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Probleme der Beziehung zwischen Rumänien und BRD sowie DDR

5. September 1972
Information Nr. 827/72 über einige Probleme der Beziehungen der Sozialistischen Republik Rumänien und der BRD sowie der SRR und der DDR

Nach dem MfS vorliegenden internen Informationen aus führenden politischen Kreisen der BRD bildet die Gestaltung, Ausweitung und Ausnutzung der Beziehungen der BRD zur Sozialistischen Republik Rumänien auf vielen Gebieten einen wesentlichen Schwerpunkt der gesamten Bonner Ostpolitik.1 Die Regierung der BRD versucht in zunehmendem Maße, besonders die vielfältigen Beziehungen und Kontakte zur SRR zu nutzen, um ihre globalen antisozialistischen Pläne und Absichten, vor allem

  • die politisch-ideologische Aufweichung und Zersetzung der europäischen sozialistischen Staaten und

  • die Spaltung der sozialistischen Staatengemeinschaft,

zu erreichen. Dabei nutzt die Regierung der BRD zielgerichtet alle sich aus der Politik der SRR ergebenden Möglichkeiten und Ansatzpunkte im Interesse ihrer gegen die sozialistischen Staaten gerichteten Ziele aus.

Besonders seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der SRR und der BRD im Jahre 19672 verstärkte die BRD ständig ihre Anstrengungen, vor allem ihre politisch-ideologische Einwirkung und Einflussnahme in der SRR zu erhöhen. Die führenden politischen Kreise der BRD messen dabei – nach uns vorliegenden internen Informationen – der Aktivierung der Beziehungen und Kontakte auf politischem, ökonomischem, wissenschaftlich-technischem und kulturellem Gebiet eine vorrangige Bedeutung bei.

Es geht der BRD hauptsächlich darum, durch vielfältige politische Maßnahmen gewisse nationalistische Aspekte der Außenpolitik der SRR zu nutzen und zu fördern, um bestimmte Möglichkeiten der Störung der Einheit und Geschlossenheit der sozialistischen Staatengemeinschaft zu erhalten, besonders in Fragen der Außenpolitik und der weiteren ökonomischen Integration und Zusammenarbeit der RGW-Staaten.

Einen wesentlichen Ansatzpunkt für die Politik der BRD gegenüber der SRR sehen diese Kreise insbesondere in den Möglichkeiten zur Erweiterung der ökonomischen Beziehungen zur SRR. Dabei werden insgesamt folgende Ziele verfolgt:

  • Störung der RGW-Beziehungen der SRR, besonders im Zusammenhang mit den Versuchen, die weitere ökonomische Zusammenarbeit und Integration der RGW-Staaten zu hemmen und zu beeinträchtigen;

  • Loslösung der SRR von den anderen Staaten des RGW, vor allem von der Sowjetunion;

  • Schaffung von Abhängigkeitsverhältnissen der SRR in wichtigen Zweigen der Volkswirtschaft;

  • Erzielung von »inneren liberalisierenden Wirkungen« durch die Propagierung und Herausstellung der »westlichen Überlegenheit« auf ökonomischem Gebiet.

Aus internen Angaben ist klar ersichtlich, dass sich die führenden politischen und wirtschaftlichen Kreise der BRD bei diesem Vorgehen gegen die SRR weitgehend auf das zunehmende Interesse der SRR stützen, die ökonomische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern, besonders den EWG-Staaten, zu erweitern. (Bekanntlich strebt die SRR eine weitere Ausdehnung ihrer ökonomischen Beziehungen und eine verstärkte Kooperation mit diesen Staaten an, u. a. mit dem Ziel, sich dadurch einseitige Vorteile gegenüber anderen sozialistischen Staaten zu verschaffen.)

Die genannten Kreise der BRD sind bei der Gestaltung ihrer ökonomischen Beziehungen zur SRR bestrebt, den Anschein einer rein ökonomischen und »ideologiefreien« Zusammenarbeit zu erwecken, um ihre wahren politischen Absichten zu verschleiern.

Bei der Verstärkung der wissenschaftlich-technischen Beziehungen zur SRR konzentriert sich die BRD besonders

  • auf vermehrte Einladungen von Wissenschaftlern, Technikern, Dozenten und Studenten zu Besuchen sowie längerfristigen Aufenthalten in der BRD,

  • auf den kostenlosen Versand von wissenschaftlich-technischen Zeitschriften, Dokumentationen, Dissertationen und Fachbüchern,

  • auf die Veröffentlichung von Artikeln führender rumänischer Wissenschaftler in westdeutschen Fachzeitschriften.

