Verhalten des Chefs des Wehrbezirkskommandos (WBK) Gera
1. Dezember 1972
Information Nr. 1098/72 über das Verhalten des Chefs des Wehrbezirkskommandos (WBK) Gera, Genossen Oberst Kaudelka
Dem MfS wurde bekannt, dass die [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1947, wohnhaft: Gera, [Straße, Nr.], Sekretärin des Chefs des WBK Gera, am 2.11.1972, gegen 2.00 Uhr, in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung überfallen und körperlich misshandelt wurde, sodass sie sich in stationäre Behandlung begeben musste.
(Nach Aussagen der behandelnden Ärzte des Bezirkskrankenhauses Gera erlitt sie folgende Verletzungen: Schädelprellungen mit großem Bluterguss an der rechten Wange, Oberlippe und Hinterkopf, Nasenbein angebrochen.)
Die durch das MfS durchgeführten gedeckten Überprüfungen ergaben Folgendes:
Am 28.11.1972 fand eine Jahresendauswertung der Tätigkeit des Wehrbezirkskommandos in Lobenstein, [Bezirk] Gera statt. Nach Beendigung der Arbeitstagung begaben sich die Tagungsteilnehmer, darunter auch Oberst Kaudelka1 und dessen Sekretärin [Name 1], in das dortige Kulturhaus und die Privatwohnung des Chefs des dortigen Wehrkreiskommandos und nahmen große Mengen Alkohol zu sich. Dabei ist es bereits zwischen Oberst Kaudelka und der [Name 1] zu Auseinandersetzungen gekommen, da sie sich weigerte, ständig mitzutrinken.
Gegen 0.45 Uhr begaben sich Oberst Kaudelka und die [Name 1] mit dem Dienstfahrzeug zurück nach Gera. Im Verlaufe der Rückfahrt schlug Oberst Kaudelka mehrfach auf die [Name 1] ein, in deren Folge sie die bereits angeführten Verletzungen davontrug.
Der Fahrer des Kraftfahrzeuges, Genosse Feldwebel [Name 2], verhielt sich dabei passiv.
Nach Ankunft in Gera suchte Oberst Kaudelka gemeinsam mit der [Name 1] und dem Kraftfahrer deren elterliche Wohnung auf, beschimpfte in obszöner Weise die [Name 1] und zwang sie und ihre Eltern unter Androhung des Erschießens, von diesem Vorkommnis keine wahrheitsgemäße Mitteilung zu machen. Die [Name 1] und ihre Eltern wurden aufgefordert, gegenüber der DVP das Vorkommnis als »Überfall durch einen unbekannten Täter« darzustellen. Dieser Forderung sind sie nachgekommen.
Weiter wurde festgestellt, dass es bereits im Juni 1972 zu einer ähnlichen körperlichen Misshandlung der [Name 1] durch Oberst Kaudelka gekommen ist, da sie es ablehnte, eine Ehe mit ihm einzugehen. Im Ergebnis dieser tätlichen Auseinandersetzung war die [Name 1] 14 Tage arbeitsunfähig.
Von diesem Vorkommnis haben nach bisherigen Feststellungen auch die Ehefrau von Oberst Kaudelka, der Leiter des medizinischen Dienstes des WBK Gera, Genosse Major Dr. Finsterbusch,2 und der Leiter der Operativ-Abteilung des WBK Gera, Genosse Oberstleutnant Hofmann,3 unmittelbare Kenntnis.
Wie die Überprüfungen weiter ergaben, unterhält Oberst Kaudelka seit längerer Zeit zu der [Name 1] ein intimes Verhältnis.
Im Frühjahr 1972 nahm die [Name 1] eine Schwangerschaftsunterbrechung vor; Kindesvater war Oberst Kaudelka.
Durch den Leiter der Bezirksverwaltung des MfS wurde der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Gera, Genosse Ziegenhahn,4 über dieses Vorkommnis informiert.
Aufgrund der Stellung von Oberst Kaudelka, besonders aber aufgrund der weiter bestehenden Gefahren für die [Name 1] und ihre Eltern sowie für andere unüberlegte Handlungen seitens Oberst Kaudelka gegen seine eigene und weitere Personen habe ich mit dem Genossen Ziegenhahn vereinbart, dass die Informierung des Ersten Sekretärs des ZK der SED gemeinsam mit der Unterbreitung entsprechender Vorschläge zentral durch das MfS erfolgt.
Oberst Kaudelka hat mit den vorgenannten Handlungen gegen die §§ 1155 (vorsätzliche Körperverletzung, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren) und 119 des StGB6 (Nötigung,7 Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren) verstoßen.
Aufgrund dessen und aufgrund der von ihm ausgehenden Gefährdung wird vorgeschlagen, gegen ihn ein Ermittlungsverfahren mit Haft einzuleiten.
Genosse Armeegeneral Hoffmann8 wurde durch das MfS über dieses Vorkommnis ebenfalls informiert.