Probleme im Zusammenhang mit der Leipziger Frühjahrsmesse
15. März 1972
Information Nr. 241/72 über einige im Zusammenhang mit der Leipziger Frühjahrsmesse 1972 bekannt gewordenen Probleme hinsichtlich der Beschlüsse der 4. Tagung des ZK der SED zu Betrieben mit staatlicher Beteiligung, der privaten Industrie- und Baubetriebe sowie PGH
Bereits zu Beginn der Leipziger Frühjahrsmesse 19721 zeigt sich, dass Komplementäre von Betrieben mit staatlicher Beteiligung, Besitzer von Privatfirmen und Vorsitzende von PGH die Leipziger Messe offensichtlich nutzen, um untereinander Beratungen und Abstimmungen über das gemeinsame Vorgehen zu führen.
Im Wesentlichen zeichnen sich bisher folgende Tendenzen ab:
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Über die Realisierung der Beschlüsse der 4. Tagung des ZK der SED2 gibt es territorial verschiedene Orientierungen, die im »Gedankenaustausch« zwischen den Komplementären zu erheblichen Diskussionen führen.
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Einige Komplementäre von Betrieben mit staatlicher Beteiligung (BSB) und Vertreter von PGH sind nur zur Messe erschienen, um Informationsgespräche mit anderen Vertretern von Betrieben gleicher Eigentumsformen zu führen.
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Eine Vielzahl von Diskussionen resultiert aus Unklarheiten in der Abwicklung der Übernahme der privaten Anteile durch den Staat.
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In mehreren Fällen wurden Bestrebungen von Manipulationen einzelner BSB und PGH bekannt.
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Über einzelne Maßnahmen wird vom betroffenen Personenkreis Unzufriedenheit geäußert, teilweise wird eine ablehnende Haltung eingenommen, die insbesondere auch in politisch negativen Diskussionen zum Ausdruck kommt.
Dem MfS liegen zu vorgenannten Problemen folgende beachtenswerte Hinweise vor:
Vom Vorsitzenden des Wirtschaftsrates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt3 wurde z. B. angewiesen, mit allen Leitern von Messeausstellungsbetrieben der infrage kommenden Eigentumsformen Aussprachen zu führen und ihnen noch vor der Leipziger Frühjahrsmesse 1972 schriftliche Bereitschaftserklärungen über den Verkauf ihrer privaten Anteile abzuverlangen.
Der kommissarische Geschäftsführer Mehner4 der Fa. Pilz5/Gelenau erklärte dazu, dass ein solcher Schritt nicht binnen 36 Stunden möglich sei.
Ähnliche Reaktion gab es auch bei fast allen anderen Komplementären.
(Von ca. 300 angesprochenen haben nur ca. zehn Komplementäre eine schriftliche Bereitschaftserklärung abgegeben.)
Die durch die Anweisung des Vorsitzenden des Wirtschaftsrates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt hervorgerufene Unruhe führte zu Beschwerden bei den Vorsitzenden der Räte der Kreise und den Parteivorsitzenden der Blockparteien.
In verschiedenen VVB zeichnet sich insbesondere auch unter dem Aspekt vorgenannter Fakten immer mehr die Notwendigkeit ab, folgende Fragen einer vordringlichen Klärung zuzuführen:
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die systematische, zielgerichtete politisch-ideologische Vorbereitung der verantwortlichen Genossen in VEB, für die sich im Zusammenhang mit der Überführung privater Betriebe, BSB und PGH in Volkseigentum Aufgaben ergeben;
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künftige Zuordnung der jetzigen halbstaatlichen oder privaten Betriebe zu Kombinaten, VVB oder zur bezirksgeleiteten Industrie.
Der Komplementär Zeuke6 der Fa. Zeuke & Wegwerth,7 Berlin, hat veranlasst, dass alle Kommanditisten von Betrieben, die ihn während der Leipziger Frühjahrsmesse 1972 zu Fragen der Abwicklung des Verkaufes ihres privaten Anteils und anderem sprechen möchten, unbedingt zu ihm vorzulassen sind.
