Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg
26. April 1972
Information Nr. 386/72 über die Außerordentliche Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg vom 24. bis 26. März 1972
Dem MfS wurden Einzelheiten über die Vorbereitung und den Verlauf der unter Ausschluss der Öffentlichkeit vom 24. bis 26.3.1972 in der Stephanus-Stiftung1 in Berlin-Weißensee stattgefundenen außerordentlichen Tagung2 der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin Brandenburg bekannt.
Danach stand vor der Synode die Aufgabe, durch die Verabschiedung eines neuen Kirchengesetzes die Voraussetzung für die Wahl eines selbstständigen Bischofs der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg für die Kirchengemeinden auf dem Territorium der DDR zu schaffen sowie Probleme der Konfirmation zu beraten.3
(Die Schaffung von selbstständigen Bischofsämtern für die Landeskirche Berlin-Brandenburg in der DDR und für Westberlin ist ein wesentlicher Schritt zur Verselbstständigung der Landeskirche. Die Bischofsfrage war deshalb zum wichtigsten Punkt in der Auseinandersetzung zwischen den progressiven und reaktionären Kräften geworden.)
In den Wochen unmittelbar vor der Synode mehrten sich interne Hinweise, wonach reaktionäre Kirchenkräfte der DDR gemeinsame Absprachen führten mit dem Ziel, die Verselbstständigung des DDR-Teils der Landeskirche mit allen Mitteln zu verhindern.
Bischof Schönherr,4 dem dies bekannt geworden war, setzte sich mit Pfarrer Kasner,5 Templin, in Verbindung, teilte ihm mit, dass sich eine reaktionäre Gegenfraktion mit ca. 40 Synodalen gebildet hat und bat ihn, gemeinsam mit Pfarrer Althausen,6 Berlin, eine Unterstützungsgruppe, bestehend aus »Leuten der Mitte« zu organisieren.
Diese Gruppierung, zu der u. a.
sowie die berufenen Synodalen Scheidacker11 (Student), Oranienburg, und Lent12 (Angestellter), Berlin, gehörten, trat am 24.3.1972 um 14.00 Uhr im Paulinum13 zusammen. Sie analysierten die Taktik der reaktionären Kräfte und stellten fest, dass es das Ziel dieser Aktivitäten sei, Verzögerungen bei der Behandlung der anstehenden Probleme herbeizuführen, theologische und rechtliche Entscheidungen in Glaubens- und Bekenntnisfragen zu verfälschen und politische Argumente hochzuspielen.
Eine besondere Aktivität in dieser o. g. reaktionären Gruppierung entfalteten Superintendent Steinlein,14 Nauen, und Pfarrer Knecht,15 Berlin. Ihr Ziel war es, weitere Anhänger für ihre Pläne zu gewinnen, da 50 Gegenstimmen bei der Abstimmung über die vorliegenden Drucksachen die notwendige Zweidrittelmehrheit gefährdet hätten.
Der Verlauf der Synode zeigte auch, dass sich die reaktionären Kräfte gut vorbereitet hatten und äußerst aggressiv und DDR-feindlich auftraten, jedoch das Geschehen nicht bestimmen konnten.
Kennzeichnend für eine relativ entschlossene Haltung der progressiven Kräfte dagegen war u. a., dass auf Weisung des Präses der Synode, Burckhardt,16 der Vertreter des Evangelischen Pressedienstes in Westdeutschland, Reinhard Henkys,17 der wegen seiner negativen Berichterstattung über die DDR bekannt ist, das Tagungsgebäude verlassen musste.
Zur Eröffnung der Synode am 24.3.1972 um 19.00 Uhr waren von den 165 Synodalen 149 anwesend.
Der Antrag der reaktionären Gruppierung auf Behandlung der neuen Geschäftsordnung wurde abgelehnt. Der Sprecher der Kirchenleitung, Konsistorialrat Pettelkau,18 bezeichnete diese Gruppierung gleich zu Beginn der Tagung als eine Minderheit, die gegen ein eigenständiges Bischofsamt sei und drei Alternativen vertrete,
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erstens abzuwarten,
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zweitens eine »Bengsch19-Lösung« anzustreben (Sitz des Bischofs in der Hauptstadt der DDR und Wahrnehmung von Amtshandlungen in Westberlin),20
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drittens keinen Bischof zu wählen, sondern je einen Verwalter in Ost und West einzusetzen.
