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Situation auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld

17. August 1972
Information Nr. 779/72 über die derzeitige Situation auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld

Die Lage im Flugbetrieb der Interflug ist nach wie vor von einer Reihe großer Schwierigkeiten als Folge des Absturzes der IL 621 gekennzeichnet. Dies äußert sich insbesondere bei der Abdeckung geplanter Flüge.

So konnten z. B. am 16.8.1972 für den Transport von 300 Passagieren von und aus Bulgarien seitens des Interflugs keine Maschinen gestellt werden. Auch am 17.und 18.8. ist der Transport von 100 bzw. 150 Passagieren in dieser Relation nicht mehr gesichert.

Die Situation wird darüber hinaus dadurch kompliziert, dass der Umfang von Beanstandungen an Fluggeräten durch die technischen Bereiche nach dem Absturz der IL 62 sprunghaft zugenommen hat. Die Fertigstellung in der Flugtechnik wird dadurch für die Planmaschinen und die Plankontrollen stark verzögert. (Am 15.8.1972 mussten vier Flüge total ausfallen und zwölf Flüge auf den 16.8.1972 verschoben werden.)

Die Durchführung am 16.8.1972 wurde durch das Tagesprogramm nicht gewährleistet, weil die Planmaschinen vom Plan her schon voll ausgelastet waren.

Am 15.8.1972 wurde mit 60 % Verspätung geflogen.

Zur Erleichterung der Situation im Flugbetrieb wurden die Leistungen der Interflug auf Inlandstrecken der Deutschen Reichsbahn übergeben.

Es besteht weiterhin die Absicht, unter Einschaltung des Ministerrates befreundete Fluggesellschaften zur Unterstützung der Interflug bei der Bereitstellung von Verkehrsmaschinen mit einzubeziehen.

Aufgrund der angespannten Situation im Abfertigungsprozess des Flughafens Berlin-Schönefeld müssen viele Passagiere teilweise über 24 Stunden in Einrichtungen des Flughafens (z. B. Transitraum) auf den Antritt ihres Fluges warten.

Eine Unterbringung in Hotels der Hauptstadt bzw. der näheren Umgebung Berlins ist nicht möglich.

Passagiere, die auf die Abfertigung für einen Flug nach Bagdad bereits über 24 Stunden im Transitraum warteten, verfassten eine Resolution, in der sie gegen eine solche Verfahrensweise protestierten. Diese Protestresolution ist in Englisch verfasst und trägt die Unterschrift von 25 Personen (ein Teil der Unterschriften ist arabisch geschrieben).

Die Maschine startete am 17.8.1972, 9.05 Uhr, mit 45 Stunden Verspätung.

(Diese übermäßig lange Wartezeit ergab sich durch die Notwendigkeit der Behebung mehrerer technischer Mängel an der Maschine und die damit verbundene Überführung in die Werft der Interflug.)

Von der Interflug wurden in Anbetracht der angespannten Situation folgende Maßnahmen festgelegt:

  • 1.

    Überprüfung der Möglichkeit, Passagiere mit ausländischen Luftverkehrsunternehmen (LVU) zu befördern.

  • 2.

    Es werden bis zur Durchführung der Flüge anlässlich der Olympiade in München2 keine Charterflüge durchgeführt.

  • 3.

    Mit der NVA wurde abgestimmt, dass durch deren Angehörige Triebwerkwechsel an der CH (TU-1 34) vorgenommen wird, um den Einsatz dieser Maschine für die Beförderung der Passagiere auf den Linienflügen zu gewährleisten.

  • 4.

    Für das System Flugtechnik wurden ebenfalls Maßnahmen eingeleitet, um eine schnelle Stabilisierung und Beherrschung der technischen Situation wieder herzustellen Dazu gehört die Überprüfung des Urlaubsplanes, um eventuell Kräfte aus dem Urlaub zurückzuholen. Außerdem erfolgt ein zusätzlicher Einsatz von Fachspezialisten an deren arbeitsfreien Tagen.

  • 5.

    Durch die Mitarbeiter des Startdienstes werden zusätzlich zwei Nachflugkontrollen durchgeführt.

  • 6.