Darüber hinaus unternimmt die BRD, wie aus vorliegenden internen Angaben hervorgeht, große Anstrengungen, um die Beziehungen und Kontakte auf kulturpolitischem Gebiet zu erweitern. Dabei wird das Ziel verfolgt, stets neue Möglichkeiten für die politisch-ideologische Einwirkung in der SRR im Sinne der ideologischen Diversion zu erschließen und auszunutzen.

Diese Aktivitäten konzentrieren sich vorwiegend auf Intellektuelle, Kulturschaffende, Lehrkräfte und Studenten.

Mit vielfältigen Mitteln und Methoden wird dabei versucht, Illusionen über den Charakter und die Politik der derzeitigen Regierung der BRD und des westdeutschen Imperialismus insgesamt zu schaffen und zu verbreiten sowie mithilfe des Sozialdemokratismus und Revisionismus politisch-ideologisch zersetzend einzuwirken.

Wesentlichste Grundlage der Kontakttätigkeit auf kulturellem Gebiet zwischen der BRD und der SRR bildet ein kulturelles Austauschprogramm, das 1972 zwischen beiden Ländern abgeschlossen wurde.3

In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass in der BRD die Situation in Kreisen der Kulturschaffenden der SRR ständig analysiert wird, um immer neue Anknüpfungspunkte für das feindliche Einwirken zu finden. Es wurden z. B. umfassende Einschätzungen des im Juni 1972 durchgeführten rumänischen Schriftstellerkongresses angefertigt.4

Aus vorliegenden internen Angaben ist außerdem ersichtlich, dass die BRD bestrebt ist, die Zusammenarbeit der DDR und der SRR auf kulturpolitischem Gebiet zu stören. So gibt es zahlreiche Versuche, den Einfluss der DDR bei der Förderung und Pflege der deutschen Sprache in der SRR zurückzudrängen. Eine besonders aktive Rolle spielen dabei das westdeutsche Goethe-Institut sowie die verschiedensten »Osteuropa-Institute« westdeutscher Universitäten. Seitens der BRD orientiert man sich in diesem Zusammenhang vorwiegend auf die Germanistik- sowie Literatur-Institute an den rumänischen Universitäten und auf andere kulturelle Einrichtungen der SRR.

Die Methoden der Einflussnahme der BRD reichen vom kostenlosen Versand und Vertrieb westdeutscher Schul- und Lehrbücher bis zur Tätigkeit westdeutscher Lektoren im Rahmen des »Deutschen Akademischen Austauschdienstes«.

Generell wurden in der letzten Zeit Bestrebungen der BRD erkennbar, ihr Vorgehen noch mehr zu verschleiern, um der DDR keine »Ansatzpunkte für Gegenmaßnahmen« zu bieten.

Aus weiteren internen Angaben ist ersichtlich, dass der Sportaustausch zwischen der BRD und der SRR sowie die Kontakte zwischen Sportorganisationen und -funktionären erheblich erweitert werden sollen. (Dies ist u. a. ein Ergebnis des Rumänien-Besuches des BRD-Innenministers Genscher5 im April 1971.)6

Weiter wurde bekannt, dass die BRD vielfältige Kontakte und Verbindungen zur deutschsprachigen Bevölkerung in der SRR unterhält, um feindlich-politisch auf diese Kreise einzuwirken und sie auch zur Übersiedlung in die BRD zu bewegen. Uns liegen in diesem Zusammenhang Angaben vor, dass die BRD versucht, bestimmte Übersiedlungswünsche deutschsprachiger rumänischer Bürger als Mittel zu benutzen, um einen bestimmten politischen Druck auf die rumänische Führung auszuüben. Unter anderem forderte die BRD als eine Voraussetzung für die Erweiterung der wirtschaftlichen Beziehungen eine schnellere Bearbeitung der Übersiedlungsanträge durch die rumänischen Behörden.

Im Folgenden wird in dieser Information auf einige Probleme und Schwierigkeiten hingewiesen, die es im Zusammenwirken zwischen der SRR und der DDR auch nach dem Abschluss des Freundschaftsvertrages7 gibt und besonders im Ergebnis der Bearbeitung von in der SRR durch DDR-Bürger begangenen Straftaten entstanden sind.

