Ungesetzliches Verlassen der DDR durch Delegationsmitglied
11. September 1972
Information Nr. 854/72 über das ungesetzliche Verlassen der DDR durch ein Mitglied der nach München entsandten DDR-Touristendelegation
Nach vorliegenden Informationen hat ein zu den Olympischen Sommerspielen in München1 weilendes Mitglied der DDR-Touristendelegation den Aufenthalt in München benutzt, um die DDR ungesetzlich zu verlassen. Bei dem betreffenden DDR-Bürger handelt es sich um [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1937 in Wutha, Kreis Eisenach, wohnhaft Schönebeck/Elbe (Bezirk Magdeburg), [Straße, Nr.], verheiratet, zwei Kinder, Haupttechnologe im VEB Traktorenwerk Schönebeck, Mitglied der SED, des FDGB, der DSF und der KdT.
[Name 1] befand sich seit dem 2.9.1972 zum Besuch der olympischen Spiele in der BRD und war im Objekt 58 in Mühlbach, [Straße, Nr.] (bei Familie [Name 2]), zusammen mit einem weiteren DDR-Bürger untergebracht.
Im Ergebnis der bisherigen Überprüfungen wurde festgestellt, dass [Name 1] am 7.9.1972 auf der Bahnfahrt vom Quartierort nach München sich von seiner Touristengruppe entfernt hat. Bei einer Objektkontrolle am 7.9.1972, gegen 23.15 Uhr, war vom Objekt-Verantwortlichen der Touristendelegation festgestellt worden, dass sich [Name 1] nicht im Quartier aufhält. Vermutlich hat er bereits in Rosenheim den Zug verlassen, was aufgrund des Gedränges im Zug nicht bemerkt wurde.
In einer Aussprache mit der Vermieterin [Name 2] erklärte diese, dass [Name 1] am 7.9.1972, gegen 12.45 Uhr, mit zwei Polizisten im Quartier erschien und sein Gepäck abholte. Die Polizisten hätten ihr gegenüber betont, bei einer Befragung nichts darüber zu sagen.
Bis zum Zeitpunkt der Entfernung des [Name 1] gab es von keiner Seite Hinweise, die seine Absicht, die DDR ungesetzlich zu verlassen, erkennen ließen.
Am 7.9.1972 hatte er kurz vor Antritt der Fahrt nach München anderen DDR-Touristen beiläufig mitgeteilt, dass sich seine Mutter als Rentnerreisende in Stuttgart aufhält. Wie die Überprüfung ergab, wurde seiner Mutter für die Zeit vom 12.8. bis 15.9.1972 eine Rentnerreise nach Stuttgart (zu [Name 3, Vorname, Straße, Nr.]) genehmigt, die sie auch antrat. Die Erlangung der Reisegenehmigung für den genannten Zeitraum wurde dadurch begünstigt, dass sie nach erfolgter Ehescheidung ihren Mädchennamen [Name 4] wieder annahm.
[Name 1] war aufgrund seiner guten politischen und fachlichen Entwicklung im Frühjahr 1971 als Haupttechnologe eingesetzt worden und für ein Kollektiv von rund 320 Mitarbeitern verantwortlich. Er war bestätigter Reisekader für das sozialistische und nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet.
Nach zweijähriger Kandidatenzeit erfolgte 1962 seine Aufnahme als Mitglied der SED. Er arbeitete gesellschaftlich aktiv als FDJ-Funktionär (u. a. Mitglied der Kreisleitung der FDJ), als stellvertretender APO-Sekretär und seit 1969 als Mitglied der APO-Leitung und der zentralen Parteileitung des Betriebes.
Seine Ehefrau und seine beiden Kinder befinden sich nach wie vor in der DDR.
In der Hauptreiseleitung erfolgte eine Auswertung des Vorkommnisses vor allem unter dem Gesichtspunkt der Einleitung zusätzlicher Absicherungsmaßnahmen.
Maßnahmen zur Aufklärung des Vorfalles, der Motive und Hintergründe sowie der zu beachtenden Zusammenhänge wurden vom MfS eingeleitet.