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Unterirdischer Verbindungsstollen nach Westberlin

12. Januar 1972
Information Nr. 34/72 über Vortrieb eines unterirdischen Verbindungsstollens von der Hauptstadt der DDR nach Westberlin

Am 10.1.1972 um 6.20 Uhr stellte der DDR-Bürger [Name 1, Vorname], geboren am: [Tag, Monat] 1935, wohnhaft: 112 Berlin, [Straße, Nr.] bei seiner Arbeitsaufnahme als Heizer im Objekt der BEWAG in 102 Berlin, Mauerstraße 80 fest, dass das Objekt unbeheizt war und sich in den im Keller befindlichen Heizungsräumen Sandspuren befanden sowie Unordnung herrschte. Dabei bemerkte er, dass die Sandspuren zu daneben und unmittelbar an der Staatsgrenze befindlichen Kellerräumen führten. Diese Kellerräume wurden aus Gründen der Grenzsicherung nicht benutzt und sind deshalb verschlossen und verplombt.

Der Heizer [Name 1] stellte fest, dass die Eingangstür zu diesen Kellerräumen nicht verplombt war. Daraufhin verständigte [Name 1] sofort die VPI Berlin-Mitte telefonisch von dieser Feststellung, weil er eine Straftat vermutete.

Die aufgrund dieser Meldung eingeleiteten Untersuchungen durch das MfS ergaben:

Beim Objekt der BEWAG handelt es sich um ein Verwaltungsgebäude, in dem außer der BEWAG noch andere Nutzer, wie z. B. Institut für Hochspannungstechnik, Büro für Verlage und Druckereien, Institut für Slawistik untergebracht sind.

In den Kellerräumen befinden sich Anlagen des Umspannwerkes Mauerstraße der BEWAG und Heizungsanlagen, wobei sich letztere im unmittelbaren Grenzgebiet befinden und entsprechend gekennzeichnet sind.

Bei der Überprüfung der Angaben des [Name 1] wurde in einem der bereits genannten Keller (Begrenzungsmauer des Objektes in Richtung Westberlin) in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze ein Mauerdurchbruch (Mauerdicke ca. 60 cm) mit davorliegender Erdaufschüttung und ein hinter dem Durchbruch beginnender Verbindungsstollen nach Westberlin mit einer Länge von ca. 20 m und einem Durchmesser von ca. 60 × 60 cm festgestellt. Der Ausstieg aus diesem Stollen befindet sich unmittelbar hinter der vorderen Sperrmauer auf freiem Gelände auf Westberliner Territorium. (Der Ausstieg ist vom Gebiet der Hauptstadt der DDR aus nicht einzusehen.)

Die weiteren Ermittlungen ergaben den dringenden Verdacht, dass der im gleichen Objekt tätig gewesene Heizer [Name 2, Vorname 1], geboren am [Tag, Monat] 1952 in Berlin, ohne erlernten Beruf, ledig, wohnhaft: 1058 Berlin, [Straße, Nr.] der mit ihm befreundete [Name 3, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1952 ohne erlernten Beruf, ledig, polizeilich gemeldet 1055 Berlin, [Straße, Nr.], aufenthältlich gewesen 1058 Berlin, [Straße, Nr.], Heizer bei BEWAG, Berlin-Prenzlauer Berg und der Bruder des [Vorname 1 Name 2], [Name 2, Vorname 2], geb. [Tag, Monat] 1944, ohne erlernten Beruf, verheiratet, wohnhaft: Berlin-Baumschulenweg, [Straße, Nr.], Fensterputzer in der HOG-Organisation Berolina den Stollen nach Westberlin vorgetrieben und durch diesen die DDR ungesetzlich verlassen haben. Bisher waren die Fahndungsmaßnahmen nach ihnen im Gebiet der DDR erfolglos.

Durch seine Tätigkeit als Heizer im Objekt der BEWAG, Mauerstraße 50, hatte [Name 2, Vorname 1] Kenntnis von der Existenz dieser unbenutzten Kellerräume und ihrer Lage unmittelbar der Staatsgrenze. [Name 2 (Vorname 1)] wusste auch, dass sich die Schlüssel zu den verplombten Kellerräumen sowie die Plombenzange, Plomben und Plombenschnur in einem Schlüsselschrank im Pförtnerhäuschen befinden.