Pettelkau erklärte, dass die Kirchenleitung die drei Alternativen beraten und verworfen habe, da
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erstens der Auftrag der Synode vorliege und es fraglich sei, ob durch Abwarten etwas besser werde,
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zweitens eine »Bengsch-Lösung« unreal sei, weil sich dafür auch keine Person findet,
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drittens das Symbol des leeren Stuhles eine gefährliche Sache sei.
Er führte weiter aus, dass die Kirchenleitung die Absicht habe, die Gesetze im Einvernehmen mit der Westregion einzuführen. Die Kirchenleitung habe deshalb Kontakt zur Kirchenleitung in Westberlin aufgenommen. Eine briefliche Antwort mit der Unterschrift von Bischof Scharf21 liege der Kirchenleitung vor, in der erklärt werde, dass die Einrichtung eines eigenständigen Bischofsamtes durch die Freigabebeschlüsse möglich sei und die Westberliner Kirchenleitung diese Entwicklung bejahe. Die Westberliner Kirchenleitung könne diese Entscheidung jedoch nicht allein treffen und müsse die Zustimmung der Westberliner Juni-Synode abwarten. Die Inkraftsetzung der Gesetze bezüglich des eigenständigen Bischofsamtes könne demzufolge erst danach erfolgen.
In der Diskussion zu den vorliegenden Drucksachen
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1 – Kirchengesetz zur 11. Änderung der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg22
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2 – Kirchengesetz über die Wahl des Bischofs23
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3 – Kirchengesetz über das Bischofsamt,24
die von Superintendent Richter,25 Seelow, Rechtsanwalt de Maizière26 und Oberkonsistorialrat Pettelkau eingebracht wurden, traten besonders folgende Personen in Erscheinung:
(Im Folgenden werden einige bemerkenswerte persönliche Ansichten einzelner Synodalen sinngemäß wiedergegeben.)
Superintendent Furian,27 Zossen, setzte sich für das Festhalten an der Einheit der Landeskirche ein. Er sagte, dass man eine Trennung »nur erleiden« könne, aber nicht fördern dürfe. Er stellte die Frage nach den wirklichen Spaltern der Kirche und betonte, er sei davon informiert, dass die Westberliner Kirchenleitung bestürzt und in Zugzwang versetzt worden sei.
Das Vier-Mächte-Abkommen28 über Westberlin würde doch ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Man solle sich nicht von den Ergebnissen der letzten Synode beeinflussen lassen, denn die Glaubwürdigkeit der Kirche stehe auf dem Spiel.
Furian stellte die Frage, was denn eigentlich eigenes Bischofsamt heiße und erklärte: »Wir haben ein eigenes Bischofsamt, nämlich in Westberlin. Wir haben einen Bischof und das ist Scharf.« Die angestrebten Neuregelungen würden nicht dem Wunsch »unseres Herrn«, sondern »anderer« Herrn folgen.
Pfarrer Dr. Forck,29 Brandenburg, entgegnete, dass die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht unter den Neuregelungen leide. Diese seien mit Westberlin abgesprochen. Die Kirche sei nicht glaubwürdig, wenn sie die Souveränität der DDR nur formal bejahe und vorgebe, mit den »Brüdern drüben« enger verbunden zu sein als mit den Menschen hier. Sollte die Kirche später eine andere Meinung als der Staat haben, würde die Neuregelung gewährleisten, dass man diese Meinung dann als die eigene und nicht als eine »vom Westen« infiltrierte ansehen werde.
Superintendent Funke,30 Kyritz, erklärte, Treue zu Gott bedeute auch Treue zum Menschen, also auch zu Bischof Scharf. Er appellierte an die Synode, die bestehende Ordnung beizubehalten. Man würde es noch so weit bringen, dass die Kirche in Westberlin gezwungen wird, sich einen anderen Namen zu geben.
