Versuchte Fahnenflucht durch einen DVP-Angehörigen
17. Dezember 1972
Information Nr. 1172/72 über eine versuchte Fahnenflucht durch einen Angehörigen der DVP am 7. Dezember 1972
Am 7.12.1972, gegen 9.56 Uhr, ließ der Unterführerschüler der 2. VP-Bereitschaft des MdI Stralsund, [Name, Vorname] geboren am [Tag, Monat] 1952, wohnhaft: Grimmen, [Straße, Nr.], Angehöriger des MdI seit 2.11.1972, Mitglied der FDJ, DSF, FDGB und DTSB den Personenzug P 710 Stralsund – Neubrandenburg am Haltepunkt Voigdehagen, zwischen den Bahnhöfen Stralsund-Hauptbahnhof und Zarrendorf, durch den zu diesem Zeitpunkt diensthabenden Schrankenposten unberechtigt anhalten.
Durch den bis gegen 13.00 Uhr im Zusammenhang mit den notwendigen Untersuchungen dauernden Aufenthalt des P 710 auf dem Haltepunkt Voigdehagen entstanden erhebliche Verspätungen für einige Personen- bzw. Durchgangsgüterzüge.
Der D 126 Stralsund – Berlin musste ausfallen. Erst gegen 17.00 Uhr konnte in diesem Streckenbereich der fahrplanmäßige Zugverkehr wieder gesichert werden.
Die eingeleiteten Untersuchungen des MfS ergaben:
Der Unterführerschüler [Name] hatte den Entschluss gefasst, fahnenflüchtig zu werden. Zur Verwirklichung dieses Vorhabens beabsichtigte er unter Ausnutzung des planmäßig verkehrenden Personenzuges P 710 von Stralsund aus zu seinen Schwiegereltern, die in Müggenwalde, Kreis Grimmen, wohnen, zu gelangen, um sich dort zunächst zeitweise zu verbergen. Später wollte er in die BRD fahnenflüchtig werden.
Die Untersuchungen ergaben weiter, dass [Name] gegen 9.10 Uhr den Objektzaun der 2. VP-Bereitschaft in Stralsund überstieg und sich zum ca. 7 km entfernt gelegenen Haltepunkt der DR Voigdehagen (ungefähr 5 km vom Haupthahnhof Stralsund entfernt) begab.
Da der [Name] den Personenzug P 710 auf dem Bahnhof Zarrendorf nicht mehr erreichte, veranlasste er den auf dem Haltepunkt Voigdehagen diensthabenden Schrankenposten, den Zug anzuhalten. Als Begründung gab er gegenüber dem Schrankenposten an, dass auf dem nahegelegenen Übungsgelände der DVP ein Scharfschießen mit Granatwerfern stattgefunden habe und einige nichtexplodierte Granaten in der Nähe des Bahnkörpers liegen würden.
Der Schrankenposten hielt daraufhin den P 710 an und verständigte anschließend den Fahrdienstleiter des Bahnhofes Stralsund.
Der [Name] forderte anschließend zur langsamen Weiterfahrt des P 710 auf, was jedoch vom Schrankenposten mit der Bemerkung abgelehnt wurde, dass sich bereits ein Kommando der Transportpolizei auf dem Weg zum Haltepunkt Voigdehagen befinde und alles Weitere veranlassen werde.
[Name] entfernte sich daraufhin vom Haltepunkt Voigdehagen und begab sich zur F 194 (Stralsund – Grimmen), um »per Anhalter« nach Grimmen zu gelangen. In Grimmen begab er sich zunächst zur Arbeitsstelle seiner Ehefrau (Poliklinik Grimmen) und forderte diese auf, mit ihm zunächst die eheliche Wohnung aufzusuchen. Sein plötzliches Erscheinen begründete er damit, dass er nach einer Übung ausreichend Freizeit habe, sodass eine günstige Gelegenheit bestehe, den bei den Schwiegereltern in Müggenwalde, Kreis Grimmen, untergebrachten Sohn zu besuchen.
In der ehelichen Wohnung zog er sich Zivilkleider an und fuhr zusammen mit seiner Ehefrau mit einem planmäßigen Linienbus nach Müggenwalde.
Bei der Ankunft in Müggenwalde erfolgte gegen 15.00 Uhr die Festnahme des [Name].
Die Untersuchungen zum Persönlichkeitsbild des [Name] ergaben, dass er bereits Anfang Dezember den Entschluss zur Fahnenflucht gefasst hatte. Die bisher festgestellte Motivation für die Handlungsweise des [Name] lässt erkennen, dass er ständig versuchte, die Prinzipien der militärischen Disziplin zu durchbrechen und das durch die politisch-ideologische Erziehungsarbeit vermittelte Feindbild ablehnte.
[Name] befürchtete disziplinarische Maßnahmen, da er seine dienstlichen Vorgesetzten belogen hatte.
(Den Vorgesetzten hatte er wiederholt vorgetragen, dass seine Ehefrau ihm angeblich Vorhaltungen machen würde, weil er sich zu einer zehnjährigen Dienstzeit verpflichtet habe.)
Die Untersuchungen zur umfassenden Aufklärung der Motive und Ursachen sowie der begünstigenden Umstände werden durch das MfS fortgesetzt.