Selbsttötung eines Offiziers der Nationalen Volksarmee
17. Mai 1972
Information Nr. 469/72 über die Selbsttötung eines Offiziers der Nationalen Volksarmee
Am 9.5.1972, gegen 8.00 Uhr, unternahm der Leiter für Versorgung des Zentralen Munitionslagers 52 des Ministeriums für Nationale Verteidigung in Rothenstein, Kreis Jena, Major Hanauer, Wolfgang,1 geboren am 15.1.1935, wohnhaft: Torgelow-Spechtberg, [Straße Nr.], auf dem Gelände des Munitionslagers mit einer Pistole vom Typ »Makarow« durch eine mittels Nahschuss selbst beigebrachte Kopfverletzung einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen er auf dem Wege zum Krankenhaus verstarb.
Die durch das MfS bisher geführten Untersuchungen zu den Motiven, Ursachen und Umständen ergaben:
Anfang April 1972 wurde dem Kommandeur des Zentralen Munitionslagers 52 (ZML) in Rothenstein, Kreis Jena, bekannt, dass Major Hanauer mehrfach den Versuch unternommen habe, zu Unteroffizieren und Soldaten seiner Diensteinheit homosexuelle Beziehungen aufzunehmen.
Zur Klärung dieser Angelegenheit wurde am 26.4.1972 durch den zuständigen Militärstaatsanwalt mit Hanauer eine Befragung durchgeführt. In dieser Befragung gab Hanauer zu, dass er gegenüber Unteroffizieren und Offizieren des Öfteren obszöne Redensarten gebrauchte, die Aufnahme homosexueller Beziehungen aber bestritt.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben keine Bestätigung für die Aufnahme homosexueller Beziehungen.
Aufgrund des Befragungsergebnisses vom 26.4.1972 wurde durch den Militärstaatsanwalt entschieden, vor Einleitung weiterer Maßnahmen eine Klärung des Sachverhaltes durch den Kommandeur herbeizuführen.
Diese Aussprache wurde am 8.5.1972 durch den Chef des Dienstbereiches Raketentruppen und Artillerie des MfNV, Genossen Generalmajor Bormann,2 im Beisein des Genossen Oberst Dreiseidler3 und des Kommandeurs des ZML durchgeführt.
Im Ergebnis der Aussprache wurde festgelegt, dass Hanauer, durch dessen wiederholte obszöne Äußerungen seine Autorität im ZML untergraben und der politisch-moralische Zustand der Einheit beeinträchtigt wurde, in eine andere Diensteinheit zu versetzen, seine Ehefrau über dessen Verhalten zu informieren und die Einleitung eines Parteiverfahrens in Betracht zu ziehen.
Über diese Festlegungen unterrichtete der Kommandeur des Zentralen Munitionslagers am 9.5.1972, um 7.30 Uhr, im Beisein des Hanauer die Mitarbeiter der Dienststellenleitung des ZML.
Unmittelbar danach erteilte der Kommandeur des ZML dem Hanauer den Befehl, VVS-Unterlagen zum Wehrbezirkskommando Gera zu überbringen.
Zur Erledigung dieses Auftrages ließ sich Hanauer, der kein ständiger Waffenträger war, entsprechend den in der DV 10/9 a getroffenen Festlegungen, dass VVS-Unterlagen nur unter Mitführung einer Schusswaffe zu transportieren sind, in der Waffenkammer des ZML eine Pistole vom Typ »Makarow« mit zwölf Patronen aushändigen.
Mit dieser Waffe beging Hanauer noch vor der Ausführung des Befehls im Heizhaus des ZML, den Selbsttötungsversuch, an dessen Folgen er verstarb.