Pfarrer Woronowicz,31 Wittenberge, betonte, dass ein Festhalten an den Beschlüssen von 1971 nicht notwendig sei. Die neuen Vorlagen seien ein Verstoß gegen die Grundordnung. Er wandte sich weiter gegen die Formulierung: »die beschließende Synode« und forderte die Beibehaltung der Bezeichnung »Regionalsynode Ost«.
Er führte weiter aus, dass man die Westberlin-Regelung »ausnutzen« solle, dann wäre schon zu Pfingsten eine Gesamtsynode möglich.32
Sollte man den Synodalen aus Westberlin die Einreise verweigern, sei es Aufgabe der Kirchenleitung, bei der Regierung zu protestieren wegen »Bruches des Westberlin-Abkommens«. Er stellte den Antrag, den Tagesordnungspunkt Bischofsfrage bis Pfingsten zu vertagen. (Dieser Antrag wurde bei neun Ja-Stimmen und 30 Enthaltungen abgelehnt.)
Generalsuperintendent Dr. Lahr,33 Potsdam, wandte sich gegen die Behauptung, dass die Kirchenleitung die politische Seite nicht bedacht haben soll. Er sagte, dass sich die im Westberlin-Abkommen formulierten religiösen Gründe auf Taufen usw. beziehen. Es sei im Abkommen nicht die Rede von religiösen Zwecken. Pfarrer Woronowicz befinde sich mit seiner Deutung außerhalb der offiziellen Interpretation.
Der zweite Beratungstag begann mit einer Plenartagung. Es wurde ein Telegramm des Westberliner Präses Altmann34 an die Synode verlesen, in dem die geistliche Verbundenheit zum Ausdruck gebracht wurde.
Anschließend wurde von Pfarrer Dr. Forck, Brandenburg, die Drucksache 5 – Antrag der Evangelischen Kirchenleitung in Berlin-Brandenburg vom 11.2.1972 »Wort der Synode zur Konfirmation«35 eingebracht.
Forck bezeichnete dieses Wort als einen Kompromiss. Es soll in Zukunft keine Diskriminierung der Jugendweihe36 erfolgen, wenn sich der junge Mensch auch zur Konfirmation entschließt.
Der Synodale Ephorus Dr. Becker,37 Berlin, versuchte die Diskussion zu diesem Komplex zu beenden, indem sie darauf hinwies, dass es andere Fragen gibt, die wesentlich wichtiger seien als die der Konfirmation, so z. B. die Bischofsfrage. Diese Initiative wurde von einer Reihe progressiver Synodalen unterstützt, unter ihnen befanden sich Pfarrer Günther,38 Potsdam, Prof. Müller,39 Berlin, Dipl.-Ing. Knopp,40 Templin.
Nach der Plenartagung zur Konfirmationsfrage traten die Ausschüsse zusammen. Die wichtigsten Vorgänge, die das Geschehen auf der Synode bestimmten, spielten sich in dem Ausschuss ab, in dem die Gesetzesvorlage zur Neugestaltung des Bischofsamtes behandelt wurde.
Hier kam es zu harten Auseinandersetzungen zwischen den reaktionären Kräften und den Vertretern der Kirche, die an einer weiteren Verselbstständigung der Landeskirche interessiert sind.
Superintendent Steinlein, Nauen, erklärte, dass die bischöflichen Funktionen bereits wahrgenommen werden. Bischof Scharf sei der ordentliche Bischof und es bestünde kein Notstand.
Oberkonsistorialrat Pettelkau, Berlin, sagte, dass Scharf, wenn er Bischof bleibe, diese Funktion nur für Westberlin ausüben werde. Gegenüber den Argumenten von Superintendent Furian und Pfarrer Woronowicz, die den Willen zu Veränderungen seitens der Westberliner Kirchenleitung bezweifelten, sei zu sagen, dass diese mit uns gehe. Es gehe nicht um Glaubensfragen. Die Deutung der Maßnahmen durch den Staat hänge auch von der Synode ab (z. B. Abgrenzung oder Ignorierung der Abgrenzung).
