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Verhinderter Grenzübertritt unter Schusswaffengebrauch

10. Oktober 1972
Information Nr. 922/72 über die Verhinderung eines ungesetzlichen Grenzübertritts unter Anwendung der Schusswaffe an der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin

Am 6.10.1972, gegen 21.25 Uhr, wurde an der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin, im Grenzabschnitt Köpenicker Straße – Ecke Schillingbrücke, unter Anwendung der Schusswaffe der ungesetzliche Grenzübertritt eines DDR-Bürgers verhindert.

Bei dem DDR-Bürger handelt es sich um [Name, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1952, wohnhaft: Löcknitz, Kreis Pasewalk, [Straße, Nr.], Nebenwohnsitz in Herzberg, Ortsteil [Ort, Nr.] (Winterquartier des Zirkus Hein), von Beruf Heizer, zuletzt tätig als Arbeiter beim Zirkus Hein.

[Name] wurde mit schweren inneren Verletzungen in das VP-Krankenhaus eingeliefert und sofort einer Operation unterzogen. Nach ärztlicher Auskunft besteht Lebensgefahr.

Die bisherigen Untersuchungen ergaben, dass der [Name] in das Gelände des VEB Wasserwerke (Pumpwerk) in der Holzmarktstraße eingedrungen war, dort die Betriebsmauer in Richtung Schillingbrücke überwand und anschließend unbemerkt den Sicherungszaun an der Schillingbrücke überstieg.

Beim Versuch, die Schillingbrücke zu passieren, wurde der [Name] von den Grenzsicherungskräften bemerkt und zum Stehenbleiben aufgefordert. Da er dieser Aufforderung nicht nachkam, eröffneten die Grenzsicherungskräfte der NVA-Grenztruppen das Feuer. Insgesamt wurden 46 Schüsse abgegeben. Etwa 30 m hinter der Schillingbrücke brach der [Name] zusammen.

Nach erster Hilfsleistung wurde [Name] gegen 22.00 Uhr in das VP-Krankenhaus eingeliefert.

In der Zeit von 21.45 bis 21.55 Uhr erschienen auf Westberliner Seite insgesamt drei Funkstreifenwagen der Westberliner Polizei, deren Insassen das Gelände mit Handscheinwerfern abzuleuchten versuchten.

Im Bereich Fritz-Heckert-Straße1 konnten der Tathergang und die Bergung des Grenzverletzers von etwa 25 im Grenzgebiet wohnenden DDR-Bürgern beobachtet werden. Im gleichen Bereich wurde gegen 23.30 Uhr Angehörigen der NVA/Grenze durch unerkannte Personen von Westberliner Seite zugerufen: »Schafft den Toten weg!«

Die unbemerkte Annäherung des Grenzverletzers an die Staatsgrenze wurde dadurch begünstigt, dass die in diesem Bereich (Schillingbrücke) eingesetzten Grenzsicherungskräfte die vom Täter überwundene Betriebsmauer des VEB Wasserwerke und das sich anschließende Freigelände nicht einsehen konnten.

Der Täter gehörte zu jenen dekadent erscheinenden Jugendlichen, deren Einreise in die Hauptstadt der DDR im Oktober 1969 anlässlich des 20. Jahrestages der DDR verhindert wurde.

Als vermutliches Motiv des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts ist der Entzug vor der Strafverfolgung wegen von [Name] begangener krimineller Handlungen einzuschätzen.

Gegen [Name] war im September 1972 ein Ermittlungsverfahren gemäß § 220 StGB2 (Staatsverleumdung) eingeleitet worden.

In Vorbereitung auf die für den 13.10.1972 anberaumte Hauptverhandlung war [Name] für den 4.10.1972 zum Kreisgericht Pasewalk geladen. Dieser Aufforderung ist [Name] nicht nachgekommen.

Die Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen und Motive sowie des Persönlichkeitsbildes des Täters werden fortgeführt.

  1. Zum nächsten Dokument Versuchte Ausschleusung durch BRD-Bürger (1)

    11. Oktober 1972
    Information Nr. 926/72 über die versuchte Ausschleusung von DDR-Bürgern durch Bürger der BRD

  2. Zum vorherigen Dokument Großbrand auf U-Bahnlinie A der Berliner Verkehrsbetriebe

    6. Oktober 1972
    Information Nr. 912/72 über den Großbrand auf der U-Bahnlinie A der Berliner Verkehrsbetriebe am 4. Oktober 1972