Bei Festnahmen bzw. bei der Übergabe von DDR-Bürgern, die versucht haben, die DDR ungesetzlich über die Grenzen der SRR zu verlassen, erfolgt durch die rumänischen Sicherheitsorgane in der Regel keine Information über Versuche des ungesetzlichen Grenzübertritts und die Inhaftierung der betreffenden Personen.

Aussagen über die Umstände der Straftat und den Tathergang sind in diesen Informationen nicht enthalten.

Des Weiteren werden durch Übermittlungsfehler und unzureichende Angaben zur Person der Täter die Identifizierung der straffällig gewordenen DDR-Bürger teils erheblich verzögert und die Untersuchung und Aufklärung der Straftaten erschwert.

Von der Möglichkeit, in solchen Fällen einen Vertreter der Botschaft der DDR in der SRR hinzuzuziehen und dadurch zum Teil die bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden, wird von den rumänischen Sicherheitsorganen nicht Gebrauch gemacht.

Bei der Verurteilung von DDR-Bürgern durch die zuständigen Rechtspflegeorgane der SRR wegen in der SRR begangener Straftaten erfolgt ebenfalls nur in Ausnahmefällen eine Informierung der Organe der DDR. Größtenteils ist den DDR-Organen der Verbleib solcher DDR-Bürger für längere Zeit unbekannt oder unklar.

Weitere Probleme ergeben sich, wenn in der SRR inhaftierte bzw. verurteilte DDR-Bürger nach Strafverbüßung oder auf Kaution freigelassen werden. In solchen Fällen erfolgt keine Informierung der Botschaft der DDR in der SRR bzw. die Übergabe dieser DDR-Bürger. Dadurch ist den zuständigen Organen der DDR der Verbleib dieser Bürger ebenfalls oft unbekannt oder unklar bzw. werden erneute Gesetzesverletzungen unmittelbar begünstigt. (Im Gegensatz dazu erfolgt seitens der zuständigen Rechtspflegeorgane der DDR bei Anfall straffällig gewordener rumänischer Staatsbürger in der DDR unverzüglich die Informierung der Botschaft der SRR in der DDR.)

In Fällen der Freilassung auf Kaution erhalten die zuständigen Organe der DDR keine Informationen darüber, wer die Kaution in welcher Höhe stellt sowie über weitere dabei zu beachtende wichtige Einzelheiten.

Anlage zur Information Nr. 827/72

Entwicklung des Reiseverkehrs zwischen der DDR und den europäischen sozialistischen Staaten (Zeitraum 1.1.1971 bis 30.6.1972)

1. Einreisen von Bürgern sozialistischer Staaten in die DDR

[Staaten]

1. Halbjahr 1972

Jahr 1971

VR Polen

3 980 541

113 119*

ČSSR

341 844

125 926*

VR Ungarn

50 756

118 942

Sowjetunion

29 099

55 107*

VR Bulgarien

24 562

64 272

SR Rumänien

4 989

16 625

Gesamt:

4 431 791

493 991

2. Ausreisen von Bürgern der DDR in sozialistische Staaten

[Staaten]

1. Halbjahr1972

Jahr 1971

VR Polen

3 077 712

352 986

ČSSR

2 449 088

794 879

VR Ungarn

53 112

231 283

Sowjetunion

54 000

170 214

VR Bulgarien

42 304

83 312

SR Rumänien

7 495

23 309

Gesamt:

5 683 711

1 655 983

[* Fußnote im Original: »Zahlenwerte, in denen Dienstreisen und eintägige Einreisen in die DDR, für die keine polizeiliche Meldepflicht festgelegt ist, nicht enthalten sind.«]

  1. Zum nächsten Dokument Haltung der DDR-Olympiadelegation zu feindlichen Aktivitäten

    [ohne Datum]
    Information Nr. 831/72 über die Haltung der anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1972 in München weilenden DDR-Delegationen und über gegen sie gerichtete Aktivitäten

  2. Zum vorherigen Dokument Entwicklung des Reise- und Transitverkehrs (1.8.–31.8.)

    4. September 1972
    Information Nr. 820/72 über die weitere Entwicklung des Einreise- und Besucherverkehrs Westberliner Bürger in die DDR und des Transitverkehrs von zivilen Personen und Gütern zwischen der BRD und Westberlin im Zeitraum vom 1. bis 31 August 1972