Pfarrer Knecht, Berlin, äußerte, »diejenigen, die über uns die Macht zu haben glauben«, müssten wissen, dass es nur einen Gegensatz gibt, nämlich zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten. Er sei dagegen, in dieser Art und Weise einkategorisiert zu werden. Knecht sprach sich weiter gegen das Prinzip aus, dass Landesgrenzen Kirchengrenzen sein sollen. Er sei dafür, dass alles beim Alten bleibe, weil das den Notstand in beredter Form dokumentiere.
Pfarrer Günther, Potsdam, entgegnete den reaktionären Kräften, dass er persönlich 1971 auf der Konferenz Europäischer Kirchen in Nyborg41 mit Bischof Scharf gesprochen habe und dass dieser viel Verständnis für die vorhandenen Probleme zeigte.
Konsistorialpräsident Kupas,42 Potsdam, brachte zum Ausdruck, dass seit Ende 1971 eine intensive Verständigung zwischen den Kirchenleitungen in der Hauptstadt der DDR und in Westberlin erfolge. Die anstehenden Entscheidungen sollten nun nicht mehr aufgeschoben werden. Er betonte, dass Staatsgrenzen auch die Grenzen kirchlicher Organisationsmöglichkeiten seien. Neben diesen Problemen sollte man die konkrete Situation, die wesentlich vom VIII. Parteitag der SED43 mitgeprägt werde, beachten.
Generalsuperintendent, Schmitt,44 Berlin, bekannte sich zur Einheit der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und brachte zum Ausdruck, dass er seit Wochen in »innerer Not« stehe. Dieser Beschluss sei der letzte oder vorletzte Schritt zur Spaltung. Er könne für die Errichtung eines selbstständigen Bischofsamtes in der Hauptstadt der DDR nur pragmatische Gründe sehen.
Wenn die »Westberliner Brüder« bei den intensiven Absprachen sehr rücksichtsvoll waren, so müsse man jedoch sehen, dass sie sich »im Zugzwang« befanden. Schmitt forderte, zusätzlich in das Kirchengesetz eine Formulierung aufzunehmen, dass sich beide Bischöfe verpflichten, miteinander in Kontakt zu bleiben.
Pfarrer Günther, Potsdam, erklärte, dass es eine günstigere Situation als jetzt für Maßnahmen nach vorn nicht gebe. Vom Staat brauche man dabei keinen Applaus zu erwarten, da es sich um längst notwendige Schritte handele. Vielleicht sei eine spätere Revision einmal möglich.
Superintendent Karpinski,45 Bad Freienwalde, meinte, es sei gut, dass die »Westberliner Brüder« auf uns »Rücksicht nehmen«. Das VierMächte-Abkommen über Westberlin beinhalte auch die Anerkennung der Staatsgrenzen der DDR. Es gebe deshalb nur eine Alternative zum jetzigen Verwalteramt: Die Schaffung eines selbstständigen Bischofs. Die Gemeinden würden den Sinn eines Bischofsverwalters sowieso nicht verstehen.
Nachdem sich Pfarrer Knecht, Berlin, nochmals gegen die Vorlagen ausgesprochen hatte, weil sie nach seiner Meinung zur vollständigen Trennung der Landeskirche führen, kam Bischof Schönherr, Berlin, in den Ausschuss und gab dort folgende Erläuterung:
Seit 1963 sei bei jeder Kirchenleitungssitzung mindestens ein Vertreter der Kirchenleitung West dabei gewesen. Er selbst habe jede Möglichkeit genutzt, den Kontakt zu Bischof Scharf aufrecht zu erhalten. Solche Kontaktaufnahmen seien erfolgt 1967, 1968 auf der Weltkirchenkonferenz in Uppsala46 (hier habe Scharf schon mit der jetzigen Lösung gerechnet), und im Frühjahr 1971. Dieses Gespräch bezeichnete Schönherr als das wichtigste. Scharf habe sich dabei bereit erklärt, dass gegen Ende der jetzigen Legislaturperiode zwei Bischofsämter geschaffen werden, die Initiative dazu müsse jedoch »vom Osten« ausgehen.
Es sollte dabei jedoch eine Lösung gefunden werden, die den Zusammenhalt der Kirche so weit garantiert, wie es angesichts der Regionalbereiche möglich ist.
