Verlassen der DDR durch stellvertretenden Klinikumsleiter
15. November 1972
Information Nr. 1044/72 über das ungesetzliche Verlassen der DDR durch den stellvertretenden Leiter der Medizinischen Klinik der Medizinischen Akademie Magdeburg, Prof. Dr. sc. med. Linke, Horst
Dem MfS wurde bekannt, dass der Prof. Dr. sc. med. Linke, Horst,1 geboren am 17.2.1924, bisher wohnhaft: Magdeburg, [Straße, Nr.], tätig als stellvertretender Leiter der Medizinischen Klinik an der Medizinischen Akademie Magdeburg, verheiratet – ein Kind, parteilos von einer Reise nach Wien in der Zeit vom 10.11. bis 12.11.1972 zur Teilnahme an einer Tagung der österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Angiologie nicht in die DDR zurückgekehrt ist.
Angaben der Ehefrau zufolge sei sie am 12.11.1972 von ihrem Ehemann telefonisch aus Wien davon in Kenntnis gesetzt worden, dass er sich entschlossen habe, nicht in die DDR zurückzukehren, da er an der Medizinischen Akademie für sich keine Perspektive mehr sehe, zumal er befürchten müsse, dass mit der in wenigen Jahren zu erwartenden Emeritierung des derzeitigen Leiters der Klinik an dessen Stelle ein »jüngerer Genosse« treten werde. Die bisherigen Untersuchungen des MfS ergaben:
Bei Professor Linke handelt es sich um einen nach Abschluss der Promotion an der Universität Göttingen im Jahre 1949 in die DDR übergesiedelten Arzt. Nach mehrjähriger Tätigkeit im Krankenhaus Schleiz und einer kurzzeitigen Beschäftigung als Assistent an der Medizinischen Klinik der Universität Halle wurde er im Juni 1952 zunächst als Stationsarzt an der Medizinischen Akademie Magdeburg und nach seiner Ernennung zum Professor als stellvertretender Leiter der Medizinischen Klinik sowie als Professor mit Lehrauftrag eingesetzt.
Prof. Linke gilt in internationalen Fachkreisen als anerkannter Spezialist für Angiologie und gehörte in dieser Eigenschaft verschiedenen medizinischen Gesellschaften in der BRD an bzw. unterhielt engen Kontakt zu derartigen wissenschaftlichen Einrichtungen.
Außerdem veröffentlichte er die Mehrzahl seiner wissenschaftlichen Arbeiten in Zeitschriften der BRD.
Im Zeitraum von 1961 bis 1969 nahm er wiederholt an internationalen Kongressen und Tagungen im nichtsozialistischen Ausland, darunter in der BRD, in Österreich und in der Schweiz, teil.
Im Ergebnis zahlreich getroffener Feststellungen über das politisch-negative Verhalten Prof. Linkes während seines Aufenthaltes im nichtsozialistischen Ausland, insbesondere fehlendes politisches Engagement für die DDR, ausschließliche Nutzung derartiger Reisen zur Erlangung persönlicher Vorteile, Unterhaltung von Verbindungen zu bekannt gewordenen politisch-negativen Personen in der BRD/Westberlin, wurde im Jahre 1970 durch die staatliche Leitung und die Hochschulparteiorganisation der Medizinischen Akademie Magdeburg über Prof. Linke eine Reisesperre für das nichtsozialistische Ausland beantragt.
Am 20.7.1972 teilte Prof. Linke in einem Schreiben an das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen den Erhalt einer Einladung zur Teilnahme als Vortragender an der im November 1972 in Wien stattfindenden Tagung der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Angiologie mit.
In diesem Schreiben begründete Prof. Linke die Notwendigkeit seiner Reise damit, dass er in seiner Funktion als 1. Vorsitzender der Sektion Angiologie innerhalb der Gesellschaft für Kardiologie und Angiologie der DDR und wegen seiner zahlreichen Publikationen auf seinem Fachgebiet eingeladen und gebeten worden sei, einen Vortrag zu halten. Er berief sich darin außerdem auf die Unterstützung seines Vorhabens durch das Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften der DDR – Zentralstelle für internationale Arbeit –.
In einer auf Veranlassung des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen vom Rektor der Medizinischen Akademie Magdeburg, Prof. Gießmann,2 sowie dem Prorektor für Gesellschaftswissenschaften, Prof. Gahse,3 und dem Direktor für Kader, Genosse Maring,4 erarbeiteten Stellungnahme wurde der Reiseantrag mit der Begründung, dass Prof. Linke ideologisch nicht reif genug sei, die DDR im nichtsozialistischen Ausland zu vertreten, zunächst abgelehnt.
In einer auf Anregung des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen mit Prof. Linke im September 1972 stattgefundenen Aussprache, in der die Gründe der Ablehnung erläutert werden sollten, erklärte Prof. Linke dass er persönlich durch den Präsidenten der österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Angiologie und Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Wien, Prof. Deutsch5 – der angeblich auch medizinischer Betreuer des UN-Generalsekretärs Waldheim6 sei – eingeladen wurde.
Aufgrund der von Prof. Linke in dieser Aussprache vorgebrachten Argumente sahen sich die Leitung der Medizinischen Akademie Magdeburg sowie das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen veranlasst, die ursprüngliche Ablehnung der Reise zu widerrufen und die Ausreise zu befürworten.
Die Untersuchungen des MfS über die Ursachen, Motive sowie Umstände des ungesetzlichen Verlassens der DDR durch Prof. Linke werden fortgesetzt.