 über den bisherigen Stand der Beantragung und Ausgabe von Berechtigungen zur Einreise Westberliner Bürger in die DDR

  2. Zum vorherigen Dokument Erwartete Einreisen Westberliner in die DDR (29.3.–5.4.)

    24. März 1972
    Information Nr. 285/72 über die im Zusammenhang mit der Einreise Westberliner Bürger in die DDR im Zeitraum vom 29. März bis 5. April 1972 zu erwartenden Reiseströme und einige damit verbundene Probleme