Im Juni 1971 habe Scharf in Westberlin anlässlich der damaligen Synode zum ersten Mal eine öffentliche Stellungnahme zu diesem Problem abgegeben. Schönherr betonte, dass Scharf damals schon viel weiter gewesen sei als die Synodalen in Berlin-Brandenburg heute. Im Übrigen sei der Terminkalender für die vorzunehmenden Maßnahmen schon durch die Tatsache mitbestimmt, dass Ende 1972 das Mandat seines Verwalteramtes ablaufe.
Weiterhin hätten auch die beiden Konsistorialpräsidenten Kontakte miteinander gehabt. Darüber hinaus habe Martin Fischer47 (Vizepräsident der Kirchenkanzlei der »Evangelischen Kirche der Union« in Westberlin) an der Sitzung der Kirchenleitung vom Januar 1972 teilgenommen. Er habe dabei die Meinung der Westberliner Kirchenleitung vorgetragen, die die Bereitschaft zur Einrichtung von zwei selbstständigen Bischofsämtern beinhalte.
Auf der Grundlage dieses erreichten Standes in der Verständigung und der Entwicklung der Dinge habe es dann zwischen den beiden Kirchenleitungen einen Briefwechsel gegeben. Die Westberliner Kirchenleitung habe dabei u. a. nochmals mitgeteilt, sie sei für eine gegenseitige Preisgabe und habe zu verstehen gegeben, dass im Westen kein großes Interesse an einer weiteren Einheit bestehe, da man viele »eigene Probleme« habe.
Schönherr sagte, er sei sich im Klaren, dass man verschiedene Wege gehen könne. Scharf sei bekannt, dass hier eine starke Opposition gegen die Neuregelungen vorhanden ist.
Er wollte deshalb an die Kirchenleitung oder an die Synode oder an einzelne Synodale einen Brief schreiben, in dem er mitteilen wollte, dass er willens sei, seinen Amtsbereich auf Westberlin zu beschränken.
Er (Schönherr) habe in der letzten Zeit (vermutlich anlässlich des Besuchs des Vorstandes des Bundes in Genf) Scharf von dieser Maßnahme abgeraten, weil dies als Druck oder Manipulation aufgefasst werden könnte.
Die Westsynode werde beschließen, ein eigenes Bischofsamt einzurichten. Scharf habe ihn gebeten, seine Ruhestandsangelegenheit aus dem Spiel zu lassen, das sei eine reine Westberliner Angelegenheit. Vermutlich werde die Synode in Westberlin Scharf bitten, noch weiter im Amt zu bleiben. Scharf wäre schon früher zurückgetreten, wenn die sogenannte Bengsch-Lösung zustande gekommen wäre. Bengsch habe jedoch ihm (Schönherr) gegenüber erklärt, dass es in Westberlin viel mehr »hässliche Probleme« gäbe als hier und habe ihn von einer solchen Lösung dringend abgeraten.
Nach einigen Einwänden von Superintendent Furian, Zossen, und Pfarrer Bräuer,48 Eisenhüttenstadt, erklärte Schönherr, dass die Initiative zur Verselbstständigung von hier ausgehen müsse. Man müsse mit großem Takt »den Brüdern drüben« die Freiheit zum Handeln geben.
Schönherr bezeichnete es als möglich, dass es bei den bisherigen Kontakten Abstimmungen zwischen Bischof Scharf und Oberkonsistorialrat Ringhandt49 gegeben habe. Beide ständen sich bekanntlich sehr nahe. Eine Namensänderung des Westberliner Teils der Landeskirche Berlin-Brandenburg sei Sache der Westberliner. Eine Beschränkung der Funktionen auf Westberlin würde bedeuten, dass der Bischof sich auch nur als Bischof von Westberlin bezeichnen könne. Die Bezeichnung Bischof von Berlin-Brandenburg gehe auf Bischof Dibelius50 zurück. Die Schaffung von zwei Bischofsämtern sei schon 1948 geplant gewesen und sei nur am Veto von Dibelius gescheitert.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs im Arbeitsausschuss wandte sich Generalsuperintendent Lahr, Potsdam, gegen Superintendent Steinlein, Nauen (Steinlein untersteht direkt Lahr) und gegen Generalsuperintendent Schmitt, Berlin. Er sagte, insbesondere der Vorschlag von Schmitt gehöre nicht hierher. (Aufnahme einer Formulierung über notwendige Kontakte zwischen beiden Bischöfen.)