In unverantwortlicher Weise befindet sich der Schrankschlüssel in einem Regal im Pförtnerhäuschen bzw. ist dieser Schlüsselschrank mit einem einfachen Schreibtischschlüssel zu öffnen. Außerdem ist das Pförtnerhäuschen nachts ab 22.00 Uhr und von Freitagabend 22.00 Uhr bis Montag früh 5.45 Uhr ständig geöffnet und unbesetzt, sodass sich jeder Eingeweihte der Schlüssel bzw. der zum Verplomben notwendigen Mittel bemächtigen und die genannten Kellerräume unkontrolliert betreten konnte. Einem Eingeweihten war auch bekannt, dass sich Kontrollen der verplombten Räume durch den Pförtner (wochentags bis 22.00 Uhr) nur auf eventuelle Plombenbeschädigungen beschränkten und Kontrollen der VP und NVA-Grenze monatlich einmal erfolgten. Zum Beispiel erfolgte die letzte Kontrolle durch die VP und NVA-Grenze laut Eintragung im Grenzkontrollbuch des VP-Reviers 1 am 17.12.1971.

Unter diesen Umständen hatten die Täter die Möglichkeit, in den genannten Kellerraum einzudringen, unbemerkt diesen Stollen zu graben und auch den Sand dort abzulagern.

[Name 2, Vorname 1] hatte in der ersten Januarwoche 1972, in der dieser Stollen vermutlich fertiggestellt wurde, Nachtschicht als Heizer. Der mitverdächtige [Name 3, Vorname] war seit dem 2.1.1972 krankgeschrieben und der mitverdächtige [Name 2, Vorname 2] erschien seit Anfang Januar 1972 nicht zur Arbeit (Nachtschicht), sodass alle drei in der Lage waren, den Stollen zu graben.

Wie die Überprüfungen ergaben, hielten sich alle drei seit Anfang Januar 1972 tagsüber in der Wohnung des [Name 2, Vorname 2] auf, die sie abends verließen.

Insgesamt werden die verdächtigten Personen und deren in der Hauptstadt der DDR lebenden Verwandten durch eine negative politische Einstellung, ungenügende Arbeitsmoral und zum Teil durch eine asoziale Lebensweise charakterisiert.

Zum Beispiel musste [Name 2, Vorname 2], der die Sonderschule besuchte, 1960 wegen Gelddiebstahl und Nötigung, 1963 wegen Passvergehens (fünf Monate Gefängnis bedingt) und mehrfach wegen Verletzung der Arbeitsdisziplin zur Verantwortung gezogen werden.

[Name 3, Vorname], der nur das Ziel der fünften Klasse erreichte, beging 1967 Diebstahl von gesellschaftlichem Eigentum.

[Name 2, Vorname 1] erreichte nur den Abschluss sechsten Klasse.

Die Eltern der Brüder [Name 2] kehrten 1971 anlässlich einer Rentnerreise nach Westberlin nicht in die DDR zurück.

Die Untersuchungen werden fortgeführt, insbesondere zur Aufklärung der Täter, der Tatumstände sowie der tatbegünstigenden Bedingungen. Ebenfalls weiter untersucht wird, inwieweit weitere Personen auf diesem Wege die DDR verließen und inwieweit die Tat von westlichen gegnerischen Kräften inspiriert, organisiert bzw. unterstützt wurde.

  1. Zum nächsten Dokument Ungesetzliches Verlassen der DDR durch Ingenieur

    12. Januar 1972
    Information Nr. 36/72 über das ungesetzliche Verlassen der DDR durch den 3. Ingenieur des MS »Eichsfeld«, Reich, am 9. Januar 1972 in Kiel-Holtenau

  2. Zum vorherigen Dokument Ungesetzliches Verlassen der DDR durch einen Eiskunstläufer

    12. Januar 1972
    Information Nr. 32/72 über das ungesetzliche Verlassen der DDR durch den Eiskunstläufer Günter Zöller vom SC Karl-Marx-Stadt