(Nach der Bekanntgabe des Entschlusses des Zeuke, seinen privaten Anteil an den Staat zu verkaufen, sei er von vielen Komplementären aus der DDR um eine Aussprache gebeten worden.)8
Ähnliche Hinweise gibt es zu dem Inhaber der Fa. Mandler,9 Ilmenau – [Name] und dem Inhaber der Fa. Mucks KG,10 Petershagen, Werner Mucks.11
Leiter bzw. Vorsitzende von BSB und PGH, die von der VVB Haushalts- und Verpackungsglas betreut werden, wollen ihr Verhalten mit dem Inhaber der Fa. Pech & Kunte12/Olbernhau13 abstimmen.
(Pech14 war bis zum Parteitag der LDPD Mitglied des politischen Ausschusses der LDPD. Er übt Zurückhaltung beim Verkauf seines privaten Anteils an den Staat.)
In starkem Maße wird von Komplementären das Argument vertreten, dass Verkaufserklärungen erst nach Veröffentlichung der gesetzlichen Regelung abgegeben werden.
Zum Beispiel erklärte der Leiter des halbstaatlichen Betriebes Krautwald,15 Dresden, dass die weitere Diskussion erst »interessant« werde, wenn entsprechende Gesetze vorlägen. Mit einer gesetzlichen Basis sei aber seiner Meinung nach vorerst nicht zu rechnen.
Der Komplementär des BSB Otto Schindler,16 Markneukirchen, Mitglied der LDPD, diskutiert darüber, dass er zum Zeitpunkt der Aufnahme staatlicher Beteiligung von der LDPD über entsprechende »interne« Regelungen des Staates informiert wurde.
Die jetzige Problematik sei dagegen für die Komplementäre »völlig unklar und unbefriedigend.«
Der Komplementär Zeuke der Fa. Zeuke & Wegwerth, Berlin, der seine Bereitschaft zur Überführung des Betriebes in staatliches Eigentum gegeben hat, äußerte, dass er sich nicht mehr »wohlfühle«.
Für seine Begriffe gehe alles viel zu schnell. Nach seinen Vorstellungen sollte die Umgestaltung seines Betriebes im Laufe des Jahres 1972 erfolgen und am 1.1.1973 abgeschlossen sein.
Jetzt sei ihm von der Kreisleitung der SED eröffnet worden, dass dieser Umgestaltungsvorgang bereits am 1.4.1972 abgeschlossen sein müsse.
Zeuke empört sich außerdem darüber, dass in den letzten Tagen vor der Messe ohne sein Wissen und das Wissen des Generaldirektors der VVB Spielwaren von Genossen der zuständigen Kreisleitung der SED Versammlungen und Diskussionen innerhalb der Belegschaft organisiert worden seien.
Er fühle sich nicht mehr als Betriebsleiter, wenn er laufend übergangen werde und gerate in einen inneren Widerspruch.
Auch der Komplementär Werner17 vom BSB Bürckner18/Elsterwerda (Puppenhersteller) bringt sein Unverständnis zum Ausdruck, dass die gesellschaftlichen Organisationen unter Umgehung seiner Person mit der Belegschaft gesprochen hätten.
Der Leiter der Verkaufsgemeinschaft Frottierwaren, Werner Weichenhain19 (LDPD), der auf dem 11. Parteitag der LDPD20 positiv zum Beschluss der 4. Tagung des ZK der SED gesprochen hatte, erhielt am Abend nach seiner Rückkehr einen anonymen Anruf mit Drohungen.
Während des Aufenthaltes des W. zur Leipziger Frühjahrsmesse 1972 erschien am 10.3.1972 Herr Foldt21 von der westdeutschen Vertreterfirma Foldt & Preuß,22 Hamburg, und teilte dem W. mit, dass über ihn in der »Hamburger Welt«23 ein Kommentar negativen Inhalts erschienen sei.24
Intensive Diskussionen werden seit dem 9.3.1972 in der 1. Etage des Messeobjektes »Petershof« geführt. Besonders negativ treten in Erscheinung Dorst, Georg Friedrich,25 Komplementär der Fa. Spiel-Dorst,26 Sonneberg und Luthardt,27 Vorsitzender der PGH Holzgenossenschaft Steinach,28 die als Hauptinitiatoren der Gesprächsgruppen bekannt wurden.