Oberkonsistorialrat Stolpe,51 Berlin, erklärte dazu, dass der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR Kontakte habe zur Kirchenkanzlei der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD) in Hannover. Der Bund habe eine Interpretation der Ergebnisse der Vier-Mächte-Verhandlungen noch vor ihrer Bekanntgabe erbeten. Drüben habe schon damals die Meinung bestanden, dass die vier Mächte menschliche Erleichterungen wollen, aber keine organisatorischen Änderungen anstreben. Bei aller Gutmütigkeit des Auswärtigen Amtes in Bonn sei es nicht möglich gewesen, auf eine andere Interpretation durch die vier Mächte Einfluss zu nehmen. Stolpe stellte fest, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und »EKD« besser sei als je zuvor.
Zum Schluss der Debatte erfolgte im Ausschuss eine Abstimmung über die Drucksache 3 – Kirchengesetz über das Bischofsamt –.
Dabei sprachen sich 18 Synodale für die Verselbstständigung aus, 13 stimmten dagegen und vier enthielten sich der Stimme. Es wurde jedoch festgelegt, dieses detaillierte Ergebnis auf der Synode nicht mitzuteilen.
Am dritten Beratungstag wurde die Plenarsitzung fortgesetzt. Die reaktionären Kräfte versuchten zunächst, die Behandlung der wichtigen Drucksache 3 hinauszuschieben. Es wurden zunächst die Drucksachen 1 (Änderung der Grundordnung) und 2 (Bischofswahlgesetz) behandelt. Dabei sprach sich die Synode gegen einen Antrag von Bischof Schönherr aus, die Formulierung aufzunehmen, dass der Bischof und die Generalsuperintendenten nicht auf Aufträge der Synode angewiesen sind.
Von Superintendent Dr. Pietz,52 Berlin, wurde der Antrag gestellt, die Formulierung aufzunehmen, dass der Bischof des DDR-Teils der Landeskirche »brüderliche Verbindung mit der anderen Region« hält.
Die Drucksache 2 (Bischofswahlgesetz) wurde mit drei Gegenstimmen und 22 Stimmenthaltungen angenommen.
Zur Drucksache 3 wurde nochmals eine Erklärung zu dem erfolgten Briefwechsel abgegeben. Der Brief an die Kirchenleitung in Westberlin sei am 10.2.1972 abgegangen, und am 15.2.1972 sei die Antwort erfolgt. In der Antwort sei zum Ausdruck gekommen, dass man die Vorschläge zur Kenntnis genommen habe und den Brüdern im Osten Vertrauen entgegen bringe. Die »im Osten« erarbeiteten Vorlagen würden der realen Lage »im Osten« entsprechen. Rechtlich sei nichts einzuwenden, aber die Synode in Westberlin behalte sich das letzte Wort vor.
Die Abstimmung zu dieser Drucksache ergab 108 Ja-Stimmen, 38 Nein Stimmen, sechs Stimmenthaltungen.
Danach wurde die Drucksache 8 (Bildung des Bischofswahlkollegiums)53 angenommen mit 102 Ja-Stimmen, 20 Nein-Stimmen und acht Stimmenthaltungen. Dem Bischofswahlkollegium gehören an:
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Diakon König,54 Berlin
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Werbeleiter Schur,55 Zeuthen
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Ephorus Becker, Berlin
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Landwirt Böhme,56 Letschin
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Superintendent Passauer,57 Lehnin
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Superintendent Viebeg,58 Luckenwalde
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Pfarrer Kasner, Templin
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Chefredakteur Dr. Grell,59 Potsdam
1. Stellvertreter
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Justitiar Hamann,60 Berlin
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Kreisjugendwart Delf,61 Berlin
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Kreiskatechet Fischer,62 Lindow
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Superintendent Freybe,63 Lübben
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Pfarrer Althausen, Berlin
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Superintendent Schuppan,64 Eberswalde
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Pfarrer Grünbaum,65 Rathenow
2. Stellvertreter
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Oberin von Werdeck,66 Teltow
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Wiss. Assistent Dr. Glockmann,67 Berlin
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Pfarrer Ahlsdorff,68 Berlin
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Pfarrer Bräuer, Eisenhüttenstadt
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Pfarrer Minzlaff,69 Potsdam
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Superintendent Stubbe,70 Potsdam
Mit der Drucksache 771 wurde die Synode beauftragt, die Wahl des neuen Bischofs so vorzubereiten, dass sie alsbald möglich ist. Als möglicher Zeitpunkt ist die November-Synode vorgesehen.