    In Absprache mit der Aeroflot3 wird diese am 17. und 18.8.1972 die Beförderung der Passagiere der Interflug übernehmen, sodass durch die Interflug in dieser Zeit keine Flüge [nach] Moskau durchgeführt werden.

(Ein zusätzlich zu dieser Absprache inzwischen vorliegendes Hilfsangebot der Aeroflot sollte angenommen werden.)

Da bereits am 20.8.1972 der erste Flug nach München zur Olympiade erfolgt und dieser Flug wie auch alle anderen typentreu durchgeführt wird, verändert sich die gegenwärtige Situation in den nächsten Tagen nicht wesentlich.

Das Stimmungsbild unter den Beschäftigten der Interflug ist unverändert. Die Besatzungen der IL-62 haben die ersten Schockwirkungen überwunden. Die Angehörigen des fliegenden Personals zeigen eine hohe Einsatzbereitschaft.

Vereinzelt liegen Diskussionen aus dem fliegenden Personal sowohl der IL-62-als auch der AN-24-Staffel vor, wonach Unverständnis zum Ausdruck gebracht wird, dass die übrigen Flugzeuge des Typs IL-62 nicht für den weiteren Einsatz gesperrt wurden, da doch bisher die Ursachen des Absturzes ungeklärt seien.

Zwei Angehörige der Sachverständigenkommission Flugverlauf sprachen sich in einer Kommissionssitzung für die zeitweilige Sperrung der IL-62 bis zur Klärung der Ursachen aus.

Im Zusammenhang mit dem Flugzeugabsturz sind erneut vereinzelt Diskussionen betreffs des Versicherungsschutzes der Angehörigen des fliegenden Personals zu verzeichnen. Hierbei wurde Interesse dahingehend bekundet, welche Regelung in diesem Fall, jedoch auch zur grundlegenden Klärung dieser Problematik, erfolgen wird.

Unter den Stewardessen kam es aufgrund ihres gegenwärtigen nervlichen Zustandes zu drei weiteren Ausfällen. (Zurzeit befinden sich zehn Stewardessen nicht im Dienst.)

Im Bereich der Beschäftigten der Flugsicherung traten vereinzelt Kollegen mit Meinungen auf, eventuell ihre Tätigkeit aufgeben zu wollen.

Durch den Kommerziellen Direktor der Interflug wurden die für Berlin-Schönefeld zuständigen Repräsentanten ausländischer Verkehrsunternehmen am 15.8.1972 über den Flugzeugabsturz, soweit dieser in der ADN-Mitteilung4 geschildert war, informiert. Hinweise auf negative Äußerungen wurden in diesem Zusammenhang nicht festgestellt.

Von allen Beteiligten wurde die Nachricht mit großer Erschütterung zur Kenntnis genommen. In keinem Falle wurde irgendwelches Misstrauen zu den technischen Möglichkeiten der Interflug zum Ausdruck gebracht.

Inzwischen wurde angewiesen, der Interflug aus dem Bestand der Transportfliegerstaffel 44 (Regierungsstaffel) je eine Maschine der Typen IL 18 und TU 1 24 zur Verfügung zu stellen.

Über den Einsatz der letztgenannten Maschine wurde eine entsprechende Entscheidung im Zusammenwirken mit dem Ministerium für Nationale Verteidigung getroffen.

  1. Zum nächsten Dokument Entwicklung des Reise- und Transitverkehrs (1.8.–20.8.)

    21. August 1972
    Information Nr. 789/72 über die weitere Entwicklung des Reise- und Besucherverkehrs Westberliner Bürger in die DDR und des Transitverkehrs zwischen der BRD und Berlin (West) in der Zeit vom 1. bis 20. August 1972

  2. Zum vorherigen Dokument Erste Erfahrungen nach Reiseerleichterungen (4.6.–31.7.)

    17. August 1972
    Information Nr. 770/72 über erste Erfahrungen seit dem Inkrafttreten der Vereinbarung zwischen der Regierung der DDR und dem Westberliner Senat über Erleichterungen und Verbesserungen im Reise- und Besucherverkehr sowie dem Abkommen zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der BRD über den Transit von zivilen Personen und Gütern zwischen der BRD und Westberlin (Zeitraum: 4. Juni bis 31. Juli 1972)