Obwohl Dorst vom Bezirkswirtschaftsrat Suhl nicht für das Messepersonal bestätigt wurde, beabsichtigt er, sich bis zum Ende der Messe in Leipzig aufzuhalten.
Intensive Diskussionen führte D. z. B. mit dem Inhaber der Privatfirma Berger, Fritz,29 Steinach, Hersteller von Krippenfiguren, dessen Betrieb in Volkseigentum überführt wird.
Dabei trat auch B. negativ in Erscheinung.
Es wird eingeschätzt, dass Dorst durch gezielte negative Äußerungen versucht, Zweifel an der Richtigkeit der Politik von Partei und Regierung bei Personen aus Privatbetrieben, Betrieben mit staatlicher Beteiligung und PGH hervorzurufen.
In mehreren Fällen wurden Meinungsäußerungen von Handelspartnern aus kapitalistischen Staaten bekannt.
Dabei zeigte sich, dass in erster Linie Fragen aufgeworfen wurden, inwieweit die betreffenden DDR-Betriebe nach der Umwandlung in Volkseigentum in der Lage seien, die eingegangenen Exportverpflichtungen einzuhalten, die erreichte Qualität zu garantieren und den Export eventuell weiter zu erhöhen.
Durch das labile Auftreten der betreffenden DDR-Personen vielfach noch verstärkt, bestehen bei einigen kapitalistischen Handelspartnern offensichtlich Unsicherheiten hinsichtlich der Gestaltung von Vertragsabschlüssen.
Der Inhaber des Essener Tapetenmagazins,30 Goldkuhle,31 unterbreitete dem Inhaber der Fa. Gummi-Eichler,32 BSB, Dessau, Schurm,33 der seine Bereitschaft zur Überführung des Betriebes in Staatseigentum erklärt hat, das Angebot, dass er nach Durchführung der staatlichen Maßnahme für die westdeutsche Firma eine Vertreterfunktion in der DDR wahrnimmt.
G. will offensichtlich die langjährigen Erfahrungen und Initiativen des Sch. für sein Unternehmen nutzen.
Es wird weiter eingeschätzt, dass in zunehmendem Maße Verwandtentreffen zwischen Personen aus Privat- und halbstaatlichen Betrieben aus dem Kreis Sonneberg und der BRD stattfinden, wobei es sich bei den Bürgern aus der BRD überwiegend um republikflüchtige Personen handelt. Über den Charakter der geführten Gespräche liegen zurzeit keine Hinweise vor.
Am 12.3.1972 hielten sich zwei Mitarbeiter der Fa. Unica,34 Belgien, Spielwarengroßhandel, auf mehreren Messeständen im »Petershof« auf.
Sie waren sehr gut über Details im Zusammenhang mit der Überführung von Betrieben aus dem Kreis Sonneberg in Volkseigentum informiert. Bei ihren Diskussionen versuchten sie, weitere Informationen und Meinungen des Standpersonals zu erhalten.
Herr von Westerborg,35 Vertreter von Demusa,36 Belgien, brachte u. a. zum Ausdruck, dass volkseigene Betriebe und andere Eigentumsformen doch eine »gute Mischung« gewesen seien.
In den Privatbetrieben und PGH laufe nach seiner Meinung »alles viel besser«.
Es sei nicht richtig, derartige Maßnahmen durchzuführen.
Die Leute im Exportkontor Sonneberg seien aus diesem Grunde schon gleichgültig geworden und zeigten nach seiner Auffassung keine Initiative mehr.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht noch keine exakte Übersicht über den Umfang und Inhalt der Verhandlungen sowie über die Höhe abgeschlossener Verträge, die von Betrieben mit staatlicher Beteiligung, Privatbetrieben und PGH, insbesondere mit westdeutschen und anderen ausländischen Partnern, getätigt wurden.
Um einen Überblick zu erhalten, wurden entsprechende Maßnahmen eingeleitet, über die noch berichtet wird.37