Das Wort zur Konfirmation wurde mit 20 Gegenstimmen bei acht Stimmenthaltungen angenommen.
Superintendent Freybe, Lübben, erklärte dazu, dass dies Wort »viel zu spät« komme. Kinder und Eltern würden schon lange fragen, warum nicht Jugendweihe und Konfirmation möglich sei.
Präses Bruckhardt hielt ein kurzes Schlusswort, in dem er feststellte, dass die Synode einen Schritt vorangekommen sei, man müsse aber sehen, dass die Abgrenzung nicht zu vermeiden sei.
Nach Beendigung der Synode fand von 18.35 Uhr bis 19.20 Uhr eine Pressekonferenz statt. Es nahmen teil:
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der Präses der Synode
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alle Mitglieder der Kirchenleitung
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der Ältestenrat,
als Pressevertreter waren erschienen:
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ein Vertreter von DP72
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ein Vertreter von Reuter
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Henkys als Vertreter des Evangelischen Pressedienstes
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Präses Burkhardt eröffnete die Pressekonferenz und stellte fest, dass die Synode in Ausführung eines früheren Synodalbeschlusses Vorlagen behandelt habe zur Schaffung eines eigenen leitenden Amtes und zur Änderung der Grundordnung.
Den Anwesenden wurden die Drucksachen 2 und 3 (Bischofswahlgesetz und Einführungsgesetz) ausgehändigt, nachdem sie verlesen waren.75 Burkhardt teilte mit, dass die Vorlagen mit Zweidrittelmehrheit angenommen wurden. Des Weiteren sei das Bischofswahlkollegium neu bestätigt und mit der Vorbereitung der Bischofswahl beauftragt worden, sodass auf der nächsten Synode der Bischof gewählt werden kann. Neben dieser Problematik seien Fragen der Konfirmation behandelt worden. Die Drucksache 3, die Burkhardt als »Mantelgesetz« bezeichnete, sei im Gleichschritt mit der Westsynode erarbeitet worden, die ähnliche Schritte vorbereite.
In der Diskussion kam folgendes zum Ausdruck:
Henkys (epd) stellte die Frage, weshalb man so lange getagt habe, wenn alles so gut vorbereitet gewesen sei.
Bischof Schönherr antwortete, dass erhebliche Entscheidungen zu fällen waren und man habe mit Recht so intensiv diskutiert. Es hätten sich einige Synodale gegen eine Änderung ausgesprochen. Es sei tatsächlich bis zuletzt nicht klar gewesen, welche Entscheidung die Synode trifft.
Insgesamt hätten 18 Redner gesprochen, auch zu der Konfirmationsfrage sei lange beraten worden. Das Kirchengesetz zur Schaffung eines selbstständigen Bischofsamtes habe dann mit einem erhöhten Anteil an Ja-Stimmen verabschiedet werden können. Das Bischofsamt sei zeitlich auf zehn Jahre, das Bischofsalter auf 70 Jahre begrenzt worden.
Henkys (epd) fragte weiter, was geschieht, wenn Westberlin nicht mitmache?
Präses Burkhardt entgegnete, dass die Verkündung des Gesetzes durch einen besonderen Vorgang erfolgen werde. Die Westberliner würden bestimmt nachziehen. Man würde entschieden an die Dinge herangehen, so sei das Wahlkollegium schon bekannt und der Vorschlag der Bischofskandidaten werde im Gegensatz zu früher auch rechtzeitig bekanntgegeben werden.
Pfarrer Dr. Forck, Brandenburg, machte auf Ersuchen von Präses Burckhardt Ausführungen zum Problem der Konfirmation und teilte mit, dass das verabschiedete Wort nicht für die Öffentlichkeit, sondern für die Gemeindekirchenräte bestimmt sei und eine Übergangsregelung darstelle bis zu dem Zeitpunkt, wo der Bund neue Maßnahmen ergreife.
Der Vertreter von Reuters fragte, wie knapp die Zweidrittelmehrheit gewesen sei.
Präses Burkhardt: knapp darüber
Henkys (epd): »Sie haben doch zurzeit einen Bischof. Wie harmoniert Ihr Beschluss mit diesem Fakt?«
Bischof Schönherr antwortete, so lange keine Erklärung von Bischof Scharf zur Begrenzung seiner Funktion auf Westberlin vorliege, so lange erfolge keine Besetzung des zweiten Bischofsamtes. Es gebe jedoch gleiche Bestrebungen für die Schaffung eines eigenständigen Bischofsamtes für Westberlin. Es sei damit zu rechnen, dass Bischof Scharf in nächster Zeit eine solche Erklärung abgeben werde. Auch die Westberliner Kirchenleitung halte einen solchen Weg für nötig.
Superintendent Pietz, Berlin, führte aus, das Bischofsamt in Westberlin sei als Bischofsamt der westlichen Region der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg anzusehen.
Bischof Schönherr stellte dazu fest, dass lt. Grundordnung die Bezeichnung evangelischer Bischof von Berlin richtig sei. Seit 1961 habe sich jedoch die Bezeichnung Bischof von Berlin-Brandenburg eingebürgert.
Klages (Neue Zeit) fragte, ob demzufolge die Besetzung des zweiten Bischofsamtes nicht an die Pensionierung von Bischof Scharf, sondern an eine Erklärung von ihm gebunden sei.
Bischof Schönherr antwortete, dass dies zutrifft, die Erklärung von Bischof Scharf sei zu erwarten.
Klages (Neue Zeit): »Ist man an Weisungen aus Westberlin gebunden?«
Bischof Schönherr: »Nein, man ist nicht an Weisungen gebunden. Die Synode werde jetzt noch deutlicher machen, dass keine Abhängigkeit von Westberlin besteht. Bei Neuwahlen kann die Wahl eines gemeinsamen Bischofs nicht mehr erfolgen.«
Klages (Neue Zeit): »Kann man Ihren Worten entnehmen, dass die gefassten Beschlüsse früher abgegebenen Erklärungen entsprechen: Staatliche Grenzen sind Grenzen der Kirchen.«
Bischof Schönherr sagte, dass dies zuträfe, aber es sei doch schon zu sehr zum Schlagwort geworden. Er wies darauf hin, Berlin-Brandenburg habe durch seine Regionalordnung mitgeholfen, dass diese Prinzipien auch zu Elementen bei der Bund-Bildung geworden seien. Was die organisatorische Frage beträfe, so sei die völlige Selbstständigkeit gewährleistet. Was in der Ordnung des Bundes der Artikel 4.476 sei, sei hier die Problematik, die sich hinter dem Namen Berlin-Brandenburg verberge.
Bei uns würde kein Grund zur Namensänderung bestehen.
Der Artikel 4.4 sei in der Landeskirche der Vorspruch zur Grundordnung und der Kontaktbeschluss der Bischöfe.
Diese Kontakte zwischen den beiden zukünftigen Bischöfen seien unideologisch und nicht im Sinne einer nationalen Einheit zu verstehen. Man habe die Absicht, in Zeiten der Abgrenzung deutlich zu machen, dass die geistliche Einheit in Brüderlichkeit bestehe.
Klages (Neue Zeit): »Ist geistliche Gemeinschaft im ökumenischen Kontext zu verstehen?«
Bischof Schönherr antwortete, dass es ähnlich und doch anders sei. Mit der Schweiz seien Beziehungen anders als mit Westberlin. Hier handele es sich um eine gewachsene Gemeinschaft mit Tradition.
Deshalb müsse es eine deutlichere Gemeinschaft als mit der Schweiz oder mit Österreich geben.